Es sieht düster aus im Land, hört man nicht nur von widerstandstrommelnden Montagsdemonstranten. Dabei geht es Arnstadt so gut wie lange nicht. Es ist endlich Geld da, um überfällige Arbeiten anzugehen. Für alle reicht es nicht. Aber für Pessimismus besteht kein Grund.
Wenn man den Fernseher einschaltet, wird man irgendwann von Nachrichten belästigt. Oder, wenn es noch schlimmer kommt, von Talkshows. In beiden Fällen tauchen Leute auf, die sich über etwas aufregen, meistens über die Gesamtsituation, die sich angeblich so zusammenfassen lässt: In Deutschland lebt sichs furchtbar. Die Industrie geht den Bach runter, wegen der Energiepreise, der Unfähigkeit der Manager und Politiker und der kleinen Hufeisennase. Die Infrastruktur ist marode, Brücken stürzen ein und müritzgroße Schlaglöcher tun sich auf, weil die Kommunen kein Geld haben, um wenigstens das Nötigste flicken zu können.
Überhaupt hat niemand Geld. Treibt mal irgendwer 500 Milliarden auf (die er nicht hat) und behauptet, damit alle Probleme lösen zu können, sagt im nächsten Morgenmagazin garantiert ein Lobbyheini, das reiche hinten und vorne nicht und alle (außer seinem Verein) müssten sparen. Man möchte vor lauter Verzweiflung in irgendwas beißen, wenn man noch was zu beißen hätte. Denn Brot ist schon wieder teurer geworden und Zahnersatz auch.
Wenn man aber den Fernseher ausschaltet und sich in Arnstadt umsieht, sieht die Welt ganz anders aus. Sicher, auch das Nagel-Brot hat preislich angezogen, doch die Schlange vorm Laden ist dadurch nicht kürzer geworden. Aber ringsum wurde es bunter: Man weiß gar nicht, wo man in der Innenstadt zuerst Kaffee trinken soll. Bugenhagen-Lounge, Bach-Café oder Bohnenstolz? Oder doch lieber die Klassiker Café Marlitt, Café Südtiroler und die beiden Eiscafés La Gondola und San Marco? Alle Cafés sind voll. Das Bedürfnis sich in angenehmer Atmosphäre zu treffen, zu schwatzen und zu genießen ist offenbar groß. Und die Stadt wirkt dadurch auch an Nicht-Markttagen erfreulich lebendig.
Lebendig geht es auch in anderer Hinsicht in der Stadt zu. Es wird gebaut, als gäbe es kein Morgen. Straßen und Brücken werden saniert, auch in den Ortsteilen. Das nervt, besonders, wenn es so lange dauert wie in der Schloss- und Ritterstraße. Aber es passiert was. Auch im Kleinen.
Ein Gang durch die Stadt gleicht einem Hindernislauf: Nahezu täglich tauchen neue Baustellen auf und verschwinden wieder. Und es werden sogar Dinge repariert, von denen viele meinen, sie hätten es gar nicht nötig: das Friedhofsportal zum Beispiel, der Brunnen auf dem Schlossplatz oder das alte Tor, das auf der Wiese des Alten Friedhofs steht.

Aber wo kommt das ganze Geld dafür her?
Unter anderem vom Erfurter Kreuz. N3 erweitert gerade sein Werk und beschäftigt mittlerweile weit über 1000 Mitarbeiter. Marquardt hat eine zweite Fabrik auf die grüne Wiese gesetzt, gleich neben CATL, das sich ebenfalls noch in der Wachstumsphase befindet. Die anderen Firmen scheinen, soweit man das von außen beurteilen kann, stabil. Nur IHI, der Turbolader-Produzent, hat sich aus Arnstadt verabschiedet.
Auch wenn noch immer ein großes Geheimnis daraus gemacht wird, welche Firma auch in Arnstadt Steuern zahlt: Das Gewerbesteuer-Aufkommen der Stadt hat sich seit 2010 nahezu verdreifacht, der Gemeindeanteil an der Einkommenssteuer auch. Das heißt: Nicht nur den Firmen geht es gut, auch den Arnstädtern, die dort arbeiten.
Wahrscheinlich hatte Arnstadt noch nie so viel Geld wie jetzt. Vorbei die Zeit der Zwangsverwaltung der überschuldeten Stadt. Fast vergessen, wie der ehemalige Bürgermeister Dill mit traurigen Augen den Bürgern zu erklären suchte, warum es nicht aufwärts gehen kann mit den Arnstädter Finanzen. Heute geht es eher um die Frage: Was kommt zuerst dran? Und was kann noch warten?
Natürlich haben sich Arnstadt Probleme damit nicht über Nacht aufgelöst. Das Schlossmuseum wird wohl noch über Jahre Baustelle bleiben und ein Journalist machte kürzlich im Selbstversuch noch eine Menge Straßen aus, die saniert werden müssen (ich ergänze gern: der Bahnhofsvorplatz!). Ein Stadtgeschichtsmuseum wird noch lange ein Wunsch bleiben und auch die Brücke oberhalb des Fischtors wird wohl nicht so schnell saniert.
Zudem stellt sich die Frage, ob immer das Richtige in Angriff genommen wird: Die Marktsanierung ist zwar beschlossen und kaum mehr aufzuhalten, die kritischen Stimmen dazu wollen aber nicht verstummen. Und musste man unbedingt zwei neue Kindertageseinrichtungen bauen, obwohl das die prognostizierten Geburtenzahlen gar nicht hergaben?
Aber das sind Luxus-Probleme, über die sich viele Kommunen im Land freuen würden. Denn es gibt sie ja wirklich, die Städte, die sich nicht einmal das Nötigste leisten können, weil vielleicht ein großer Traditionsbetrieb in Insolvenz oder anderswohin gegangen ist. Oder weil sie kein so großes und divers aufgestelltes Industriegebiet vor der Haustür haben.
Aber Arnstadt gehört im Augenblick nicht zu den Kommunen, die barmen müssen. Das kann sich jederzeit ändern, gerade wegen der fragilen Weltlage. Aber gerade jetzt, wo sich der Sommer von seiner besten Seite zeigt, kann man sich ruhig mal darüber freuen, dass es uns gut geht. Wir haben lange genug darauf gewartet.