Wie gefährlich sind Computerspiele?
Die Frage kommt meist von Leuten, die davon keine Ahnung haben. Denn natürlich steckt in manchen Suchtpotenzial – wie in Schnaps, Harry Potter oder dem Hausputz auch. Aber man sollte auch über die Chancen sprechen – und den Spaß.
Der große Magier ist gerade in Darnassus, der Hauptstadt der Nachtelfen, unterwegs, als ihn ein Krieger um Wasser und Brot bittet. Kein Problem, ein Zauberspruch reicht und dem Manne ist geholfen. Ohne Bezahlung, versteht sich. Das gebietet die Zauberer-Ehre.
Mehr solche Bitten kann der Magier jetzt aber nicht erfüllen, denn er ist mit seiner Gilde verabredet, um eine Aufgabe zu lösen, die für einen allein zu schwierig ist. Kann sein, dass ein Monster beseitigt werden oder ein geheimnisvoller Stein gefunden werden muss, man wird es rechtzeitig von der Hohepriesterin im blauen Gewand erfahren. Als Belohnung gibt es danach ein Kleidungsstück, etwas Geld oder Manna, Energie zum Zaubern.
Die Welt, in der das alles abläuft, halten viele, die das Computerspiel World Of Warcraft noch nie gespielt haben, für nicht real. Sieben Millionen Teilnehmer weltweit sind ganz anderer Meinung. Täglich sollen 20000 hinzu kommen.
In der Tat ist dieses erfolgreichste Spieleprojekt aller Zeiten realer als seine Vorgänger. Denn hinter den Magiern, Elfen, Orcs oder Kriegern verbergen sich reale Personen. Jeder, der mitspielt, schlüpft in eine eigene Identität. Der Krieger, der den Zauberer um Wasser und Brot bittet, ist keine programmierte Figur, sondern ein Mensch. Und er könnte in Apolda oder Kuala Lumpur wohnen, je nachdem, auf welcher der zahlreichen regionalen Plattformen man sich gerade bewegt. Oft wissen die Spieler sogar, wer sich hinter einer Figur verbirgt. Es gibt Gilden, die sich nicht nur zum gemeinsamen Lösen von Aufgaben im Netz verabreden, sondern sich auch außerhalb des Spiels Botschaften schicken und manchmal sogar treffen. Ganz altmodisch im wahren Leben.
Allerdings braucht man das gar nicht mehr, seit es so genannte Chats gibt, dem englischen Wort für Plaudern. Die erfolgreichste Plattform weltweit heißt ICQ, der Name bedeutet so viel wie Ich suche Dich (I seek you). Mehr als acht Millionen Menschen senden sich über ICQ jeden Tag etwa 400 Millionen Botschaften, man kann sich über Filmstars austauschen, einfach miteinander quatschen oder miteinander kleine Spiele spielen. Zum Beispiel das alte Fingerspiel Schere-Stein-Papier, das eigentlich im Computerzeitalter als längst ausgestorben galt.
Die Computerwelt hat sich rasant verändert, seit man sich nicht mehr für eine Internetverbindung einwählen muss, sondern über einen DSL-Anschluss immer online ist. Damit ist endgültig Schluss mit dem Märchen vom einsamen Wolf, der ballerspielend und aller sozialen Kontakte ledig vor dem Monitor vegetiert. Natürlich gibt es auch diesen Typen noch, aber er steht längst auf der Liste aussterbender Arten.
Das neue Internet ist ein lebendiger Sozialraum, bei dem Fiktion und Wirklichkeit nicht zu trennen sind. Jugendliche, die sich dort bewegen, sind virtuell von zu Hause längst ausgezogen in eine eigene Welt, von der die Erziehungsberechtigten zwei Türen weiter keine blasse Ahnung haben.
Es ist eine Welt, die nicht ungefährlich ist. Zum einen wegen des hohen Suchtfaktors, manche verbringen täglich bis zu sechs Stunden am Computer. Der Berliner Suchtforscher Ralf Thalemann, selbst bekennender Computerspieler, sieht bei exzessivem Gebrauch ähnliche Hirnreaktionen wie bei Alkoholsüchtigen. Zum anderen spielt oft Gewalt eine Rolle. Auch bei World Of Warcraft wird geprügelt und getötet, von der Story her ähnelt das Spiel der Geschichte vom Herrn der Ringe. Und in scheinbar kuscheligen Foren wie Knuddels, in denen schon viele einen Partner fürs Leben gefunden haben sollen, ist man nicht davor sicher, dass statt des erhofften Märchenprinzen ein potenzieller Kinderschänder zum virtuellen Rendezvous erscheint. Das versuchen die Betreiber dadurch zu verhindern, dass sich die Mitglieder ähnlich wie bei ebay gegenseitig bewerten und ein so genannter Butler auch direkt eingreift, wenn sich jemand daneben benimmt.
Trotz der Gefahren, die im Internet lauern, nimmt die Zahl der Wissenschaftler, die diese neue Netzwelt nur als Bedrohung geißeln, ständig ab. Denn im Grunde geht es dort zu wie im richtigen Leben, das auch nicht frei von Gewalt, Lügen, Sucht und Enttäuschung ist.
Eines der erfolgreichsten Spiele der letzten Jahre, die Sims, bietet sogar eine sehr konkrete Vorbereitung auf das richtige Leben. Dort gibt es gar keine Ballereien oder Monster, sondern man kann sich seine eigene Wunschwelt bauen. Das Haus, die Karriere, die Familie, es gibt sogar virtuellen Sex, wenn auch nur unter der Bettdecke. Der Spieler lernt allerdings schnell, dass dies alles nicht umsonst zu haben ist. Um ein Haus zu bauen, braucht man Ausbildung, Beruf und Fleiß. Und um die Dame des Herzens rumzukriegen, braucht man gute Charaktereigenschaften und muss viel Balz-Arbeit leisten. Und trotzdem klappt es nicht immer.
Dieses gewaltfreie und anstrengende Spiel führte über Jahre die deutschen Verkaufslisten an und wurde danach nur von World Of Warcraft übertrumpft. Fans beider Spiele werden sich ab morgen auf der Games-Convention in Leipzig treffen, die morgen ganz real in Leipzig beginnt.
Aber was ist eigentlich real?
Ob nun die Messe in Leipzig realer ist als der Wald von Elwyn mit seinen Elfen spielt für viele Spieler keine Rolle mehr. Ein geübter Magier findet sich in beiden Welten zurecht.
(Anm: Leider ist die Games-Convention aus Leipzig weggezogen. Also ist World Of Warcraft mittlerweile das Realere von Beiden…)