Arnstadt sitzt in der Schuldenfalle. Das jedenfalls sagen die Zahlen, die Bürgermeister Alexander Dill seit langem vorgelegt hat – und nun Sanierer Klaus Brodbeck bestätigt. Ob sie stimmen, kann niemand im Stadtrat nachprüfen. Aber der Stadtrat muss in relativ kurzer Zeit massive Einsparungen beschließen, sonst droht die Zwangsverwaltung, Und das alles mitten im Bürgermeister-Abwahlkampf.
Klaus Brodbeck ist ein erfahrener Sanierer. Nicht immer erfolgreich, aber er weiß, wie Landesbehörden in Thüringen ticken. Was man ihnen vorlegen muss, damit sie den Eindruck bekommen, eine Kommune müht sich aus eigener Kraft um die Verbesserung ihrer Finanzlage. Dafür hat er seine Schablone entwickelt. Er vergleicht die Werte des Patienten mit denen von anderen Kommunen und stellt dann fest, wo man sparen könnte.
So auch beim Patienten Arnstadt. Dem stellte er jetzt im Finanzausschuss eine niederschmetternde Diagnose. Und die Therapie ist noch niederschmetternder.
Die Steuereinnahmen Arnstadts sind im Landesvergleich passabel. Aber die Schulden sind viel zu hoch. Und die Ausgaben auch.
Also macht Brodbeck seine Vorschläge. Völlig unbeeindruckt davon, woran das Herz des Arnstädters hängen könnte und warum. Es muss gespart werden. Und wenn das die Arnstädter nicht gemeinsam schaffen, muss er eben sagen, wie es gehen könnte.
Theater? Hat Ilmenau auch nicht. Aber viel weniger Schulden. Und Theater gibt es in Meiningen, Erfurt und Weimar. Einen Katzensprung entfernt.
Tierpark? Ist zwar ganz schön, aber nicht notwendig.
Dass die Kindergartengebühren gerade erst angehoben wurden, weiß Brodbeck. Aber sie liegen noch immer unter dem Thüringer Durchschnitt. So wie die Verwaltungsgebühren oder die Steuern. Wer Geld vom Land haben will, muss bei Einnahmen über dem Thüringer Durchschnitt liegen.
Das ist die Schablone von Klaus Brodbeck. Wenn er sie benutzt, bestehen gute Chancen auf Finanzhilfen vom Land. Wenn nicht, kann er für nichts garantieren.
Die Mitglieder des Finanzausschusses können zunächst überhaupt nicht fassen, was Ihnen da vorgeschlagen wird. Steuer- und Gebührenerhöhungen, Schließungen ganzer Einrichtungen – und trotzdem soll es am Ende noch nicht reichen? Bis 2025 soll die Sparorgie mindestens gehen. Und trotzdem müsste das Land noch Geld zuschießen, von dem noch keiner weiß, ob es wirklich fließt.
Die Szene ist im Grunde ein Triumph von Bürgermeister Alexander Dill, den abwahlbedrohten. Denn das, was Brodbeck analysiert, hat Dill schon immer gesagt: Arnstadt ist pleite. Richtig kreative Vorschläge hat Dill allerdings nicht gemacht. Und es gelang ihm vor allem nicht, Mehrheiten für seinen Kurs im Stadtrat zu organisieren. Nun ist er raus aus der Nummer. Denn über Brodbecks Vorschläge muss nicht er, sondern der Stadtrat befinden. Der Stadtrat muss das Konzept der Grausamkeiten absegnen – oder ein anderes, das andere Grausamkeiten enthält. Aber eben trotzdem Grausamkeiten.
Als erster gewinnt Frank Kuschel die Fassung wieder, der Finanzexperte und Fraktionschef der Linken. Ehe man Ausgaben kürzt, müsse man doch zunächst die sinkenden Einnahmen in Zweifel ziehen, wo doch sonst überall die Steuern sprudeln. Und er hat einige Ideen, die ganz gut klingen, aber kurzfristig kaum zu realisieren sind.
Sie können gern etwas anderes vorschlagen, sagt Brodbeck. Aber es muss auch umsetzbar sein. Und die Einnahmen? Steuergeheimnis.
Mehrere Redner werfen dem Sanierer vor, er sei nur wenig kreativ gewesen für das viele Geld, das er bekommt. Es stimmt, pfiffige Ideen zur Rettung von Einrichtungen präsentiert er keine. Dafür hat er keine Schablone.
Solche Ideen müssten aus Arnstadt kommen, denn hier hängt das Herzblut an dem, was man hat. Aber sie sind nicht gekommen. Nicht unter Bürgermeister Köllmer, als schon einmal eine „Liste der Grausamkeiten“ im Gespräch war (bevor dann irgendwie doch wieder Geld floss und alle zufrieden waren). Und Alexander Dill wurde als Miesepeter verschrien, weil er immer wieder auf Finanzlöcher hinwies. Vielleicht ist er wirklich ein Miesepeter und kein guter Bürgermeister, vielleicht fließt auch jetzt irgendwann Geld, mit dem keiner gerechnet hat.
Aber aus der Nummer mit dem Haushaltsicherungskonzept kommen die Stadträte wohl kurzfristig nicht heraus. Sie müssen irgendwas beschließen, was allen weh tut. Sonst kommt die Zwangsverwaltung durch das Land und damit eine entmündigte Stadtpolitik.
Aber es wird wohl nichts mit einem solchen Beschluss. Denn nicht nur Sanierer Brodbeck hat seine Schablone, die Arnstädter Stadtpolitiker auch. Die „Linke“ sieht nur in Alexander Dill den, der Sozial- und Kulturstandards abbauen will. Selbst lehnen sie solch drastisches Sparen ab. „Pro Arnstadt“ will alles vermeiden, was ihren ehemaligen Bürgermeister Köllmer beschädigen könnte – und muss damit darauf beharren, dass doch auch früher genug Geld da war. SPD und Bürgerprojekt werden weiter bedingungslos Bürgermeister Dill stützen und tapfer leugnen, dass auch dieser in den vergangenen Jahren keinen richtigen Weg aus der Schuldenmisere gefunden hat. Und die CDU sitzt dazwischen und wartet, ob sich in all dem Durcheinander doch noch eine Chance für ihren Bürgermeisterkandidaten ergeben könnte.
Chance für einen Bürgermeisterkandidaten?
Ja richtig, da ist ja noch das Abwahlverfahren gegen Dill. Am 24. Januar 2016 müssen die Arnstädter darüber abstimmen, ob er im Amt bleibt oder ein anderer Insolvenzverwalter seinen Posten übernehmen darf.
Denn mehr kann auch ein anderer in diesem Amt in Arnstadt nicht ausrichten. Es sei denn, alle legten ihre Schablonen beiseite und suchten gemeinsam nach einem Ausweg aus der Misere. Denn was Arnstadt noch retten könnte, wäre statt des kleinlichen Parteiengezänks ein Schulterschluss zwischen dem Bürgermeister, wie immer er auch heißen möge, und dem Stadtrat. Dass nicht länger Authentizät mit Rechthaberei verwechselt wird und endlich die Kunst der Diplomatie die Geschicke der Stadt bestimmt. Wer nicht verwinden kann, dass ihm jemand sein Schäufelchen wegnimmt, sollte in die Sandkiste zurück.
Arnstadt hätte es verdient. Aber die Chance ist gering.
Siehe auch:
Liste der Grausamkeiten
Ein Gedanke zu „Schablonen“