Gerade wurde mal wieder ein Baustopp in Dresden verhängt, wenn auch nur für eine Woche. Die Kämpfe um die Waldschlösschenbrücke wollen nicht enden. Das Stuttgart 21 des Ostens hat schon einen Welterbe-Titel gekostet, eine langfristige Lösung für den Verkehr wird die Brücke nicht bringen. Ein Durcheinander, das sich die Dresdener ganz alleine eingebrockt haben.
Früher galten Brücken als Symbol des Zusammenwachsens. Man schlug sie zwar auch schon, aber nicht aus Wut, sondern frohgemut zu anderen Ufern. Seit den Dresdener Ereignissen (man redet gern von Ereignissen, wenn die Lage unübersichtlich ist) muss man bei „Brücke“ eher an den Zahnarzt denken. Es klemmt hinten und vorn, nie sieht es richtig gut aus und oft tut es weh. Unesco und Krankenkassen raten deshalb: Brücken nur im absoluten Notfall.
Dresden ist ein Notfall. Wer im Berufsverkehr versucht, das „Blaue Wunder“ zu überqueren, kann seines erleben. Deshalb wird seit Jahrzehnten ein neuer Übergang gesucht. Weil es städtische Grundstücke am Waldschlösschen gibt, fiel die Wahl nicht schwer.
Es ist nur leider die falsche Stelle. Die Waldschlösschenbrücke wird das „Blaue Wunder“ vielleicht entlasten, aber damit auch zu mehr Verkehr führen. Staugeplagte Autofahrer müssen auf der einen Seite das Ufer kilometerweit bis zum Waldschlösschen hinunterfahren, um auf der anderen Seite wieder hinaufzufahren. Auf der Stadtseite nämlich führt die Straße von der Brücke direkt zum „Großen Garten“, dem Park in der Stadt. Und da muss man irgendwie immer drumherum.
Die Brückenplanungen an der falschen Stelle wurden allerdings von einem anderen freudigen Ereignis überschattet: Die Unesco erwog schon 2002, dem schönen Elbtal den begehrten Titel „Weltkulturerbe“ zu verleihen. Am Brückenplan scheint sich die Unesco nicht zu stören. Der Beschluss des Stadtrats, die Brücke am Waldschlösschen zu bauen, fällt im August 1996, den ersten Spatenstich gibt es 2000. Als im Juli 2004 die Unesco das Dresdner Elbtal in die Liste des Weltkulturerbes aufnimmt, weiß jeder in Dresden, was am Waldschlösschen passieren soll. Nur die Unesco will es nicht gewusst haben.
Natürlich gibt es Brückengegner. Doch solange das Geld für den Bau fehlt, beschränkt sich dieser Kreis weitgehend auf Anwohner, die nichts als ihre Ruhe haben wollten. Der Rest der Dresdener wünscht sich einfach eine neue Brücke, egal wo. Als 2005 eine eigenartige Koalition aus CDU, FDP und ADAC auf die Schnapsidee kommt, per Bürgerentscheid über das Waldschlösschen-Projekt entscheiden zu lassen, stimmt deshalb eine Mehrheit dafür. Und das Unheil nimmt seinen Lauf.
Jetzt kommen Gut-Menschen ins Spiel, vor allem die Besser-Menschen. Zum Beispiel Günter Voigt, Zahnarzt in Dresden, also berufshalber Brückenexperte. Er gehört zur Front der Brücken-Gegner und hat einen bekannten Bekannten: den gebürtigen Dresdener, Mediziner und Nobelpreisträger Günter Blobel, wohnhaft in Amerika. Nach dem Bürgerentscheid für die Brücke scheint es nur noch eine Variante zu geben, sie zu verhindern: ganz großes Theater. Und so gibt es Telefonate zwischen Zahnarzt Voigt und Blobel. Danach trifft sich letzterer mit Francesco Bandarin, dem Chef der Unesco-Welterbekommission in Paris. Seit diesem Gespräch droht plötzlich die Unesco, dem Elbtal die Liebe zu entziehen.
Die Nachricht vom bedrohten Titel wird von den Brückengegnern wie ein Sieg gefeiert, ist aber einer aus dem Hause Pyrrhus. Denn Dresden hat einen Bürgerentscheid, der sagt, die Brücke muss gebaut werden, mit oder ohne Welterbe. Darüber gibt es sogar ein Gerichtsurteil.
In dieser schier aussichtslosen Lage greifen die Brückengegner zu einer weiteren heimtückischen Waffe: der kleinen Hufeisennase. Die bedrohte Fledermausart ist zwar nicht am Waldschlösschen heimisch, aber sie könnte es ja werden, so das Argument. Dabei sowie beim Fliegen könnte die Brücke stören.
Es folgt ein neuer Prozess, der mit folgendem Urteil endet: Die kleine Hufeisennase hat mit Brücken keine Probleme, denn sie verfügt über Radar. Deshalb kann die Brücke gebaut werden. Probleme könnte es nur in der Nacht geben, wenn Insekten sich um die Brückenlampen versammeln, die gierige Hufeisennase im Beuteanflug nicht aufpasst und mit einem schnellen Auto kollidiert. Um das auszuschließen, wird angeordnet, des Nachts die Höchstgeschwindigkeit auf 30 Stundenkilometer zu begrenzen und dies durch Radar zu kontrollieren. Aber nicht durch das der Hufeisennase.
Mittlerweile hat Dresden seinen Welterbetitel verloren und wird dafür – trotz des aktuellen Baustopps – eine Brücke bekommen, die den Verkehr nicht entlastet. Eine ausweglose Lage, in die sich die streitenden Dresdener selbst gebracht haben.
Aber damit ist die Brücken-Debatte nicht beendet. Irgendwann werden auch die Dresdener merken, dass ihre Waldschlösschenbrücke auch von Lkws genutzt werden wird, die den kürzeren mautfreien Weg aus Osten von der A 4 in Richtung Prag zur A 17 gern nehmen – und dabei den autofreien Großen Garten umkurven müssen. Und so ist eine neuer Tunnel-Disput zu erwarten: ob nicht der viele neue Verkehr unterirdisch unter dem Großen Garten hindurch geführt werden könnte.
Später dürfte dann eine andere Brücke in den Mittelpunkt rücken: das „Blaue Wunder“, mit dem eigentlich alles anfing. Die Brückenkonstruktion macht es nicht mehr lange. Und so muss geklärt werden, ob die Brücke völlig rekonstruiert oder durch eine neue ersetzt wird. Oder ob man vielleicht einfach in der Nachbarschaft eine weitere, etwas breitere baut.
Wozu dann die Waldschlösschenbrücke noch nütze wäre? Zum einzigen, wozu sie schon immer trefflich taugte: zum Streiten.
Jede Stadt hat wohl ihre „Waldschlösschenbrücke“. In Arnstadt heißt sie sie „Shared Space“ – schade, dass darüber ( noch) zu wenig geschrieben wird. Man wird sich wohl gedulden müssen bis das Kind in den Brunnen gefallen ist…