Der Obelisk-Häufigkeit nach ist Rom die ägyptischste Stadt der Welt. Die Eingeborenen ernähren sich hauptsächlich von erstaunlich dünn ausgerollten, aber in der Regel dürftig belegten Teigfladen, die entfernt an eine Pizza erinnern – und von Eis, manche Läden führen davon bis zu 150 Sorten. Der Straßenverkehr mutet chaotisch an, aber er funktioniert. Jeder Stein ist alt und unheimlich bedeutend, die Repräsentanten der Macht sind es überwiegend auch. Wir waren ein paar Tage in Rom, als gerade einer der bedeutenden alten Männer überraschend abdankte und ein anderer drohte wiederzukommen.
Dass italienische Schuhe einen guten Ruf haben, führte ich bisher eher auf modische Aspekte zurück. Nun, um die Erfahrung eines Rom-Besuchs reicher, weiß ich: Die konnten gar nicht anders. Die müssen ordentliche Schuhe haben. Mit den berühmten Sandalen, die man aus den gleichnamigen Filmen kennt, konnten römische Krieger vielleicht Thrakien erobern, aus Ägypten Obelisken abtransportieren oder zur Not auch noch aus dem Teutoburger Wald weglaufen, aber für die Hauptstadt brauchte und braucht man andere Treter.
Rom lässt sich nicht wie andere Großstädte über ein ausgebautes U-Bahn-Netz erschließen. Schon der Bau der wenigen vorhandenen Linien muss ein Geduldsspiel gewesen sein – angesichts des historischen Gerümpels, das hier über und unter der Erde liegt. Die ganze Stadt sieht im Grunde aus wie ein Kinderzimmer kurz vor der Schlafenszeit: Wo in anderen Städten Bankentürme oder Einkaufszentren entstanden wären, hat man in Rom resigniert und einfach alles liegenlassen. Die Römer machten daraus sogar eine Attraktion und nannten sie Forum Romanum. Wenn man da durch will, geht das nur zu Fuß.
Es gibt zwar auch richtige Straßen in Rom, aber von deren Benutzung ist mitteleuropäischen Autofahrern dringend abzuraten. Die einzig erkennbare Regel folgt der Chaostheorie, doch dafür funktioniert der Verkehr erstaunlich gut. Man kommt mit Bus oder den paar Straßenbahnen recht zügig vorwärts. Aber bitte nicht nach vorne setzen und auf den Verkehr achten. Besonders, wenn man vorher einen von diesen pizzaähnlichen Teigfladen gegessen hat. Oder 10 Kugeln von diesem wunderbaren Eis.
Was zu erwarten war: Der Papst schaut einen aus jedem Souvenirshop an. Was weniger zu erwarten war: Der da schaut, ist meistens Wojtyla. Auf einen Benedikt kommen gefühlte fünf Johannes Päule. Jener, der zwar auch nicht über Wasser, aber doch durch den Eisernen Vorhang zu gehen verstand, scheint sich auch Jahre nach seinem Tod besser zu verkaufen als ein lebender deutscher Schriftgelehrter, auch wenn er (noch) den Hut auf hat.
Dennoch war die aktuelle Aufregung im Vatikan zu bemerken, rund um den Petersplatz war eine beeindruckende Zahl von Fernseh-Übertragungswagen postiert. Auch die Warteschlange für die Vatikanischen Museen war für Februar außergewöhnlich lang. Wahrscheinlich wollten alle schnell noch einmal die Sixtinische Kapelle besichtigen, bevor zugesperrt wird. Es soll ja schon Papstwahlen gegeben haben, die drei Jahre dauerten. Wir nahmen es als Fingerzeig, um den berühmten Fingerzeig einen großen Bogen zu machen und uns den anderen Sehenswürdigkeiten der Stadt zu widmen.
Der nahe gelegenen Engelsburg zum Beispiel, die uns mit der wohltuenden Abwesenheit von Menschenverklumpungen empfing und dabei doch so viel zu bieten hat. Nicht nur die zauberhaften Fresken oder den Blick über die Stadt (sollte man vom Petersdom wirklich einen besseren haben?), sondern auch die wechselvolle Geschichte vom Mausoleum über den Papstsitz bis zum Gefängnis. Obwohl, im Grunde sind die Unterschiede da wohl gar nicht so gewaltig.
Die Engelsburg verdankt ihre Entstehung Kaiser Hadrian. Der ließ zu seinem Amtsantritt, so erfuhren wir vom Audio-Guide, sämtliche Schuldscheine verbrennen, was ihm bei der Bevölkerung zu hohem Ansehen verholfen haben soll. Mit dem Senat allerdings lag er zeitlebens überkreuz. Das klingt irgendwie zeitgemäß, man sollte sich diese Hadriansche Variante eines Schuldenschnitts aus europäischer Sicht vielleicht heute noch einmal genauer ansehen. Insofern verwundert, dass wir in der Engelsburg keine Besucher aus Griechenland getroffen haben. Berlusconi allerdings muss kürzlich da gewesen sein. Denn er hat für den Fall, dass er die anstehenden Wahlen erneut gewinnen sollte, eine Abschaffung (und Rückzahlung) der Grundsteuern angekündigt. Koste es, was es wolle. Es lebe der Kaiser!
In die Nationalgalerie der modernen Kunst lockte uns die Aussicht auf zwei van Goghs, einen Klimt und noch so einiges aus der Impressionismus-Ecke. Das Museum ist, um es vorsichtig zu sagen, interessant gestaltet, so wie es sich heute scheinbar immer mehr durchsetzt: Man hängt und stellt alles durcheinander. Das bringt überraschende Kontraste, wer vermutet schon einen Monet neben einem gläsernen Kamel. Aber wer sich auf eine solche Schnitzeljagd einlässt, kann tolle Entdeckungen machen. Wir entdeckten zum Beispiel Guiseppe de Nittis und Renato Guttoso, von dem wir uns später noch eine umfangreiche Personalausstellung im Complesso del Vittoriano gönnten. (Den verlinkten Text zur Ausstellung sollte man sich übrigens schon wegen der missglückten Übersetzung gönnen: „Wenn er noch am Leben waren, würden in diesem Jahr Guttuso 100 Jahre durchzuführen“.)
Doch zurück zur Nationalgalerie, wo wir gedachten, ausgiebig zwischen Skulpuren von gläsernen Kamelen nach sehenswerten Bildern zu stöbern – aber plötzlich von einer Aufsichtskraft die Tür vor der Nase zugeschlossen bekamen. Jeweils für eine Stunde, so wurde uns bedeutet, wird je ein Flügel des Museums geschlossen. Nicht etwa für eine Mittagspause, sondern von morgens bis nachmittags ist so immer ein Teil des Museums zu – bei vollem Eintrittspreis. So kann man natürlich auch sparen. Gut, dass sich gleich neben der Nationalgalerie die Villa Borghese befindet, die grüne Lunge Roms. Und die hat immer geöffnet.
Wenn man wie wir nur ein paar Tage hat, um Rom entdecken, sollte man unbedingt von einer To-do-Liste absehen. Sicher ist es schön, abends an der Spanischen Treppe zu sitzen, der Illuminatenspur nach Dan Brown zu folgen oder zum Trevi-Brunnen zu pilgern (Das ist der aus „Dolce Vita“ mit Anita Ekberg). Und wenn es sich ergibt, bitte. Aber durch Rom zu hetzen, nur um all das gesehen zu haben, hieße, das Beste zu verpassen. Denn Rom gibt seine wahren Vorzüge nur preis, wenn man sich Zeit für diese stolze Schöne nimmt. Und so sind wir stundenlang einfach ziellos durch die Stadt gebummelt (und gefahren), haben an jeder Kirche geschaut, ob sie offen ist und uns von jeder schönen Gasse ablenken lassen. Manchmal fanden wir eine schöne Kassettendecke, manchmal hing da ein Caravaggio oder es lief ein Meridian direkt durch den Fußboden. Und auf diese Art gerieten wir am Sonntag zwischen Piazza Venezia und Colosseum sogar in eine Art bolivianischen Karnevals-Tanz-Umzug, von dem wir immer noch nicht wissen, was es eigentlich war.
Die Visite war zu kurz, um Rom kennenzulernen. Aber dass diese Stadt ewig und doch liebenswürdig ist, haben wir gespürt. Wer wie die Römer in Jahrtausenden rechnet, für den spielt es keine so große Rolle, wer die anstehenden Wahlen gewinnt oder demnächst im Vatikan einzieht. Hauptsache, man hat gute Schuhe. Und wer mit diesem Straßenverkehr zurecht kommt, den wirft so schnell nichts aus der Bahn.
Und das mit der Pizza kriegen sie vielleicht ja auch noch irgendwann hin. Uns hat es ohnehin nicht gestört, denn die Nudeln in allen Variationen waren vortrefflich. Man sollte nur nicht zu viel davon essen, damit noch Platz für Eis bleibt.