Das Jonastal ist einer der interessantesten Gegenden der Region. Es weckt Begehrlichkeiten bei Raubgräbern, zieht gehirnkranke Naziverehrer an, aber auch Naturfreunde auf der Suche nach seltenen Tieren und Pflanzen. Gestörte Motocrossfahrer ruinieren regelmäßig die Muschelkalkhänge und es gibt schwierige Besitzverhältnisse. Und mittendrin müht sich ein Verein, abseits von kruden Verschwörungstheorien die Wahrheit zu erforschen und das Gedenken zu bewahren. Eine Sisyphosarbeit im Tal der Wilden Weiße.
Das Flussbett der Wilden Weiße ist trocken geblieben. Von dem Schnee, der in den Bergen getaut ist, hat kein Schmelzwasser den Weg durch das Jonastal genommen. Doch der »Frühjahrsputz« des Jonastal-Vereins auf den Wegen entlang der geschichtsträchtigen Route ist trotzdem in diesem Jahr besonders aufwendig. Sonst konnte man sich nach dem Winter darauf beschränken, die Durchgänge frei zu schneiden und hier und da ein Geländer neu zu befestigen.
Doch diesmal geht es darum, ganz neue Wege durch das Tal zu erschließen. Denn einige, auf denen früher die interessierten Besucher geführt wurden, sind nun gar nicht mehr nutzbar. Zumindest vorläufig.
»Es ist eben eine Gegend, wo viele etwas zu sagen haben«, sagt Johannes Alt, der Vorsitzende des Vereins, der sich offiziell Geschichts- und Technologiegesellschaft Großraum Jonastal« nennt. Der Truppenübungsplatz der Bundeswehr reicht bis ins Tal hinein, die anderen Grundstücke gehören zum Teil den Gemeinden ringsum und Privatpersonen.
Das Bergamt ist für die Stollen zuständig und der Naturschutz für die vielen seltenen Tiere und Pflanzen in dem geschützten Gebiet. Mittendrin versuchen die Vereinsmitglieder den schwierigen Spagat zwischen Erinnerung an die Tausende von Häftlingen, die bei den Arbeiten ums Leben gekommen sind und der Erforschung dessen, was die Nazis dort in den Stollen tatsächlich vorhatten oder realisierten.
Dazu gibt es ein Dokumentationszentrum im historischen Bahnbetriebswerk in Arnstadt, aber ein wichtiger Teil der Vereinsarbeit sind die Exkursionen ins Jonastal selbst, zu den Überresten der Anlagen und Stollen. Harald Böhme ist zwar im November aus Altergründen aus dem Vereinsvorstand ausgeschieden, aber durch das Tal will er auch weiter führen. Entlang der vom Verein angelegten und gepflegten Wege, die mit farbigen Dreiecken gekennzeichnet sind, wie sie die Häftlinge damals tragen mussten.
Doch einige davon befinden sich in bedauernswertem Zustand. Bei der Holzernte wurden nicht nur Markierungen und Befestigungen beschädigt, zum Teil sind die Wege gar nicht mehr begehbar. Es gibt zwar Pachtverträge mit dem Besitzer, aber im Augenblick besteht der Kontakt nur aus schriftlichen Stellungnahmen. Das Verhältnis ist kühl.
Das war nicht immer so. Der jetzige Besitzer der Flächen war früher sogar Vereinsmitglied, der Kauf sollte die Arbeit des Vereins unterstützen. Doch dann kam es zu Meinungsverschiedenheiten und zum Austritt aus dem Verein. Mittlerweile wird kaum noch miteinander geredet. »Wir wissen nicht, ob der Besitzer die Wege wieder instandsetzen will und wie es weitergeht«, sagt Vereinschef Johannes Alt.
Und es gibt auch noch ein anderes Problem. Wegen der Steinschlaggefahr von den Muschelkalk-Hängen hat die Stadt Arnstadt, der die dortigen Flächen gehören, Verbotsschilder aufgestellt. »Wir müssen unserer Sicherungspflicht nachkommen«, sagt Stadtsprecherin Angelika Stiel. Doch durch die jetzt gesperrten Areale führten bisher die gekennzeichneten Exkursionswege.
Deshalb waren am Sonnabend etwa 15 Mitglieder des Jonastalvereins damit beschäftigt, neue Routen durch das Tal zu erschließen. Abseits der Sperrschilder und auch außerhalb des Privatgeländes. Man kann nun nicht mehr ganz so nah an die zugemauerten Stolleneingänge und die vom Verein frei gelegte Kompressoranlage heran. Aber Geschichte erleben – das soll auch künftig im Jonastal möglich sein. Das hat sich der Verein fest vorgenommen.
Denn die Beschäftigung mit dem Tal will man nicht den Raubgräbern überlassen, die ohne Rücksicht auf die Natur immer wieder zu suchen anfangen. Und auch nicht den Scharen von Motocross-Fahrern, die in den sensiblen Muschelkalk-Hängen des Naturschutzgebiets ihre zerstörerischen Reifenspuren sichtbar hinterlassen.
Das, was hingegen der Verein leistet, ist eine stille, aber nachhaltige Arbeit zur Geschichtsaufarbeitung. Manchmal vielleicht sogar ein bisschen zu still. Denn wenn man mehr miteinander redet, lassen sich oft auch gemeinsame Wege finden.
Es wäre schön, wenn endlich alle zusammenfänden, die das Jonastal und die Erinnerung an die Opfer bewahren wollen. Und wenn man jene, die nur zerstören und verklären wollen, nicht weiter unbehelligt gewähren ließe.