Warum man die Marlitt mögen muss

Altmodisch oder modern?
Die Marlitt mit KI „modernisiert“

Am 5. Dezember wäre Eugenie John 200 Jahre alt geworden. Noch immer hält sich hartnäckig das Gerücht, die Marlitt sei doch bloß eine altmodische Kitsch-Tante gewesen. Es ist Zeit, endlich damit aufzuräumen.

Altmodisch war die Marlitt schon mal gar nicht. In einer Männerwelt, in der es als das höchste Glück einer Frau galt, geheiratet zu werden und Kinder großzuziehen, strebte sie nach Selbstverwirklichung und einem wirtschaftlich unabhängigen Leben. Sie war damit ihrer Zeit weit voraus und: Sie hat es geschafft!

Die „Gartenlaube“ mit dem Abdruck von Marlitts „Die 12 Apostel“

Die Marlitt war ein Superstar ihrer Zeit. Wenn freitags die neue „Gartenlaube“ erschien, eine der ersten deutschlandweit erscheinenden Familienzeitschriften, bildeten sich Schlangen vor der Druckerei in Leipzig. Alle wollten die neue Fortsetzung des aktuellen Marlitt-Romans lesen. Der Volksmund gab der goldenen Figur auf der damals neuen Siegessäule in Berlin den Spitznamen „Goldelse“, weil jeder den gleichnamigen Marlitt-Roman aus der „Gartenlaube“ kannte. Die Marlitt war wohl die erste Bestseller-Autorin überhaupt, sie hatte Leser in ganz Deutschland und der weiten Welt. Ihre Werke würden „ins Vorder- und Hinterindische übersetzt; um mich kümmert sich keine Katze“, klagte damals ein gewisser Theodor Fontane. So viel Neid muss man sich erstmal verdienen.

Wohlfühl-Prosa mit verstecktem Tiefgang

Was Kitsch ist, sieht jeder anders. Manches von dem, was uns gefällt, mögen andere kitschig finden. Die Geschichten der Marlitt haben die Herzen der Leser berührt und den Zeitgeist getroffen, weil sie in ihnen hinter der Handlung eine gut dosierte Portion Gesellschaftskritik verborgen hat. Frauen haben ein Recht auf ein erfülltes Leben, Adlige sind nicht automatisch durch Abstammung bessere Menschen, sondern müssen sich ihre herausgehobene Stellung durch Taten verdienen – das waren damals revolutionäre Ideen, die sie unterschwellig in ihren Geschichten unterbrachte. Marlitts Werke greifen die Sehnsucht nach Veränderung auf, verpackt in Wohlfühl-Prosa. Das hat Millionen Menschen rund um den Erdball berührt und ihr zu einer Bekanntheit verholfen, die beispiellos ist.

„Marlittsheim“ um 1885

Die Marlitt hatte ungeheuren Erfolg, doch der ist ihr nie zu Kopf gestiegen. Sie ließ sich zwar eine Villa bauen, aber nicht, um damit anzugeben, sondern um die Familie um sich zu haben. Im „Marlittsheim“ unter der Alteburg wohnte sie mit ihrem Vater und der Familie ihres Bruders. Schmeicheleien und Ehrerbietungen ihrer Fans ging sie aus dem Wege, ihr reichte es, wenn die Menschen mit ihren Büchern glücklich waren. Und sie verwendete ihr Vermögen, um für gemeinnützige Projekte zu spenden und bedürftigen Menschen zu helfen. An die große Glocke hängte sie das nie.

Leben als Achterbahnfahrt

Sie war nicht nur gegen die Fährnisse des Ruhms immun, sondern konnte auch mit Niederlagen umgehen. In eher bescheidene Verhältnisse hineingeboren, lernte Eugenie schon als junges Mädchen die Verlockungen des höfischen Lebens kennen, als ihr die Sondershäuser Fürstin wegen ihrer außergewöhnlichen Stimme eine Ausbildung zur Opernsängerin ermöglichte. Sie verkehrte im Sondershäuser Schloss und im weltläufigen Wien, eine große Karriere auf den Bühnen Europas vor Augen. Doch daraus wurde nichts, sie scheiterte. Es war wohl eine besonders krasse Form des Lampenfiebers, unter der die talentierte Sängerin litt. Stand sie vor vielen Menschen auf der Bühne, versagte oft ihre Stimme. So wurde ihr früh klar: Opernsängerin war kein Beruf, den sie ausüben konnte. Nach einem Intermezzo als Begleiterin und Vorleserin der Fürstin kehrte sie zur Familie nach Arnstadt zurück und stand wieder ganz am Anfang, schlug sich mit Näharbeiten und als Klavierlehrerin durch.

Andere hätten sich ins Selbstmitleid zurückgezogen, aber Eugenie John besann sich eines anderen Talents, das sie schon früher bei sich entdeckt hatte und erfand sich als Marlitt neu. Sicher war auch Glück dabei, weil sie im „Gartenlaube“-Verleger Ernst Keil, einem gebürtigen Thüringer, einen kongenialen Partner fand, aber es war das Glück der Tüchtigen.

Auch in der erfolgreichen Zeit als Schriftstellerin blieben ihr Schicksalsschläge nicht erspart. Schon früh litt sie unter schwerer Arthritis, nach einem unglücklichen Sturz im Turm ihrer Villa war sie endgültig auf einen Rollstuhl angewiesen. Aber sie klagte nie, sondern nahm das Leben, wie es kam.

Das Marlitt-Denkmal in der Arnstädter Bahnhofstraße

Obwohl ihr Leben eine Achterbahnfahrt war, hat sie sich nie aufgegeben. Obwohl sie die wohl berühmteste Arnstädterin überhaupt war, blieb sie bescheiden. Es gibt also gute Gründe, die Marlitt zu feiern. Eine Frau, auf die Arnstadt stolz sein kann.

Ein Gedanke zu „Warum man die Marlitt mögen muss“

  1. Mein Name ist auch John, ich weiß aber nicht ob ich mit ihr verwandt bin. Wir sind seit mehreren Generationem in Arnstadt ansässig. Ihre Romane sind eine Beschreibung der damaligen Zeitgeschichte. Das Geheimnis der alten Mamsell (mit Hintergrund des Güldenes Greifes) und derVerfilmung hat mich damals sehr beeindruckt.

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