Vom Aussterben bedroht

Es ist schon einige Zeit her, dass ich für eine Tagung auf Landesebene ein paar Thesen über die demografische Entwicklung aufgeschrieben habe. Ich glaube, dass stimmt alles noch immer.


Die Gesellschaft, die Politik und die Medien eingeschlossen, geht mit der Demografieentwicklung etwa so um wie mit der Vogelgrippe. Wir betrachten sie wechselweise als

heilbare Krankheit, die man zum Beispiel durch Impfung mit Familiengeld bekämpfen  kann,

oder aber als unheilbare Seuche, die plötzlich und unerwartet über die Menschheit kam.
Letztere Sichtweise hat vor allem für Politiker den Vorteil, dass man nur abwarten muss, bis alles wieder vorbei ist.

Die Suche nach Schuldigen ist schnell abgeschlossen. Es ist, wie so oft, die Pharmaindustrie. Sie hat nicht nur die Pille an sich entwickelt und damit den ersten und entscheidenden Geburtenknick verursacht, sondern auch noch die vielen schönen  Pillen, die uns helfen, älter zu werden. Und mit Viagra hat sie dann sogar noch dafür gesorgt, dass Altwerden auch noch Spaß machen kann. Wie perfide!

Tatsächlich ist der gegenwärtige Demografieschock ein Zusammentreffen zweier Entwicklungen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben:

  1. Die Menschen werden älter
  2. Es gibt weniger Kinder.

Deshalb tun wir uns auch so schwer mit der Einordnung. Das Erste empfinden wir als etwas Gutes, das Zweite als etwas Schlechtes. Weil wir nicht wissen, wie wir dem Gesamtprozess empfinden sollen, tun wir das, was Deutsche immer in solchen Fällen tun: Wir entscheiden uns für die pessimistische Variante. Die gegenwärtige Bevölkerungsentwicklung muss gestoppt und umgekehrt werden, so der allgemeine Tenor. Als Steuerungselement fällt uns dabei wieder mal nur das Geld ein. Wir belohnen das Kinderkriegen und deuten den Alten dezent an, dass es nicht so weiter gehen kann: Durch einen faktischen Renten-Stopp.

Sollten wir uns nicht einfach dazu durchringen, die Bevölkerungsentwicklung normal zu finden? Schließlich ist sie kein deutsches Problem, das man Rot-Grün, Schwarz-Gelb oder Schwarz-Rot in die Schuhe schieben könnte. Das Europäische Mutter-Land Nummer eins, Italien, hat eine der niedrigsten Geburtenraten. Und das nicht erst seit der Regierungszeit von Berlusconi. Die einzigen Nationen auf der Welt, die überhaupt noch wachsen, sind solche mit großen Anteilen besonders armer Menschen. Das sind übrigens auch in Deutschland diejenigen, die über der Reproduktionsrate liegen. Soviel zum Thema finanzieller Anreiz zum Vermehren.

Gibt es Gewinner des demografischen Wandels?

Natürlich die Umwelt. Wir werden, besonders im Osten, wieder mehr Urwälder bekommen und damit Wölfe und Bären, die man durch die Medien treiben kann. Weniger Menschen bedeutet auch weniger Umweltverschmutzer. Das wollten wir doch immer, oder? Der Altenpflegesektor wird boomen, das Geschäft mit Älteren überhaupt. Erste Anzeichen dafür  bietet die Zusammensetzung der Werbespots im ZDF. Bis zum Treppenlift-Hersteller als offizieller FIFA-Sponsor ist es nicht mehr weit.
Vielleicht wird sogar die Vernunft zunehmen, Alter soll ja mit wachsender Weisheit einhergehen. Allerdings fallen mir da aus dem Bereich der Politik auch genügend Gegenbeispiele ein.
Und schließlich: Sind wir nicht alle Gewinner? Wir werden älter als unsere Vorfahren und das bei besserer Gesundheit. Da wir uns andererseits nicht mit Enkeln herumärgern müssen, können wir in aller Ruhe unseren Hobbys nachgehen und zum Beispiel solche Tagungen wie diese besuchen.

Denn wozu brauchen wir eigentlich mehr Kinder?

Das fiskalische Argument: Als Konsumenten und zur Füllung der Rentenkasse. Für den Arbeitsmarkt hingegen brauchen wir keine, da wären sie sogar lästig. Die Produktion von Robotern gleicht den Rückgang an Arbeitskräften kostengünstig aus. Und nur darauf  kommt es am Wirtschaftsstandort Deutschland an, höre ich jedenfalls in den vielen Talkshows.

Der ausbleibende Kindersegen ist auch eine Frucht unseres eigenen Freiheitsbegriffes. Seit die 68er die Selbstverwirklichung neu erfunden haben, ist vom Imperativ „Liebet und vermehret Euch“ praktisch nur noch der erste Teil erinnerlich. Und es gibt es nur noch zwei Möglichkeiten, trotzdem Kinder zu haben.

Entweder man bekommt Kinder nebenbei, ohne dass man sich selbst dabei nennenswert in den Leistungs- und Genussansprüchen zurücknehmen muss. Ein Lebensmodell, das besonders beim Berufsverband der Kinder- und Familienpsychologen auf Zustimmung stößt, beschert es doch den Psychiatern jede Menge Patienten.

Oder man kümmert sich aufopferungsvoll und reaktionär um die Familie und steht dabei voll im gesellschaftlichen Abseits.

Dann schon lieber keine Kinder und damit keine Konflikte mit sich selber und der Umwelt.

Kann man denn aber gar nichts dagegen machen?

Ich glaube nicht. Zumindest nicht die Politik. Damit ich nicht missverstanden werde: Das soll kein Freibrief  für Regierungen sein, gar nichts zu tun. Auch habe ich nichts gegen Kindertagesstätten, Ganztagsschulen oder Familiengeld. Aber wir dürfen diese Instrumente nicht als Wunder-Medikamente gegen eine demografische Seuche missverstehen. Sie können vielleicht lindern, heilen können sie nicht. Wie bei der Vogelgrippe haben wir auch bei der Demografie das Wunder-Serum noch nicht gefunden.

Wir können uns der Entwicklung, die schon jetzt in absehbarer Zeit kaum noch umkehrbar ist, nur anpassen. Der Einzige, der ernsthaft Widerstand zu leisten versucht, ist der Papst. Seine Forderung: Wenn ihr es Euch schon schön miteinander macht, dann sollt ihr auch mit den Folgen leben. Denn unsere einzige Aufgabe in der Schöpfung besteht darin, uns ausreichend zu vermehren.

Zwar hat der Papst seinen Laden auch nicht soweit im Griff, dass sich alle Katholiken gegen den Trend überdurchschnittlich fortpflanzen würden, aber vielleicht  hat der alte Mann ja Recht. Vielleicht besteht unsere Chance wirklich nur darin, der Evolution ihren Lauf zu lassen und uns bis dahin einigermaßen zu vertragen. Ich zumindest bemerke bei meinen Kindern Ansätze dazu, dass sie einige Dinge vielleicht besser machen könnten als ich. Vielleicht gilt das irgendwann auch für die Vermehrungsfrage. Falls das eintritt, könnte die Menschheit eine Chance haben, zu überleben und sich das Prädikat „Krone der Schöpfung“ doch noch zu verdienen.

Und wenn nicht, wäre es auch nicht so schlimm für die Welt. Wir hätten es schließlich nicht anders gewollt. Und auch nicht verdient.

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