Jetzt wissen wir, wie die Thüringer Landkreise künftig aussehen sollen. Ob das vernünftig ist, kann keiner sagen. Denn niemand weiß, welche Aufgaben Kreise und Gemeinden künftig zu erledigen haben. Und was der Bürger davon hat.
Nach 1716 hat es Arnstadt schlimmer getroffen. Plötzlich war die Stadt ihren Residenz-Status los, der neue Fürst regierte nun von Sondershausen aus. In der Folge verfiel das einst prächtige Schloss Neideck. Die Ruine zeugt noch heute davon, was Gebietsreformen anrichten können.
Nun sollen wir also von Gotha aus regiert werden, sagt die Karte mit dem Arbeitstitel „Modell Bogumil 8+2“. Es heißt so, weil die Reform fachlich von Prof. Jörg Bogumil aus Bochum betreut wurde und diese Variante acht Kreise und zwei kreisfreie Städte vorsieht. Wer beim Zusammenschluss von Ilmkreis und Gotha das Sagen hat, kann man im Gutachten von Prof. Bogumil nachlesen:
Der Landkreis Gotha zählt zu den entwicklungsstärksten Landkreisen in Thüringen und würde durch den „durchschnittlich“ gut aufgestellten Ilm-Kreis gut ergänzt werden.
Das klingt nicht nach Zusammenschluss auf Augenhöhe, sondern eher nach Beitritt wie damals 1990.
Bogumil hat noch eine andere Landkarte in sein Gutachten gemalt. Nach „Modell Bogumil 9+2“ wäre der Ilmkreis mit Saalfeld-Rudolstadt fusioniert worden. Insgesamt erscheint die Kreisstruktur in diesem Modell stimmiger, Zusammenschlüsse von 3 Kreisen werden vermieden. Aber der Wartburgkreis müsste geteilt werden. Zu viel Aufwand, wurde entschieden. Den Zuschlag erhielt die erste Variante mit dem Kreis „Gotharn“. Oder so ähnlich.
Na gut, dann haben wir eben jetzt auch eine Waldbahn, eine Marienglashöhle und ein Sinfonieorchester. Nur mit Schloss Reinhardsbrunn sollen sie uns verschonen, sanierungsbedürftige Hütten haben wir schon genug. Der Beitritt zum Verkehrsverbund Mittelthüringen dürfte dagegen besiegelt sein, verbunden mit höheren Stadtbuspreisen und günstigeren Tickets für Fahrten bis nach Jena oder Gera. Oder nach Gotha eben, zum Landratsamt.
Dass der, die oder das Landrat in Gotha sitzen wird, ist wahrscheinlich, aber nicht sicher. Vielleicht kriegt Arnstadt auch einen Mitleidsbonus. Die meisten Leute dürfte es sowieso wenig interessieren, denn es soll wohl außer der Verwaltungsspitze kaum jemand umziehen. Bürgerkontakte zur Kreisverwaltung sind ohnehin die Ausnahme. Nur für Vereine, Verbände und andere Bittsteller werden die Wege zum Fördergeld länger. Und es wird sich auch nicht mehr jedes Feuerwehrfest durch die Verwaltungsspitze beehren lassen. Landräte zum Anfassen werden mit Sicherheit seltener.
Was sich sonst noch ändert, weiß keiner. Denn man hat die Reform mittendrin begonnen. Der Anfang, auf den die Kreis- und Gemeindereform eigentlich aufbauen sollte, fehlt noch: die künftige Aufgabenverteilung.
Durch eine „Verwaltungsreform“ sollen alle Aufgaben möglichst weit nach unten verlagert werden. Nach dem Motto: Was in der Gemeinde erledigt werden kann, soll auch dort erledigt werden. Und vieles, was das Land derzeit bestimmt, wäre bei den Kreisen besser aufgehoben. Eigentlich eine gute Idee. Hääte man sie schon umgesetzt, wäre auch einleuchtender gewesen, warum sich Gemeinden und Kreise überhaupt zusammenschließen sollen: Weil sie wichtiger werden. Und selbständiger.
Diese kühne Plan überfordert aber offenbar Landespolitik und Landesbehörden. Wer arbeitet schon gern an seiner eigenen Schwächung oder gar Abschaffung? Und so gibt es von der „Verwaltungsreform“ bisher lediglich den Entwurf eines „Grundsätzegesetzes“, den man lustigerweise am ehesten auf der Internetseite „Riechheim.de“ findet. Konkret ist der Entwurf nicht, man liest nur verschwurbelte Sätze wie „Soweit rechtlich möglich, fachlich vertretbar und bezüglich der Verteilung der politischen Verantwortung angemessen, soll daher die Aufgabenwahrnehmung auf der jeweils leistungsfähigen untersten Verwaltungsstufe erfolgen.“ Übersetzt: Wir werden alles tun, um das zu verhindern.
Das Gezerre dürfte noch eine ganze Weile andauern. Exemplarisch ist der Streit und das Landesverwaltungsamt, das ein Teil der Koalition auflösen und ein anderer behalten will. Am Ende wird es wohl aufgelöst und trotzdem bleiben: Als gemeinsamer Standort verschiedener Ministeriumsanhängsel.
Weil das alles zu lange dauert, wird der zweite Schritt vor dem ersten getan. Es werden Kreisstrukturen zementiert, bevor man weiß, in welchen Strukturen die Kreisverwaltung künftig arbeiten soll. Gleiches gilt für Gemeinden. Prof. Bogumil hat in seinem Gutachten ausdrücklich eingeräumt, dass er sich dazu keine Gedanken machen sollte:
„Fragen der Neugliederung auf Gemeindeebene und der Funktionalreform gehören nicht zum Untersuchungsauftrag.“
Aber Menschen sind komisch. Sie hängen am Gewohnten, wenn man ihnen nicht erklären kann, wozu eine Veränderung gut sein soll. Das sollten Politiker wissen.