Stephan Kunze, SPD-Stadtrat und angehender Jurist, kommentiert gern im Internet die Veröffentlichungen dieser Zeitung zur Arnstädter Kommunalpolitik. Meist hat er juristisch daran etwas auszusetzen. So auch in der vergangenen Woche, als es um die Frage ging, ob es auf Antrag der Opposition eine Sondersitzung des Stadtrats geben wird. „Es gibt im Stadtrat weder eine Opposition noch gibt’s eine Sondersitzung“, stellte Jurist Kunze daraufhin ganz formal fest.
Nun lässt sich darüber streiten, ob eine nicht geplante Zusammenkunft des Stadtrates als Sondersitzung bezeichnet werden darf. Aber im übertragenen Sinn hat Kunze die jüngste Entwicklung offenbar vorausgesehen. Es wird wirklich keine Sondersitzung des Stadtrates im November geben. Weil es die Opposition im Stadtrat, so wie man sie kannte, nicht mehr gibt.
Die Ausgangssituation: Bürgermeister Hans-Christian Köllmer (Pro A) hatte die für den vergangenen Donnerstag geplante Stadtratssitzung abgesagt, weil es aus seiner Sicht nichts zu beraten gab. Und die „Linke“ hatte, wie öfter in solchen Fällen, eine Sondersitzung beantragt, weil sie durchaus Beratungsbedarf sieht. Das Problem an der Sache: Allein kann die Fraktion der „Linke“ keine Einberufung des Stadtrats durchsetzen, für das nötige Viertel der Stadträte fehlt ihr genau eine Stimme. Sonst konnte man sich darauf verlassen, dass die SPD in solchen Fällen mitmachte, auch diesmal gab es solche Signale. Doch es kam anders. Die SPD fand die Sitzung doch nicht so dringend und zog die Zusage zurück. Der Stadtrat tagt nun erst wieder planmäßig am 8. Dezember. Falls zu diesem Termin nicht alles abgearbeitet werden kann, gibt es ein Nachsitzen am 20. Dezember. Das beschloss am Mittwoch der Hauptausschuss.
Unabhängig davon, ob man diese Entscheidung sachlich angemessen findet: Der Vorgang ist typisch für eine Entwicklung, die man schon länger im Stadtrat beobachten kann. Die gewohnten Bündnisse bei Abstimmungen brechen zunehmend auf. Das betrifft die Mehrheit auf der Bürgermeister-Seite, die sich gewöhnlich aus Pro Arnstadt, der CDU und Bürgerforum/FDP zusammensetzte und auch die „Opposition“ aus „Linke“ und SPD. Es wird einerseits sachbezogener abgestimmt, zum Teil auch quer durch die Fraktionen. Und es gibt völlig neue Bündnisse auf Zeit. So sind sich zum Beispiel beim städtischen Engagement für die Fachhochschule Kunst Pro Arnstadt und die SPD relativ einig, während die Bedenkenträger bei der Linken und der CDU sitzen.
Der Stadtrat ist unberechenbarer geworden, das bekamen zuletzt auch Investoren zu spüren, deren Bauanträge völlig überraschend bei der Abstimmung durchfielen. Der Grund dafür sind die Landrats- und Bürgermeisterwahl am 22. April 2012. Dafür suchen die Parteien schon jetzt die besten Ausgangspositionen. Denn ein absolutes Leitthema, das alle Bürger beschäftigt, gibt es wohl nicht. Die Wirtschaft brummt, scheinbar ohne großes Zutun aus dem Rathaus, die Arbeitslosigkeit ist so gering wie lange nicht. Womöglich wird die Wahl irgendwo zwischen Bismarckbrunnen und Obertunk oder der zu leeren oder vom Verkehr zu vollen Innenstadt (je nach Sichtweise) entschieden. Keiner weiß es so genau.
Und so sind manche aktuellen Anträge schon Wahlkampf, ob es nun die Verkehrsfreigabe der Rankestraße (CDU) oder die Einrichtung einer Jugendherberge (Linke) ist. Dass solche strategischen Vorschläge, die eigentlich ein Bürgermeister machen sollte, die Tagesordnungen verstopfen, wird sich kaum verhindern lassen. Eine Stadtratssitzung ist das preiswerteste Podium, um eigene Argumente öffentlich zu machen.
Deshalb kann man sicher sein, dass der Ersatz-Termin vor Weihnachten gebraucht und es noch viele Berichte über den Stadtrat geben wird, die Stephan Kunze hinterher fachlich kommentieren kann.