Grüne Lichter

Heute vor 10 Jahren begann die Irak-Invasion. Ich wusste damals wenig, nur das, was Colin Powell vor der UNO gelogen hatte. Aber nicht mal das wusste ich damals. Dafür gab es grüne Lichter im Fernsehen, nächtliche Bilder aus automatischen Kameras. Ich kam nicht klar damit, was ich sah. Und es passte nicht zu dem, was ich hörte. Das blieb all die Jahre so. Deshalb hier ein Text, den ich am 22. März 2003 schrieb. Ich habe mich an ihn erinnert, als jetzt plötzlich noch einmal die grünen Lichter gezeigt wurden.

Es ist dunkel. Und man sieht eigentlich gar nichts. Nur verschwommene Bilder, die angeblich automatische Kameras in Bagdad aufgenommen haben. Grüne Lichtblitze. Sie zeigen es immer wieder. Auch wenn man trotzdem nichts erkennen kann.

Dazu servieren die Fernsehsender einen winzigen Flakon Fakten, aufgelöst in einem Sondersendungswassereimer. Verrührt und immer wieder ausgegossen über uns. In den Hauptnachrichten, dem Special danach, der Analyse hinterher. Und den direkten Schalten zu den Machtzentren der Welt.

Keiner weiß wirklich etwas.

Die Quellen sind militärische Einsatzstäbe, Informationsministerien, panzermitfahrende Stahlhelm- und Mikrofonträger, die jedes Wort von einem Offizier zensieren lassen müssen.

Und Militärexperten.

Der Militärexperte ist wahrscheinlich die unheilvollste Erfindung dieser grünen-Lichter-Sendungen. Und die überflüssigste seit dem selbstreinigenden Schlüsselanhänger. Leute, die als Kind in Rufnähe einer Kaserne aufgewachsen sind, erklären Ereignisse, von denen kein Mensch weiß, ob sie sich so oder ganz anders oder gar nicht ereignet haben. Und analysieren eine Taktik, die sie nicht kennen können. Weil auch die Taktik-Erfinder erst hinterher sagen, warum es so, wie es gelaufen ist, gut war.

Auch wenn es ganz anders hätte laufen sollen.

Für die Authentizität werden Reporter vor Ort zugeschaltet. Sie sind entweder so vor Ort wie unser Mann in Bonn, der noch immer über den Bundestag berichtet, obwohl der längst nach Berlin umgezogen ist. Oder sie sitzen wirklich dort und wissen nichts, sondern sehen nur. Sie können nicht bestätigen, was gerade der arabische Fernsehsender gemeldet hat. Trotzdem wird nachgehakt vom Moderator, ob es vielleicht Anzeichen gibt. Es gibt keine. Nur die grünen Lichter aus der automatischen Kamera.

Und so ziehen Geisterarmeen aus Jordanien ein, wird Basra täglich neu eingenommen und die Türken sind drin oder irgendwie doch nicht. Aber Franz Müntefering erklärt tapfer, das nichts wäre, wenn. Oder doch und warum dann nicht.

Es müssen Menschen sterben dort, das wissen alle. Aber die Bilder aus den Krankenhäusern können auch von vor zehn Jahren stammen; die Ansprache des Diktators auch.

Es weiß keiner etwas. Aber viele reden und alle schauen zu. In der Hoffnung, dass doch jemand etwas weiß, vielleicht.

Wie das wirklich war mit den grünen Lichtern, wird man erst hinterher erfahren. Wenn es vorbei ist. Oder noch viel später.

Falls sich dann noch jemand dafür interessiert.

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