Das Wende-Gewissen

Eigentlich hat Dr. Johanna Voigt-Hoffmüller zum Feiern gar keine Zeit. Denn trotz ihrer 75 Jahre ist sie noch als Ärztin tätig. Aber ein wenig Innehalten sei ihr gewünscht. Denn sie hat immer getan, was zu tun war. Dieser Beitrag entstand zum 75. Geburtstag im Mai 2009.

Eine richtige Arnstädterin ist sie nicht, ihre Wiege stand in Stettin. Aber das ist heute schwer zu glauben, denn sie gehört zu Arnstadt wie der Hopfenbrunnen oder der Schlossgarten. Hanna Voigt, wie sie ihre Freunde nennen, taucht in nur in wenigen Chroniken oder politischen Rückblicken auf. Aber sie hat mehr für die Arnstädter getan als viele, die den Beruf des Politikers ausüben.

Das wissen vor allem ihre Patienten zu schätzen, die ihr über all die Jahre treu geblieben sind. Oder sie ihnen? Das ist schwer zu sagen. Nötig hätte sie es wohl nicht mehr, sich in diesem Alter nicht nur um die körperlichen Gebrechen der Arnstädter zu kümmern. Aber sie tut es.

Eingemischt hat sie sich schon immer. In der DDR in der jungen Gemeinde, später bei Kirchentagen. Es brachte ihr eine Stasi-Akte von knapp 200 Seiten ein, aber Ruhe gab sie nicht. Als die Vorboten der Wende heraufzogen, war sie die Erste, die den Aufruf zur Gründung des Neuen Forums nach Arnstadt brachte. Und auch bei der Demonstration am 30. September ’89 auf dem Holzmarkt war sie dabei.

Sie war so etwas wie das Gewissen der Wende, sagt heute Arnd Effenberger, ihr Mitstreiter aus jenen Tagen. Sie kann Fragen stellen wie ein Kind. Wichtige Fragen, auf die andere nicht gekommen wären.

Es war eine bewegte Zeit, und Hanna Voigt bewegte sie an herausragender Stelle mit. Hielt nachdenkliche Reden auf dem Theatervorplatz, warb Mitglieder für das Neue Forum und war bei den Gesprächen dabei, wenn es um neue politische Machtstrukturen ging.

Johanna Voigt-Hoffmüller hätte sicher auch eine politische Karriere machen können, nicht nur auf Stadtebene. Aber ihre Ansichten passten nur schwer in das Raster der Parteien. Sie ist eine schwarze Grüne, sagt Arnd Effenberger, mit konservativen Grundwerten und hohem Umweltbewusstsein.

Also ist sie lieber ganz nahe bei den Menschen geblieben. Und nicht nur ihre vielen Patienten danken ihr dafür. Herzlichen Glückwunsch zum 75..

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