Todesfahrt

Selten hat der Tod eines Menschen ein solches kollektives Trauma in der Region ausgelöst wie der von Paula. Das Mädchen starb im Juni 2010 im Auto ihres Freundes. Es war nicht irgendein Auto. Es war eine jener angeblichen Spaß-Maschinen, die zu tausenden auf unseren Straßen unterwegs sind. Gesteuert von Fahrern, die nicht wissen, dass sie eine Waffe besitzen, die töten kann. Die Trauerarbeit für Paula ist längst nicht abgeschlossen, das zeigte auch die Gerichtsverhandlung gegen den Fahrer. Ein Verfahren, in dem es keine Sieger geben konnte. Und auch keine Erlösung.

„Es tut mir unglaublich leid“, sagte der Angeklagte unter Tränen, als ihn der Richter das Wort vor der Urteilsverkündung erteilte. „Ich habe mir den Menschen genommen, den ich am meisten geliebt habe. Aber dass wird einem leider viel zu spät bewusst.“

Auf der Anklagebank saß gestern ein stiller, leicht stotternder junger Mann, dessen Leben zerstört ist. Er hat sein Studium abgebrochen und ist aus Arnstadt weggezogen. Denn er hat einen Unfall verursacht, bei dem seine Freundin ums Leben kam.

Deren Eltern sitzen ihm gegenüber, als Nebenkläger. Dass sie ihr Kind im Juni vergangenen Jahres so plötzlich verloren haben, können sie heute noch nicht fassen. Und auch im Zuschauerraum im Großen Saal des Arnstädter Amtsgerichts haben sich viele Freunde des Mädchens eingefunden, die an diesem Vormittag oft weinen. Die Erinnerung ist frisch. Und es gibt, das wissen fast alle im Saal, auch an diesem Tag keine Erlösung davon. „Sie haben eine Schuld auf sich geladen, die wir mit dem Strafrecht nicht fassen können“, sagt Richter Thomas Jenke später in der Urteilsbegründung, „Sie werden damit leben müssen.“

Der 15. Juni 2010 war ein schöner Tag. Der junge Mann hatte bei seiner Freundin übernachtet, sie musste am Morgen nach Weimar. Eine Freundin von ihr wartete bei Thörey, um sie mitzunehmen, also fuhren beide mit seinem Auto dorthin.

Sein Auto war keines, das man normalerweise fährt mit knapp 21 Jahren. Es war ein „Toyota Supra“ mit 300 PS, Lenkung auf der rechten Seite und sehr tiefliegenden Sitzen. Sein Vater, bei dem er schon damals lebte, habe dem Kauf zugestimmt, sagt der Angeklagte. Unter der Bedingung, dass „das Auto bei 180 Stundenkilometern abgeriegelt wird“.

Das ist wohl in der Szene nicht ungewöhnlich. Eine gedrosselte Kampfmaschine als Spaß-Faktor. Als ihn der Anwalt, der die Eltern von Paula vertrat, auf den Film „The Fast And The Furious“ anspricht, nickt der Angeklagte. Er habe eben ein Faible für schnelle Autos.

Der junge Fahrer, eigentlich noch Anfänger, war stolz seinen Supra-Schlitten. Von seinen rasanten Überholmanövern gab es sogar Videos im Internet, wie ein noch kurzfristig aus der Berufsschule herangeholter Zeuge bestätigte.  Er habe das Video zwar aufgenommen und ins Internet gestellt, aber gefährlich sei die gefilmte Aktion damals nicht gewesen, sagte der 20-Jährige. 150 auf der Landstraße außerhalb von Orten, das sei doch nicht unüblich unter Jugendlichen, „wenn man niemanden gefährdet“.

Auch der Angeklagte fand damals, dass er zwar „nicht immer vorschriftsmäßig, aber nie übertrieben schnell“  gefahren sei. Auch nicht an diesem Morgen.

Eine Zeugin, die er mit seinem silbernen Boliden kurz vor dem Unfall überholte, erzählte anderes. Und auch in der leichten Rechtskurve vor Thörey fuhr er viel schneller als die erlaubten 70. Und er saß dazu noch rechts und viel zu tief, um den vor ihm langsam fahrenden Golf rechtzeitig zu bemerken. Die Gefahrenbremsung und das Ausweichmanöver halfen nicht. Mit immer noch mindestens 104 Stundenkilometern rammte er einen Sattelschlepper auf der Gegenspur und riss ihm die Vorderachse weg. Mit der Seite seines Autos, auf der normalerweise der Fahrer sitzt. Aber dort saß seine Freundin. Er stieg, so berichteten mehrere Zeugen, direkt nach dem Unfall, offenbar unverletzt, aus dem Auto und rief nur laut „Scheiße, Scheiße!“  Sie starb am nächsten Tag an ihren schweren Verletzungen.

Zwei Jahre auf Bewährung lautete das Urteil gestern, wegen fahrlässiger Tötung. Dazu muss der Verurteilte 200 Arbeitsstunden leisten und bekommt auch in den nächsten zwei Jahren keinen Führerschein. Beim Strafmaß waren sich Staatsanwältin, Nebenklage, Gericht und Verteidigung recht einig gewesen, es geriet fast zur Nebensache. Denn das Leid, das der Angeklagte in das Leben so vieler Menschen gebracht hat, wäre mit keinem Urteil zu lindern gewesen.

In seiner Begründung ging Richter Thomas Jenke auch noch einmal auf die Zeugenaussage des jungen Mannes ein, der das Video mit der rasanten Autofahrt des Angeklagten ins Netz gestellt hatte.  „Wenn einer sagt, 150 Stundenkilometer auf einer geraden Strecke sind verantwortungsbewusst, dann sträuben sich mir die Nackenhaare“, sagte er. Und stellte nicht nur sich die Frage, warum überhaupt Autos in Deutschland zugelassen werden, die 300 PS haben, wo man auf der falschen Seite sitzt und auch noch so tief, dass man eigentlich nichts sehen kann.

Unten, vor dem Arnstädter Amtsgericht, stand gerade wieder so ein Bolide an der Ampel. Der Fahrer blutjung, die Bässe wummerten durch das geschlossene Fenster. Und als das Auto davor bei Grün nicht gleich anfuhr, heulte ungeduldig der Motor auf.

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