Im Thüringer Verfassungsschutz ging es um die Jahrtausendwende drunter und drüber. Wer damals mit welchem Spitzel zusammengearbeitet hat und wer wen auffliegen ließ, war selbst für Experten schwer zu erkennen. Die Sache, mit der ich mich damals ausführlich beschäftigt habe, schien längst vergessen – bis zu den jüngsten Ereignissen, die möglicherweise auch die alten Geschichten in neuem Licht erscheinen lassen. Mein Fazit von damals: Sicherheitsbehörden, die im Verborgenen arbeiten, ist alles zuzutrauen. Aber viel traue ich ihnen seitdem nicht mehr zu. Daran hat sich nichts geändert.
Eine der alten Geschichten führte mich nach Coburg, nach wochenlangen Recherchen vorher. Aber es ging dabei um ein zutiefst thüringisches Problem.
Hinter einem griechischen Restaurant unweit des Coburger Bahnhofs parkte bis zum Mai 2001 donnerstags Mittag öfters ein schwarzer Mercedes der A-Klasse mit einem Erfurter Kennzeichen, das selbst der Polizeicomputer ohne schriftlichen Antrag nicht identifizieren wollte. Der Fahrer benutzte den Híntereingang zur Gaststätte, in der sich gegen zwölf Uhr kaum Gäste aufhielten. Etwas später kam auch sein Gesprächspartner zu Fuß und durch die Vordertür. Tino Brandt (damals 26) arbeitete im nahen Verlag Nation und Europa des Neonazis Peter Dehoust als kaufmännischer Angestellter. Und eine Wochenstunde nebenbei als gut bezahlter Spitzel für den Verfassungsschutz.
Als ein Jahr vorher der Neonazi Thomas Dienel als Informant des Geheimdienstes enttarnt worden war, war die Aufregung groß. Alles andere als politisch klug, wertete damals Innenminister Christian Köckert (CDU) die Anwerbung des Spitzen-Funktionärs, von der er ebenfalls nichts gewusst haben will. Allerdings war Dienel da schon längst in der Szene abserviert. Brandt hingegen hatte sich, auch mit Geld vom Verfassungsschutz, erst zu einer Führungsfigur der rechten Szene im Lande empor gearbeitet.
Schon als Schüler rief Brandt in Rudolstadt und Bad Blankenburg befreite Zonen aus, 1997 war er Mitinitíator von Aufmärschen in Saalfeld und machte aus dem Ostthüringer Schläger-Trupp Anti-Antifa den straff geführten Thüringer Heimatschutz, aus dem auch die berüchtigten Bombenbastler von Jena stammen, deren spätere Taten nun die Bundesrepublik erschüttern. In dieser Zeit wurde Brandt zum Geheimdienst-Zuträger.
Dann folgte die politische Karriere. Wie im Handstreich eroberten Brandt und seine Helfer 1999 den Landesverband der NPD. Brandt selbst wurde Vizechef und Pressesprecher, organisierte Aufmärsche in Erfurt, Gera und Weimar und geißelte öffentlich die Verbotsurteile von Gerichten als Schande für den Rechtsstaat, sprach von Verhältnissen wie in China und der DDR.
Alles als V-Mann des Geheimdienstes. Erst nach einem Eklat in Jena bekam der Verfassungsschutz Bedenken: Als man eine Veranstaltung der Burschenschaft Jenensıa mıt dem Coburger Rechtsaußen Peter Dehoust observierte, tauchte der Heimatschutz als Saalordner auf, Tino Brandt mittendrin. Daraufhin wies der damalige Chef des Geheimdienstes Helmut Roewer im Mai 2000 die „Abschaltung“ Brandts an.
Doch da saß er selbst schon nicht mehr fest im Sattel. Seine Gegner im eigenen Amt, zu denen auch der Abteilungsleiter Rechtsextremismus Friedrich-Karl Schrader zählte, hatten seit dem Regierungswechsel 1999 Morgenluft gewittert und versucht, den neuen Innenminister Christian Köckert (CDU) per Dienstaufsichtsbeschwerden von der Unfähigkeit Roewers zu überzeugen.
Das hatte zunächst scheinbar wenig Erfolg, aber dann gab es ein einschneidendes Ereignis: Aus dem Amt heraus wurde kolportiert, dass der Spitzen-Neonazi Dienel als Spitzel für den Verfassungsschutz gearbeitet hatte. Kurz nach Dienels Enttarnung wurde Roewer beurlaubt – und kehrte nie wieder auf seinen Posten zurück.
Was folgte, war ein Desaster im Verfassungsschutz. Es gab alles: Untersuchungen, Versetzungen von Roewer-Getreuen, Indiskretionen, Denunziationen. Aber was es kaum noch gab, waren Spitzel in der rechten Szene. Da erinnerte man sich an Tino Brandt. Der war zwar mittlerweile auch ein Spitzen-Nazi geworden, aber man konnte ja nicht auf alles Rücksicht nehmen, was die Öffentlichkeit und der Minister an Zurückhaltung erwartete. Brandts langjähriger Verbindungsmann im Verfassungsschutz setzte sich nachdrücklich für dessen Reaktivierung ein. Der amtierende Chef Peter Nocken, vorher Roewers Stellvertreter, hatte offenbar nichts dagegen, wenn sich Brandt wenigstens von einem politischen Amt trennen würde. Kurz darauf, oh wundersame Wendung, legte dieser sein Amt als Pressesprecher der Landes-NPD „aus technischen Gründen“ nieder.
Und so trafen sie sich wieder fast wöchentlich zum Essen in Coburg. Der Mann vom Verfassungsschutz mit einer Schreibmappe, die er eifrig füllte. Dafür füllt sich im Gegenzug Brandts Konto. Hinterher hieß es, es habe sich nur um „Nachsorgetreffen“ gehandelt. Aber das hätte wohl jeder so gesagt, der dabei ertappt worden ist. das gelang im Frühling 2001, am 12. Mai stand der Beitrag in der „Thüringer Allgemeine. Zunächst dementierten alle und drohten mit teuren Verleumdungsklagen, aber schließlich gab Brandt die Sache selber zu.
Die öffentlichen Enttarnungen von Spitzeln der rechten Szene führten damals dazu, dass sich viele V-Männer zurückzogen. Ob die Bombenbastler von Jena, die später zu Mördern und Bankräubern wurden, damals auch V-Männer waren, ist eine der ungeklärten Fragen, die auch zehn Jahre nach den Unruhen im Verfassungsschutz geblieben sind.
Eigentlich wäre es unlogisch, wenn der Verfassungsschutz damals versucht hätte, mit den späteren Mördern zusammenzuarbeiten. Denn sie waren schon früh kriminell geworden und hatten sich weitgehend auf sich selbst zurückgezogen, Informationen über andere hätten sie also wohl kaum liefern können. Und was ich heute noch so höre, spricht eher dafür, dass der Verfassungsschutz Ende der 90er Jahre einiges getan hat, um das flüchtige Trio aufzuspüren – aber ohne Erfolg. Und in den Wirren des Umbruchs ab 2000 ist die Suche dann irgendwie untergegangen und auch hinterher nicht wieder aufgenommen worden.
Aber sicher bin ich mir natürlich nicht. Nur in einem: In deutschen Geheimdiensten ist alles möglich. Denn es ist keiner da, der sie wirklich kontrollieren kann. Weder das Parlament noch der zuständige Minister.
Der damalige Innenminister Christian Köckert stolperte übrigens wenig später ebenfalls über eine Geheimdienst-Affäre. Aus seinem Tresor verschwand auf mysteriöse Weise eine Sicherheitskopie einer Festplatte, die seinem Vorgänger bei einem Ministeriums-Umzug abhanden gekommen war. Darauf befanden sich wichtige Daten mit Geheimdienst-Informationen. Die CD ist nie wieder aufgetaucht.
Der Geheimdienst in Deutschland ist ein großes Paradox. Es ist eine undemokratische Organisation, die die Demokratie schützen soll. Es ist immerhin gut, dass sie nicht als Polizei agieren kann – dann wäre alles aus.