Bei der Landtagswahl am 27. Oktober haben in Arnstadt 4096 Menschen die Linke und 4078 den Kandidaten der AfD gewählt. Alle anderen lagen irgendwo weit dahinter. Wie geht man um mit einem solchen Ergebnis?
Gleich drei Parteien werden in nächster Zeit ihre Arnstädter Stützpunkte räumen müssen. Donata Vogtschmidt (Linke) hat es nicht in den Landtag geschafft, ebenso wie Jörg Thamm (CDU) und Eleonore Mühlbauer (SPD). Das trifft nicht nur die Kandidaten selbst, sondern auch ihre Mitarbeiter und Wahlkreisbüros. Und es trifft die jeweilige Parteibasis, die bisher von diesen Büros räumlich und materiell profitiert hat. Nur Olaf Kießling (AfD) kann sein Büro in der Rosenstraße behalten. Er hat das Direktmandat im Wahlkreis 23 (Ilmkreis II) gewonnen. Bangen musste er um den Wiedereinzug in den Landtag ohnehin nicht, er war mit einem guten AfD-Listenplatz zusätzlich abgesichert. Im Gegensatz zu allen Mitbewerbern.
Wie Kießling haben auch die meisten anderen Kandidaten in Arnstadt für ihre Person mehr Stimmen bekommen als ihre Partei, nur bei Donata Vogtschmidt war das deutlich anders. Die Studentin ist offensichtlich in Arnstadt noch nicht so bekannt wie Ministerpräsident Ramelow.
Auch Eleonore Mühlbauer (SPD) und Matthias Schlegel (Grüne) wurden vom Wähler mit mehr Stimmen bedacht als ihre Parteien. Obwohl beide kurz vor der Wahl dazu aufgerufen hatten, ihnen gerade keine Stimme zu geben – sondern Donata Vogtschmidt zu wählen, um dadurch den Wahlsieg des AfD-Kandidaten im nördlichen Ilmkreis zu verhindern. Der Wähler hat diese „Erststimmenkampagne“ offenbar nicht verstanden. Ich übrigens auch nicht. Denn Olaf Kießling wäre sowieso nicht zu verhindern gewesen. Er hatte schließlich einen sicheren Listenplatz.
Dabei war Kießling nicht der fleißigste Wahlkämpfer. Dieser Titel gebührt Jörg Thamm, der unermüdlich durch den Wahlkreis zog und fast täglich bis zu fünf Termine wahrnahm. Genutzt hat es ihm am Ende nichts, er kam nur auf den undankbaren zweiten Platz im Wahlkreis.
Das Ergebnis dieser Thüringer Landtagswahl ist eine klare Polarisierung, wie schon bei der in Sachsen und Brandenburg. Auf der einen Seite ein beliebter Ministerpräsident, auf der anderen Seite die AfD. Dass es diesmal ein Regierungschef von den Linken ist, heizt die Polarisierung zusätzlich auf. Aber das lenkt vom eigentlichen Problem ab: Keine der Parteien im Osten verfügt über eine verlässliche Wählerschaft. Außer der AfD. Das ist eigentlich nicht verwunderlich, der gemeine Ossi ist schon seit 30 Jahren überwiegend Wechselwähler. Wenn eine Partei die Richtung ändert, geht er eben woanders hin. CDU, SPD und Linke haben die Richtung in der Vergangenheit ziemlich oft verändert, auch in der Gegenwart ist nicht klar, wohin die Reise eigentlich geht. Da wählt man hierzulande lieber vertrauenswürdig erscheinende Personen wie Bodo Ramelow. Oder die AfD. Da verändert sich die Richtung nicht. Es wird nur immer radikaler.
Besonders in Thüringen. Wie kann man einer Partei wählen, an deren Spitze Björn Höcke steht? Diese Frage wird mir immer wieder gestellt. Und dann kommt gleich hinterher: Das sind doch alles Nazis. Danach hätten wir 30 Prozent Nazis in Arnstadt.
Ich kenne einige Leute in Arnstadt, von denen ich weiß, dass sie AfD wählen – und noch mehr, bei denen ich das vermute. Es sind auch Leute darunter, die tatsächlich die Demokratie abschaffen wollen und einiges am Nationalsozialismus gar nicht so schlecht finden. Aber das sind sehr wenige. Die meisten nehmen Björn Höcke und seine kruden und gefährlichen Parolen billigend in Kauf, um ihrem Unmut über „die Politik“ Nachdruck zu verleihen. Da geht es oft um Migration, aber auch um Renten, gestrichene Busverbindungen, Arzttermine, die Ossi-Ehre und Verschwörungstheorien. Es ist ein Gemisch aus vielerlei Zeugs, das man in einem Satz zusammenfassen kann: Es wird alles schlechter. Vielleicht nicht unbedingt für einen selbst, aber so insgesamt.
Ich teile diese Meinung absolut nicht. Wenn ich durch die Stadt gehe, habe ich den Eindruck, es ging mir und uns noch nie so gut wie heute – und die Aussichten sind gar nicht so schlecht. Aber was von beidem zutrifft, kann man nicht erfolgsorientiert ausdiskutieren. Das ist eine Gefühlsfrage.
Ich denke, es haben diesmal mehr Menschen als sonst nach Gefühl gewählt. Wer meinte, es werde alles schlechter, hat sein Kreuz bei der AfD gemacht. Wer einigermaßen zufrieden war mit der Richtung, hat Ramelow genommen. Dazwischen war dann nicht mehr viel. Jedenfalls nicht fürs Gefühl. Die vielen Koalitionsvarianten gegen die AfD auf Länderebene sorgen zusätzlich dafür, dass Unterschiede zwischen den anderen Parteien zunehmend unsichtbar werden. Mal sehen, welche Thüringer Variante da jetzt noch hinzukommt.
Das ist wenig tröstlich, denn eine solche Lagerbildung kann nicht gesund sein. Wir haben in Arnstadt damit einige Erfahrung. Aber wir sollten uns damit abfinden, dass dieser Zustand noch eine Weile anhalten wird. Vielleicht mit wechselnden Personen verschiedener Parteien auf der einen, aber immer mit der AfD auf der anderen Seite. Jedenfalls solange es anderen Parteien nicht gelingt, die Gefühle der Wähler ähnlich stark anzusprechen wie die AfD.
Aber vielleicht ist das auch nur wieder so ein Gefühl.