Zum Tod von Bernhard Vogel: Erinnerung an den Rückzug aus der Politik
Die Ära Vogel ist zu Ende. Ein Mann, der Thüringen zu seinem guten Namen verhalf, verlässt die politische Bühne – vorläufig. Er geht, um seinem Nachfolger die Chance zu geben, eigenes Profil zu zeigen. Noch sind viele skeptisch, ob es eine Ära Althaus geben wird, die länger dauert als das Jahr bis zur Landtagswahl.
Gegen Mittag saßen im großen Saal des Geraer Kongresszentrums vielleicht 20 Delegierte und diskutierten mit Sozialminister Frank-Michael Pietzsch und Erfurts Oberbürgermeister Manfred Ruge über Familienpolitik. Die Mehrzahl derer, die zum Unionsparteitag gekommen waren, standen draußen im Foyer und diskutierten, ob Pietzsch der neue Fraktionsvorsitzende und Ruge Chef der Staatskanzlei werden könne. Und vor allem: wann.
Alle warteten nur auf Punkt zwölf der Tagesordnung: „Bericht des Ministerpräsidenten“. Was da gesagt würde, war in den „gewöhnlich gut informierten Kreisen“ der Union bis zur letzten Minute umstritten. Von „Der fährt als Privatmann in die Pfingstferien“ bis „Er tritt 2004 doch noch mal an“ war alles zu haben auf dem Gerüchtebasar.
Als Vogel kurz vor 14 Uhr zu seiner Rede anhob, schien zunächst letztere Variante zu stimmen. „Es juckt mich schon, noch mal die absolute Mehrheit zu holen“, schmetterte der 70-Jährige in den Saal, „Chirac und ich sind schließlich ein Jahrgang“. Und zur endgültigen Verwirrung des Parteivolks kam auf seiner Lob-Liste auch noch ein anderer als Althaus als Erster vor: „Ein Name steht dafür, dass die Dinge in Ordnung kommen, der Name ist Andreas Trautvetter.“
Aber dann tat er es doch.
Die Junge Union war bestens vorbereitet
Sichtlich aufgewühlt, manchmal um Fassung ringend, gab er bekannt, was nur ganz wenige im Saal vorher wussten. Dass er nächste Woche Donnerstag kein Ministerpräsident mehr sein wolle. „Es ist eine Mannschaft herangewachsen, die es selber kann.“
Es ist ein gebrochenes Wahlversprechen.
Denn Bernhard Vogel hat immer gesagt, er bleibe bis 2004 im Amt. Es wäre für Thüringen besser gewesen, er hätte sein Versprechen gehalten. Schlimme Zeiten kommen auf das Land zu. Die Kassen sind leer, daraus entstehende Verteilungskämpfe sind besser von einem zu meistern, dem alle Minister Respekt zollen.
Aber es ist ein seltener Schritt menschlicher Größe.
Zu gehen, obwohl man nicht weiß wohin. Keine Familie, die wartet. Kein Buch, das er unbedingt noch schreiben will.
Zu gehen, obwohl man es immer noch besser kann als der Neue. Obwohl keine Krankheit den Rückzug erzwingt, kein Skandal.
Jetzt zu gehen, bevor man gesagt bekommt, man sei nicht mehr der Beste. Und vielleicht doch noch eine Krankheit oder ein Skandal sich einschleicht. Obwohl Bernhard Vogel, anders als viele seiner Politiker-Kollegen, kaum etwas von beiden hatte.
Es ist unlogisch aus der Sicht Vogels, dass er jetzt geht. Er bringt sich um den Ruhm, zum dritten Mal dem Bundesrat vorzustehen im Herbst. Als einfacher Landtagsabgeordneter schwinden seine Auftrittsmöglichkeiten, die er braucht, um als Bundespräsidenten-Kandidat im Gespräch zu bleiben. Die Angst, das Karriereende könnte das von Kohl oder Biedenkopf werden, war wohl stärker als diese Versuchungen.
Das macht ihn groß. Denn sein angeblicher Gewinn, nun morgens eine Stunde länger schlafen zu können, ist keiner. Früh aufstehen wird er wohl weiterhin. Höchstens abends öfter mit jemandem ein Glas Wein trinken oder noch ein Buch mehr lesen.
Er hat sich verabschiedet mit dem Kleinen Prinzen. Man ist ein Leben lang für das verantwortlich, was man sich vertraut gemacht hat, zitierte er Saint-Exupéry in Gera. Bernhard Vogel wird wohl häufig Wein trinken müssen mit Dieter Althaus in nächster Zeit.
Was nun kommt, wird zunächst das Hauen und Stechen sein. Dieter Althaus will sofort eine neue Mannschaft, daraus macht er keinen Hehl. Dass er zuerst den Chef der Staatskanzlei auswechselt, ist sein gutes Recht. Georg Brüggen, einst aus Thüringen von Kurt Biedenkopf in diese Funktion geholt, verschwand sofort nach Amtsübernahme durch Georg Milbradt in der Versenkung. Ähnlich wird es wohl Jürgen Gnauck ergehen. Sein Verhältnis zu Althaus: Beide halten sich gegenseitig für Schwätzer und Aufschneider. Nachfolger könnte Stephan Illert werden, der kürzlich vom Umwelt- ins Finanzministerium gewechselte Staatssekretär. Aber Manfred Ruge, der Erfurter Oberbürgermeister, wird ebenfalls für den Posten gehandelt.
Nachfolger für Wirtschaftsminister Franz Schuster sind in der Gerüchteküche auch schon ausgemacht. Michael Schneider zum Beispiel, Banker und Schatzmeister der Landes-Union. Oder Thomas Kretzschmer, der Landtagsabgeordnete, der aber auch ein guter Nachfolger für Althaus als Fraktionsvorsitzender wäre.
Solche Spekulationen haben einen Pferdefuß: Franz Schuster möchte gar nicht gehen. So wie auch Dagmar Schipanski nicht oder Michael Krapp. Wenn aber die Neubesetzungen im Kabinett Althaus nicht einvernehmlich über die Bühne gehen, hat der Neue enorme Flügel-Probleme. Dann wird aus der Ecke derer, die sich als Verlierer sehen, gnadenlos gegen den neuen Chef intrigiert. Und das kann auch Vogel nur verhindern, wenn er es rechtzeitig erfährt.
Vielleicht wird deshalb Stephan Illert Chef der Staatskanzlei. Mit dem hat Vogel bisher schon regelmäßig seinen Wein getrunken und einiges erfahren, was zu korrigieren war.
Dieter Althaus wird es schwer haben. Nicht nur, weil Bernhard Vogel hintenrum weiter ein bisschen mitregieren wird. „Es ist gut, so wie Vogel den Übergang jetzt regelt“, sagte eine Delegierte in Gera.
„Aber besser wird es nicht.“
(geschrieben am 26. 05. 2003)