Das Schul-Schloss

Als sie gebaut wurde, waren die Arnstädter zunächst gar nicht begeistert. Nun wird die Schule in der Lindenallee 110 Jahre alt – und es gibt wieder Hoffnung auf eine Zukunft dieses schönen Gebäudes.

Eröffnung der Schule, vor der Tür Bürgermeister Bielfeld mit Amtskette. Quelle: Schlossmuseum
Eröffnung der Schule, vor der Tür Bürgermeister Bielfeld mit Amtskette. Quelle: Schlossmuseum

Am 15. Oktober 1906 versammelten sich Lehrer und Schülerinnen der Höheren Mädchenschule Arnstadt um 8.30 Uhr vor dem alten Schulhaus in der Rosenstraße, der heutigen Emil-Petri-Schule. Gemeinsam wurde der Choral „Bis hierher hat uns Gott gebracht“ gesungen, nach der dritten Strophe begannen die Glocken der Liebfrauenkirche zu läuten und es formierte sich ein Festzug in Richtung Lindenallee. Dort stand das neue Schulhaus, dem „durch Flaggenschmuck, Topfgewächse auf den Spalierpfeilern, Blumengewinde und Tannen an beiden Seiten des Eingangs ein wahrhaft festliches Aussehen verliehen worden war“. So berichtet es Direktor August Giesecke im Jahrgangsheft der Schule. Anschließend fand in der Turnhalle ein Festakt statt, zu dem sogar Prinzessin Marie aus Sondershausen angereist war.

Die Geschichte der höheren Mädchenschule in Arnstadt begann schon 1857, als auf Veranlassung der fürstlichen Staatsregierung eine solche Anstalt ins Leben gerufen wurde. Allerdings hatte sie nur eine kurze Lebensdauer. Weil zum Beispiel weder Englisch, Turnen noch Handarbeit angeboten wurde, war das Interesse gering, schon 1860 wurde die Schule wieder geschlossen. Es gab dann einige private mehr oder wenige erfolgreiche Initiativen, bevor sich Ostern 1885 die Stadt entschloss, zwei Privatschulen zu übernehmen und sie fortan als Städtische höhere Töchterschule zu führen. Als Schulhaus fungierte zunächst das ehemalige Barfüßerkloster, das heute evangelisches Gemeindehaus ist. Im ersten Jahr gingen 91 Mädchen in die sechs Klassen – und 14 Jungen, die von einer der beiden Privatschulen kamen. Später zog die Schule dann als „Untermieter“ der Volksschule in die Rosenstraße.

Ein Neubau war wegen Platzmangels im alten  Gebäude schon zur Jahrhundertwende dringend nötig, trotzdem traf er im Stadtrat auf Widerstand. Manche konnten sich nicht an den Gedanken gewöhnen, dass auch die weibliche Jugend des Stadt über die Volksschule hinaus eine Chance zur Vertiefung und Erweiterung der Bildung haben müsse, sagte Oberbürgermeister Harald Bielfeld in seiner Festrede. Am 31. Januar 1905 schließlich war die Entscheidung endlich gefallen. Mit 17 gegen 7 Stimmen votierte der Stadtrat in namentlicher Abstimmung für den Neubau. Dann ging alles ganz schnell: In nur 14 Monaten war die neue Schule fertig. Kostenpunkt: 135000 Reichsmark.
Der Schulbau sollte den beliebten „Harmonieplatz“ am damaligen Kurhaus, dem späteren Lindeneck, architektonisch noch weiter aufwerten. Deshalb engagierte man einen der besten Schularchitekten seiner Zeit, Franz Thyriot aus Berlin. Doch die Arnstädter fremdelten zunächst mit dem Projekt. Oberbürgermeister Bielfeld schilderte damals die Stimmungslage, die heutigen Arnstädtern ziemlich bekannt vorkommen dürfte: „Als der Bau des Hauses begonnen wurde, erhob sich von allen Seiten Kritik. Je weiter er fortschritt, desto mehr trat an ihre Stelle die Freude an dem Werke, das da errichtet wurde“.

Das Projekt war durchdacht bis ins Detail. Die Sonneneinstrahlung zu den verschiedenen Tageszeiten wurde genau so berücksichtigt wie die Wirkung des Gesamtbaus, der neben der Höheren Mädchenschule auch noch einen separat zu betretenden Flügel für die Fortbildung von Gewerbeschülern hatte. Auch auf die Innengestaltung wie die gewölbte Vorhalle im ersten Hauptgeschoss und die Kunstschmiedearbeiten an Treppen und Türen wurde viel Wert gelegt. Das Haus mache einen „malerischen Eindruck“ und erinnere in seinen feinen Formen an „gewisse Schlossbauten der deutschen Renaissance“, schwärmte Direktor August Giesecke. Ausgeführt wurde das Projekt fast ausschließlich von Arnstädter Firmen.

Es gab in den ersten Jahren auch männliche Schüler, neben den 147 Mädchen zogen 43 „Knaben“ in die neue Schule ein. Das zu zahlende Schulgeld lag zwischen 40 und 100 Reichsmark je nach Klassenstufe und Anzahl der Kinder einer Familie, die gemeinsam die Schule besuchten. Das jeweils dritte Geschwisterkind brauchte kein Schulgeld zu bezahlen.

1912 wurde die Schule ganz offiziell „städtisches Lyzeum“, nach 1933 wurde ihr der Name eines Nazifunktionärs aus Franken verpasst. Ab 1945 hieß sie „Käthe-Kollwitz-Schule“, war bis 1951 Ausweichobjekt für die Gymnasialausbildung am Schlossplatz, und danach „Polytechnische Oberschule“. 1987 zog die POS samt Namen in einen Neubau auf den Rabenhold um, das alte Lyzeum in der Lindenallee wurde nun Förderschule, bis zu deren Auflösung 2010.
Nur ein kurzes Gastspiel gab anschließend die „Fachhochschule Kunst“ in der Lindenallee. Der Ilmkreis hatte der jungen Bildungseinrichtung das ehemalige Lyzeum als neuen Stammsitz übergeben. Und so ging das Gebäude mit der gesamten FH Kunst 2013 in Insolvenz und dämmert seitdem vor sich hin. Allerdings ist es der Kreisverwaltung jetzt gelungen, das Haus wieder aus der Insolvenzmasse zu ersteigern.

Was damit wird, ist derzeit unklar. Auf die Nutzung der Turnhalle warten schon die Arnstädter Sportvereine, aber die Schule steht in keinem Schulnetzplan. Es ist nur zu hoffen, dass ihr das Schicksal des „Kurhauses“ und späteren RFT-Kulturhauses von gegenüber erspart bleibt, das nach der Insolvenz einem nüchternen Zweckbau weichen musste. Dem Harmonieplatz ging dadurch mächtig viel an an Harmonie verloren.

Das Lyzeum um 1912. Quelle: Schlossmuseum
Das Lyzeum um 1912. Quelle: Schlossmuseum

Arnstadt hat mehrere sehr schöne Schulen, das alte Lyzeum ist eine der bemerkenswertesten. Nicht nur, weil dieses Haus schon als Filmstar beim „Schulgespenst“ zu sehen war. Man muss dem ersten Direktor Giesecke recht geben: Es macht einfach einen malerische Eindruck. Fast wie ein Renaissance-Schloss.

Siehe auch:
Für die Töchter der Stadt

Update 2022: Mittlerweile gehört die Schule wieder dem Kreis. Es gibt Pläne, dort die Volkshochschule unterzubringen, deren Räumlichkeiten am Hauptbahnhof zu klein geworden sind. Jedenfalls wird sie wieder saniert. Das lässt hoffen.  

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