Das erste Handy

Zum Tod von Bernhard Vogel: Erinnerung an seinen 70. Geburtstag 2002

Etwa 900 Gratulanten kamen zum 70. Geburtstag von Bernhard Vogel in den Erfurter Kaisersaal. Viele Redner würdigten ihn in warmen Worten als Glücksfall, nicht nur für Thüringen. Der Jubilar genoss die Szene sichtlich bewegt. Denn nicht alle, die ihn jetzt priesen, begleiteten seinen Weg mit Wohlwollen.

Die Mitarbeiter aus der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der Staatskanzlei haben es wirklich geschafft, Bernhard Vogel etwas Nützliches zum 70. zu schenken, das er noch nicht hat: ein Handy. Das allererste Mobiltelefon des Regierungschefs klingelte gestern morgen eine Melodie aus „Carmen“. Mitgenommen zur großen Feier in den Kaisersaal hat er es aber nicht. Vogel hatte Angst, heißt es, dass es mitten in einer Rede klingeln könnte. Obwohl außer dem Regierungssprecher niemand die Nummer kannte.

Der Mann ohne Handy hatte gestern seinen wohl bisher größten Tag. Viele, die er einst bewundert hatte, kamen, um ihm zu huldigen. Und kaum einer davon ist noch so erfolgreich wie er. Helmut Kohl ein in der Politik misstrauisch beäugter Privatier wie auch Ernst Albrecht und Kurt Biedenkopf, die Ex-Regierungschefs. Lothar Späth hat seinen Zenit überschritten. Selbst Hans-Jochen, der ältere Bruder, zieht sich mehr aufs Altenteil zurück. Aber er, der „kleine“ Bernd ist noch da. Aufschauen an diesem Tag musste er nur zu Johannes Rau, dem Bundespräsidenten. Wie Vogel steht auch der Skatbruder und Kollege von früher noch im Rampenlicht, ohne Makel eines Gescheiterten. So, wie er gestern nicht nur von Rau gepriesen wurde, könnte Bernhard Vogel vielleicht doch noch sein Nachfolger werden. Parteiübergreifend. Wenn das außerhalb von Sonntagsreden auf Geburtstagsfeiern jemals praktiziert würde.

Für die Landespolitik blieben nur die hinteren Reihen

Viele waren gekommen um zu gratulieren. Rau hatte im Flugzeug aus Berlin eine ganze Delegation mitgebracht, die gemeinsam mit Vogel in den Saal einzog. Andere wie Kurt Biedenkopf und Georg Milbradt kamen einzeln, ohne sich überhaupt zu begrüßen. Einer kam nicht einfach, sondern inszenierte sich. Acht Minuten nach dem Beginn der Feier wogte der Altkanzler in den Erfurter Kaisersaal, als ob er selbst Geburtstag hätte. Die Dramaturgie ging auf, Helmut Kohl erhielt mehr stehenden Applaus als der Bundespräsident. Kohl wirkte von allen Rednern am bewegtesten, zeigte sogar Tränen. Vogel stand nach seinen Worten sofort auf, eilte auf den ehemaligen Lehrmeister zu und umarmte ihn. Dabei hatte sich Kohl im Grunde nur selbst gelobt. Der ist wie ich, klang es aus jedem zweiten Satz. Und deshalb ist er ein guter Mann. Keine späte Entschuldigung für Wunden, die er seinem Nachfolger in Rheinland-Pfalz zugefügt hatte. Kein Eingeständnis, dass Vogel gut daran tat, manchmal nicht Kohls Rat zu folgen. Der große Alte kann wahrscheinlich nicht mehr anders. Und er konnte sich gestern auch nur mühsam fügen, zwischen Frau Milbradt und Erwin Teufel platziert zu werden. Und nicht direkt im Mittelpunkt. Aber da Dieter Althaus einen Platz für seine Gattin in der Reihe mit Vogel, Rau und dem Bundesratspräsidenten Wolfgang Böhmer reserviert hatte, musste Kohl etwas ins Abseits.

Anderen schien es ähnlich zu gehen. Lothar Späth wirkte auf seinem Sitz ebenso mürrisch wie Edmund Stoiber, der später eine seiner gefürchteten „Spiral“-Reden hielt: länglich und in Abschweifungen steigernd. Bodo Ramelow und Heiko Gentzel, die Oppositions-Exoten in dieser CDU-Veranstaltung, klatschten mehr als Kohl, Stoiber und Späth zusammen.

Nach den Reden begann der stundenlange Gratulationszug. Der Jubilar nahm tapfer Bildbände, Alpenveilchen und kleine Schnapsflaschen entgegen, während hinter ihm die „Bergfreunde“ aus Schmalkalden Wanderlieder schmetterten. Er bedankte sich freundlich für Sweatshirts, Wanderstöcke und einen Modell-Truck mit CDU-Aufdruck. Für all diese Kostbarkeiten dürfte seine kleine Erfurter Wohnung kaum Platz bieten, obwohl er sie als persönliche Geschenke durchaus behalten könnte. Wahrscheinlich wird besonders Schönes in den unteren Räumen der Erfurter Staatskanzlei verschwinden, die den Namen „Gruselkeller“ tragen. Die Blumen allerdings erhalten zwei Altenheime. Die Zigarren wird er sich wohl mitnehmen. 21 gute kubanische gab es von den 21 Abgeordneten der PDS im Landtag, weitere Kisten stapelten sich auf dem Gabentisch. Angela Klärner, Vorsitzende des Vereins „Pro Vogel“, hatte ihre Kuba-Zigarren für den Vereinspatron sogar im Kosmetik-Koffer durch den US-amerikanischen Zoll geschmuggelt.

Alpenveilchen vom Bergverein

Eigentlich hatte der Jubilar darum gebeten, auf Präsente zu verzichten und für die Sanierung der Orgel einer Kirche in seinem Wahlkreis zu spenden. Viele der Gäste hielten sich offenbar daran, es soll ein fünfstelliger Betrag zusammen gekommen sein. Aber selbst enge Freunde wie Hanna-Renate Laurien wollten nicht ohne dastehen. Sie schenkte gemeinsam mit Dieter Althaus, ZDF-Intendant Markus Schächter und anderen eine Skulptur namens „Auferstehung“.

Nach dem Händeschütteln ging Bernhard Vogel noch kurz mit seinem Bruder essen, bevor er um 17 Uhr in den Flieger nach Berlin stieg. Am Samstag wird er noch schnell Ehrenbürger von Speyer und fährt nach Weihnachten eine Woche in die Berge. Natürlich nimmt er Akten mit. An Tagen des Müßiggangs, wie gestern einer war, bleibt einfach zu viel liegen.

Der Landtagsabgeordnete Wolfgang Fiedler (CDU) ehrte sein Heimatdorf Tröbnitz mit Vogels Ehrenbürgerschaft

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