Wenn der MDR weg ist

Die ARD geht derzeit in die Offensive. Programmmäßig mit einem in die Jahre gekommenen Lockenkopf,  technisch mit der Komplettumstellung auf digitalen Fernsehempfang. Über die Probleme bei Gottschalk ist öffentlich genug zu lesen, über die mit dem Digitalprogramm leider nicht. Dabei lässt die ARD dabei gerade ihre treueste Zuschauergruppe ins Messer laufen: Die weniger technikaffinen Rentner.

„Der MDR ist schon wieder weg“, sagt meine Mutter. Sie ist 92 und eine rüstige Frau – und sie schaut im Fernsehen gern ihren Heimatsender. Der hat ihr vor einigen Wochen offenbar eindringlich klar gemacht, dass sie für den Sender jetzt außer der Reihe bezahlen muss. GEZ reicht nicht, als Satelliten-Konsument muss ein Digital-Receiver angeschafft werden, damit Florian Silbereisen auch künftig in die Wohnstube kommt. Die Spots dazu sind fast so düster wie damals jene mit den Raubkopierern.  Wer nicht ganz schnell handelt, bei dem ist ab Mai der Bildschirm duster. Schrecklicher Gedanke für meine Mutter.

„Junge, wir brauchen auch so ein Digitaldingens“, sagt sie ziemlich bestimmt. Was heißt, ich soll ihr eins beschaffen. Der Pflichtenkatalog war einfach: Es sollte möglichst alles beim Alten bleiben. Die Fernbedienung mit ähnlichen Knöpfen, die Programme auf der gleichen Nummer – und nur kein Stress. HD, Videotext, EPG, alles kein Thema. Beim Anschalten MDR auf der Nummer 6, der bayrische noch für die Gymnastik und ARD für die Tagesschau.  Klare Ansagen. Das müsste schnell zu machen sein, dachte ich.

Das erste Problem: Solche Kriterien sind Herstellern von Hardware weitgehend fremd. Geräte vom Kunden her zu denken, ist noch nicht sehr weit verbreitet.  Und so wird zwar munter mit allen möglichen technischen Raffinessen geprahlt, aber dass man viele von ihnen erst auf der 4. Unterebene des 3. Hauptmenüs  findet, erfährt man erst nach dem Kauf. Denn es ist selbst im gut sortierten Fachhandel kaum üblich, einen Sat-Receiver auszuprobieren. Und selbst, wenn man es könnte – wie er mit dem jeweiligen Fernseher harmoniert, weiß man dann noch immer nicht.

Die Folge ist ein bisher wenig untersuchtes Phänomen: Die meisten Menschen sehen das Fernseh-Programm gar nicht so, wie es eigentlich gemeint ist. Allein die Anpassung der Formateinstellungen zwischen Automatik, 16:9 und 4:3 von Fernseher und Receiver ist meist so kompliziert, dass viele Leute davor kapitulieren und lieber ein verzerrtes Bild in Kauf nehmen.  Viele Zuschauer wären wohl erschrocken, würden sie ihre Lieblinge mal im Original sehen. Wir nehmen die Fernsehwelt als Zerrbild wahr, sogar im Wortsinn.

Doch diese Hürde nahm ich noch. Es sollte ja nur einer sein, der dam alten recht ähnlich war, aber digital eben. Ich hatte ja keine Ahnung, dass das längst nicht reicht. Weil ich das PMT-Problem noch nicht kannte.

Ich kaufte also und  schloss das Teil an. Auf Progamm-Nummer 6 kam nun nicht mehr „MDR“, sondern „MDR Thüringen“. Damit sei nun sogar der Empfang des „Thüringen-Journals“ um 19 Uhr möglich, erklärte ich meiner Mutter. Bisher hatte es  analog-bedingt,  um diese Zeit nur die „Länderzeit“ gegeben, eine Art „Best Of Mitteldeutschland“. Aber jetzt, im digitalen Zeitalter, würde sich das ändern, sagte ich. Viel mehr Thüringen ab sofort im Fernsehen. Und ich hatte tatsächlich diese Hoffnung.

„Die reden aber nur von Sachsen-Anhalt“, sagte meine Mutter am folgenden Tag um 19.10 Uhr. Und tatsächlich, es war nichts von „Thüringen-Journal“ zu sehen. Ich zappte hilflos ein wenig hin und her. Und da war es plötzlich. Daniel Baumbach, der bekannte Hans Dampf in allen Thüringer MDR-Gassen, lächelte uns aus dem Fernseher an. Siehste, sagte ich zu meiner Mutter, hat sich doch gelohnt. Jetzt erfährst Du viel mehr über Thüringen.

„Der MDR ist aber wieder weg“ sagte sie traurig gegen 19.40 Uhr. Und tatsächlich, der Bildschirm war wie eingefroren, ein Standbild. „Ich weiß aber, was ich machen muss“, sagte meine Mutter,  „einfach um 19 Uhr nicht vor- und zurückschalten. Dann konnt zwar nur was aus Magdeburg, aber hinterher geht es wenigstens weiter“.

So ist meine Mutter zwar im digitalen Zeitalter angekommen, aber auch in Sachsen-Anhalt. Von Thüringen bekommt sie  nichts mehr mit, aber das digital.

Mittlerweile habe ich mich schlau gemacht, was dahinter steckt. Es ist die Unfähigkeit der ARD-Anstalten, mit den Herstellern von Sat-Receivern vor der Digitalumstellung einen gemeinsamen und praktikablen Standard für die Umschaltung auf verschiedene Regionalprogramme eines Senders verbindlich zu vereinbaren. MDR, NDR und andere bieten softwareseitig dazu ein System namens „dynamisches PMT (Program Map Table)“ an, aber das können eben nicht alle Receiver verarbeiten. Ohne dieses Umschaltungs-Signal läuft beim MDR eben um 19 Uhr „Sachsen-Anhalt heute“. Und wenn man es schafft, doch das Thüringen-Journal durch Hin- und Herschalten einzustellen, schaltet es hinterher ohne PMT-Kompatibilität nicht wieder automatisch auf den Hauptsender zurück. Man muss – teilweise mehrfach – den Kanal erneut ansteuern, um das zu korrigieren. Zuschauerfreundlichkeit sieht anders aus. Und ich habe bei der Recherche auch gemerkt, dass ich keinesfalls der Einzige bin, der solche Probleme hat.

Niemand sagt einem vor dem Kauf, dass die PMT-Tauglichkeit ein wichtiges Kriterium für einen Sat-Receiver ist – zumindest, wenn man solche Regionalsendungen gucken will. Auch  der MDR sagt einem das nicht. Ich habe jedenfalls nirgendwo einen Hinweis darauf gefunden. Nur in Antworten in Hilfeforen wird den Betroffenen nahegelegt, sie sollen es mal mit einem Firmware-Update probieren. Das Gesicht meiner Mutter möchte ich sehen, wenn ich ihr nahelege, das zu machen.

Aber vielleicht ist dem Sender auch gar nicht so wichtig, dass seine Regionalprogramme gesehen werden.  Die GEZ fließt ja sowieso.

Und zumindest meine Mutter findet jetzt, dass sowieso in Magdeburg mehr los ist als in Erfurt.

Ich habe übrigens bei der MDR- Technikredaktion angefragt, ob Sie mir eine Liste PMT-fähiger Sat-Receiver zur Verfügung stellen könnte, um bei künftigen Käufen nicht wieder auf die Nase zu fallen. Auf die Antwort bin ich gespannt, ich werde sie hier veröffentlichen.

Nachtrag am 14. Februar 2011:

heute hat mir der MDR geantwortet. Hier der Wortlaut. Er ist selbsterklärend. Zur Erinnerung: ich hatte nach einer Liste von Receivern gefragt, die mit der dynamischen Programmumschaltung  klarkommen.

Sehr geehrter Herr Pfeiffer,
solche Probleme, wie Sie beschrieben haben, sind immer auf eine schlecht programmierte Gerätesoftware zurückzuführen. Der Umschaltvorgang ist eine standardisierte Funktionalität, die auch so in der Software integriert sein muss. In der Regel unterstützen die Receiver alle die sogenannte dynamische PMT-Umschaltung, manche jedoch nicht einwandfrei. Meist kann man auch nicht in den Datenblättern eine Angabe dazu finden, da es sich ja um eine standardisierte Funktionalität handelt.
Bitte prüfen Sie, ob für den Receiver eine neue Firmwareversion vorliegt und spielen diese ein.

Vielleicht ist damit das Problem behoben. Da ein Mangel des Gerätes vorliegt bleibt Ihnen sonst nur noch, das Gerät zu tauschen.

Mit freundlichen Grüßen aus dem Funkhaus in Leipzig
________________________________

Ein Gedanke zu „Wenn der MDR weg ist“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert