Es war der erste Auftritt von Wladimir Kaminer in Arnstadt. Es sei wohl die letzte Stadt in Deutschland, die er noch nicht besucht habe, sagte der in Moskau geborene Bestseller-Autor und freute sich, das offenbar die ganze Stadt zu seiner Kaminer-Show in die Stadthalle gekommen war.
Der Mann hat kein Integrationsproblem, er ist irgendwie selber eines. Wladimir Kaminer passt so gar nicht in die Debatte, die gegenwärtig durch Talkshows und Medien wabert. Da steht ein gebürtiger Moskauer auf der Bühne, der auch nach 20 Jahren in Deutschland noch Probleme hat, deutsche Umlaute gebietstypisch auszusprechen. Der andererseits seine vielen Bücher nicht in seiner Muttersprache, sondern auf deutsch schreibt – und sie in Traum-Auflagen unter die Leute zu bringen versteht. Und der trotzdem darauf Wert legt, beide Kulturen – einschließlich der kaukasischen Wurzeln seiner Schwiegermutter – mit einer spöttischen Distanz zu betrachten, die Zweifel daran aufkommen lässt, dass er sich überhaupt irgendwo zu Hause fühlen könnte. Eine russische Seele, die vom Weltenlauf der Wende in den Berliner Mauerpark transplantiert wurde. Sie steckt in einem Mann, der als Schrebergarten-Experte vom Bundespräsidenten zum Treffen mit Prinz Charles eingeladen und als Botschafter deutscher Kultur in Australien präsentiert wird. Skurriler geht es eigentlich nicht.
Kaminer holt, ohne direkt darauf einzugehen, die gegenwärtige Integrationsdebatte auf den Boden der Tatsachen zurück. Als liebevoller Spötter mit Migrations- aber ohne Religionshintergrund führt er nicht nur den gelegentlich stark zum Prinzipellen neigenden Deutschen die Schwächen ihrer Leitkultur vor, sondern macht sich auch über sein Geburtsland ausgiebig lustig. In beiden Fällen kann man über seine Geschichten unbeschwert lachen, aber stellt danach fest, dass einem davon schon etwas im Halse stecken geblieben ist. Zum Beispiel bei der Geschichte mit dem Wurm: Um seinen Sohn das Sezieren eines solchen Tieres in der deutschen Schule zu ersparen, schreibt Kaminer ihm eine Entschuldigung, dies sei mit der religiösen Orientierung der Familie nicht vereinbar. Die Lehrerin schluckt offenbar die Lüge, will aber vom Sohn wissen, welcher Konfession denn seine Familie sei. Buddhismus erfindet das Kind auf die Schnelle, und zwar eine russische Varriante davon, der Samowar-Buddhismus. Er kommt damit ohne Nachfrage durch, heißt es zumindest in der Geschichte. Die Welt ist verrückt genug, um das glauben zu können.
Die Geschichten, die er vorträgt, müssen nicht wirklich so passiert sein. Aber sie könnten es. Wer kann schon sagen, ob er wirklich 1990 mit einem Freund genau an dem Tag nach Berlin kam, an dem Deutschland Fußball-Weltmeister wurde. Aber es hätte zu ihm gepasst. Und zu Deutschland auch.
Eine Lesung im herkömmlichen Sinne war es nicht, was Wladimir Kaminer am Dienstag seinen Fans in der bestens gefüllten Arnstädter Stadthalle bot. Zwar hatte er zahlreiche seiner mittlerweile etwa 17 Bücher dabei, gab aber auch Einblick in noch unveröffentlichte Manuskripte – und kam zwischendurch ins Erzählen. Wobei die Grenzen zwischen dem, was spontan und was schon irgendwann irgendwo aufgeschrieben worden war, bei diesem Autor immer fließend sind. Das Publikum, zu großen Teilen mit dem umfänglichen Werk bestens vertraut, störte es nicht. Denn einer wie Kaminer wirkt eben auch durch seine Präsenz.
So waren am Ende wohl alle mit diesem Abend zufrieden, getreu dem Motto des hintergründigen Akteurs: Man solle doch Geschriebenes nicht so ernst nehmen, sonst hat man den Salat. Eine Sicht, der sich ein Journalist nur sehr nachdrücklich anschließen kann.