Ministerium für acht Wochen

Fürst-Günther-SchuleWar in Arnstadt kurz vor Kriegsende ein Reichsministerium untergebracht? Das berichten verschiedene Quellen, unter anderem der Arnstädter Friedemann Behr  in seinen „Erinnerungen an die Schulzeit“.  Eine Akte im Arnstädter Stadtarchiv bestätigt entsprechende Pläne. Die Einquartierung in der Fürst-Günther-Schule wurde allerdings nie richtig vollzogen – und die vereinbarte Miete wurde nie bezahlt.

Es ist eine skurrile Geschichte, die sich kurz vor Kriegsende in Arnstadt zugetragen hat. Sie nimmt ihren Anfang am 6. Februar 1945. An diesem Tag fallen Bomben auf Arnstadt, 21 Häuser werden total zerstört und 85 Menschen sterben allein an diesem Tag in der Stadt. Dass in den Lagern rund um Arnstadt täglich KZ-Häftlinge sterben, hat sich herumgesprochen, auch wenn es viele nicht wissen wollen.

Im Rathaus von Arnstadt allerdings wird an diesem Tag so getan, als ginge alles seinen geordneten Gang. Der damalige Oberbürgermeister Huhn  empfängt Ministerialdirigent Dorsmeyer, einen Vertreter  des Berliner Reichsverkehrsministeriums,  den Erfurter Reichsbahnpräsidenten Dr. Schneider und weitere Reichsbahn-Vertreter zu einem Gespräch. Ihr Anliegen ist klar umrissen: Die Übernahme der Fürst-Günther-Schule am Schlossplatz als Ausweichobjekt für das Berliner Reichsverkehrsministerium.

Memo des Arnstädter Oberbürgermeisters Huhn.

Überraschend kommt  die Sache für den Arnstädter Oberbürgermeister nicht, bereits am 4. Februar ist Huhn darüber telefonisch vom Thüringer „Reichverteidigungskommissar“ in Weimar informiert worden. Außerdem hat ihn der oberste Arnstädter Eisenbahner, Reichsbahnoberrat Hercig, ebenfalls am 4. Februar angerufen und mitgeteilt, dass „der Reichsverkehrsminister mit sofortiger Wirkung die Fürst-Günther-Schule Arnstadt für seine Zwecke übernimmt“.

Quelle: Stadt- und Kreisarchiv Arnstadt

Begehrlichkeiten für eine Fremdnutzung der Schule gab es schon früher. Kurz vor Weihnachten 1943 hatte ebenfalls der Weimarer Reichsverteidigungskommissar den Arnstädter OB „ersucht“, das Gebäude als mögliches Ausweichobjekt   für die Reichsbahndirektion Erfurt „für den Fall der Zerstörung ihres  Dienstgebäudes“ zur Verfügung zu stellen – und notfalls zu beschlagnahmen. Huhn leitete die Mitteilung über die Beschlagnahme sofort an die Schulleitung weiter (s. Bild).

Es passierte zunächst aber gar nichts, denn die Reichsbahndirektion Erfurt blieb, wo sie war. Aber die Arnstädter Schule war seit dieser Zeit in den Akten der Reichsbahn und damit auch des übergeordneten Reichsverkehrsministeriums als geeignetes Ausweichobjekt vermerkt. Daran hatte man sich wohl auch kurz vor Kriegsende erinnert, als Berlin schon weitgehend in Trümmern lag und das Ministerium dort nicht mehr arbeiten konnte.

Bei dem Gespräch in Arnstadt am Tag des Bombenangriffs 1945 erläutert der Ministeriumsvertreter Dorsmeyer dem Arnstädter Oberbürgermeister, wie sich seine Behörde die künftige Arbeit vorstellt. Eine Abteilung des Reichsverkehrsministeriums soll „in einem beweglichen Zug weiterarbeiten“, für den Rest, etwa 150 Bürokräfte, wird der Arbeitsplatz in die Fürst-Günter-Schule nach Arnstadt verlegt.  Weil in Arnstadt keine Wohnungen frei sind, ist für sie der Bau von mehreren Baracken in Schulnähe geplant. Dorsmeyer spricht von benötigten 5 Hektar Baufläche, etwa im benachbarten Schlossgarten. Außerdem soll im Hof der Schule ein Küchentrakt zur Versorgung der Ministeriums-Mitarbeiter errichtet werden. Die vom Ministerium nicht benötigten Inventargegenstände wie Schulbänke und Unterrichtsmaterialien könnten zunächst in die Schulturnhalle gebracht werden, meint Dorsmeyer. Alles müsse sehr schnell gehen, denn ein Bauzug mit Arbeitskräften werde bereits in den nächsten Tagen in Arnstadt eintreffen.

Huhn ist im wesentlichen einverstanden, gibt allerdings zu Protokoll, dass die Nutzung des Kellers der Schule nur eingeschränkt möglich sei: Dort befinden sich ein öffentlicher Luftschutzkeller, eine Rettungsstelle, das Schularchiv und die „Adrema-Anlage des Steueramtes„. Dorsmeyer akzeptiert. Nach dem Gespräch reist der Gast wieder nach Berlin ab, ohne sich die Schule überhaupt angesehen zu haben. Als Grund wird im Gesprächsprotokoll lapidar angegeben: „Mit Rücksicht auf den Fliegeralarm und den erfolgten Bombenangriff auf Arnstadt war es nicht möglich, eine gemeinsame Besichtigung des Grundstücks der Fürst-Günther-Schule vorzunehmen“.

Der angekündigte Bauzug kommt allerdings nicht, seine Ankunft in Arnstadt wird immer wieder verschoben. Dafür machen sich die Bürokraten an die Arbeit und setzten einen detaillierten Mietvertrag für die Schule auf, der immer wieder geändert wird. Plötzlich stellt man fest, dass das Land Thüringen unbedingt als dritter Partner mit unterzeichnen müsse. Es gibt einen Schriftwechsel  über die ausführliche Liste des mit zu übergebenden Inventars, in der sogar defekte Hocker mit aufgenommen wurden. Und schließlich setzt die Schule durch, dass zusätzlich eine ganze Reihe von Räumen nicht an das Ministerium übergeben werden, darunter das Direktorenzimmer, die Bibliothek, der Physikraum und der Raum mit den naturwissenschaftlichen Sammlungen.

Das und die Tatsache, das plötzlich nicht mehr das Ministerium, sondern die Reichbahndirektion Erfurt als Vertragspartner genannt wird, lässt Zweifel daran aufkommen, dass es sich damals tatsächlich um eine geplante „Ministeriumsverlagerung“ handelte. Was aus Berlin nach dem 16. Februar 1945 in Arnstadt ankommt, sind nur wenige Bürokräfte und Akten, die im Keller gelagert werden. Außerdem gibt  man den Plan mit den Schlafbaracken im Schlossgarten (zum Glück) und dem Küchentrakt auf dem Hof offenbar schnell auf, es wird nur noch um Überlassung eines Küchenraumes im Gebäude gebeten, da die Bediensteten mangels anderer Möglichkeiten ebenfalls in der Schule übernachten müssen. Pläne, sie über Arnstädter Gaststätten zu versorgen, werden von der Stadt mit dem Hinweis abgelehnt, durch die Bombenschäden  seien nicht genügend Kapazitäten vorhanden. Außerdem ist die Heizungssituation in der Schule angespannt. Nur noch 60 Zentner Koks stünden in der Schule zur Verfügung, lässt Oberbürgermeister Huhn wissen. Mit einer weiteren Koks-Zuweisung sei „nicht zu rechnen“.

So versandet die angebliche Umzugsaktion des Reichsverkehrsministeriums nach Arnstadt wohl in den Wirren der letzten Kriegswochen. Und mit dem Einmarsch der amerikanischen Truppen am 10. April ist das Kapitel ohnehin beendet.

Allerdings nur fast. Denn die Stadtbürokratie arbeitet  weiter. Obwohl der Mietvertrag für die Schule nie wirksam unterschrieben worden war (er kam nie von der Reichsbahn und vom Finanzministeriums des Landes Thüringen unterschrieben zurück), versucht das Arnstädter Stadtbauamt am 22. Mai 1945, also lange nach der Kapitulation,  über die Stadthauptkasse, die avisierten Mietzahlungen von der Reichsbahn einzutreiben. „Für die Zeit der Inanspruchnahme vom 16. Februar bis zur Besetzung der Stadt am 10. 4.“ sei ein Mietbetrag von  5054,50 Reichsmark aufgelaufen, heißt es in einer Hausmitteilung.
1-IMG_9611Außerdem bittet das Stadtbauamt um Prüfung, ob die Reichsbahn wie vereinbart das Gehalt für den Schulhausmeister Wille gezahlt habe.

Die Reaktion der Reichsbahndirektion Erfurt an die Stadt Arnstadt ist knapp. Sie sei kein Rechtsnachfolger der Einrichtung, die den Vertrag schließen wollte.  Schon deshalb könne man für die Forderung leider nicht aufkommen.

Akte aus dem Stadt- und KreisarchivAlle Dokumente stammen aus dem Vorgang 316-17-4 des Stadt- und Kreisarchivs Arnstadt

 

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