1965 war das Jahr, als Walter Ulbricht auf dem 11. Plenum des SED-Zentralkomitees mit einer Rede gegen die „Monotonie des Yeah, Yeah, Yeah“ die Beatmusik aus der DDR verbannen wollte. Aber es war auch das Jahr, als ein paar junge Ichtershäuser ihre musikalische Laufbahn begannen. Sie spielten jene Beat-Musik, gegen die Ulbricht gewettert hatte und fanden sogar bei der FDJ Unterstützung.
Die Akteure waren sehr jung. So stieg Klaus Maiwald, der bei Musiklehrer Albrecht Reiß Konzertgitarre gelernt hatte, 1965 mit gerade mal 12 Jahren in seine erste Band ein: Die „Orions“. „Wir haben damals in einer Gartenlaube geprobt“, erzählt Maiwald. 1966 wechselte er zu den „Vulkans“. Diese Band hatten die beiden Arnstädter Klassenkameraden Bernd Schleicher und Thomas Häuser 1966 gegründet, sie probten aber in Ichtershausen, im Klosterhof. Zunächst mit Reinhard Günsch am Schlagzeug, später ersetzte ihn Bernd Koch, der bis heute in der Arnstädter Bandszene bekannt ist. Thomas Häuser verließ die Band bald wieder, für ihn kam als zweiter Gitarrist Uli Helm dazu, der schon mit Klaus Maiwald bei den Orions zusammengespielt hatte.
Frontmann dieser Band von 13- und 14-jährigen Jungs war der talentierte Autodidakt Bernd Schleicher. „Gitarre hab ich mir selber beigebracht“, sagt Schleicher. In der 7. Klasse hatte ihm eine Klassenkameradin die Harmonien für „Oh My Darling“ gezeigt, im Musikhaus am Arnstädter Hopfenbrunnen kaufte es sich dann einige Grifftabellen. Singen konnte er sowieso, besonders die hohen Lagen waren seine Spezialität. „Death Of The Clown“ war einer der Titel, mit dem die Vulkans damals ihr Publikum begeisterten.
Doch nicht nur um die Musik kümmerten sich die Jungs, auch um ein passendes Outfit: Sie traten mit weißen Hemden und „Vulkans“-Krawatten auf. „Die hab ich meinem Großvater abgeluchst, der hatte viele einfarbige Schlipse. Und Bernd Schleichers Schwester hat dann ‚Vulkans‘ draufgemalt“, erzählt Klaus Maiwald, damals 13.
1965 begannen auch ein paar andere junge Ichtershäuser ihre musikalische Laufbahn. „Mein Bruder Klaus hatte etwas Klavier und ich fünf Jahre lang Querflöte gelernt“, erzählt Harald Stangel. Die beiden waren mit Horst Kühr befreundet, der schon ein wenig Gitarre konnte und trafen sich in einem Ichtershäuser Jugendclub. Dazu kam Peter Gorf. Er war der einzige, der richtig Gitarre gelernt hatte und im Mandolinen-Orchester von Herbert Dietze in Arnstadt spielte, gemeinsam mit Hartmut May. „Hartmut wohnte direkt neben unserem Proberaum. Peter überzeugte ihn, bei uns als Schlagzeuger anzufangen“, sagt Harald Stangel.
Die Ausrüstung war zunächst ziemlich dürftig. Auf Wandergitarren wurden mit Einweckgummis die Hörmuscheln von einem Kopfhörer gespannt – als akustischen Tonabnehmer. Als Verstärker dienten mitgebrachte Radios mit einem Tonabnehmereingang. Auch das Schlagzeug war aus verschiedenen Quellen zusammengeborgt. Eine Trommel musste auf einem Klavierhocker liegen, weil es dafür keinen Ständer gab.
Horst Kühr ging schon bald zu den „Satelliten“, auf der Suche nach einem neuen Bassisten trafen die Musiker Klaus Müller aus Arnstadt. „Er war für uns ein Hauptgewinn. Er konnte schon recht gut Gitarre spielen und es fiel ihm auch nicht schwer, dazu zu singen“, erinnert sich Harald Stangel. Die Band wechselte in einen neuen Probenraum, den „Klosterhof“, und übte fleißig neue Titel. „Von Love me Do von den Beatles bis Let‘s Dance von Chris Montez haben wir eigentlich alles nachgespielt, was aktuell war“, sagt Klaus Müller. „Hang on sloopy“ war dabei oder auch „Out of time“ von den Rolling Stones. Als Band-Name entschieden sie sich für den Fantasiebegriff „Re-Tinys“ und dachten sich ein Kapellen-Outfit aus: weißes Hemd, schwarze Weste und Fliege, dazu Sonnenbrille. im September 1966 gab es den ersten Auftritt – bei einer Rentnerveranstaltung (!) in der Gaststätte in Dosdorf. Aber schon bei der zweiten Mugge zum Fasching 1967 in der Aula der POS Ichtershausen war das Publikum wesentlich jünger und die Stimmung viel besser.
Es folgten Auftritte bei Talentewettbewerben in Ichtershausen und Erfurt und eine Zusammenarbeit mit der von Musiklehrer Albrecht Reiß geleiteten Singegruppe. Sogar zum Pfingsttreffen der FDJ in Karl-Marx-Stadt wurden sie eingeladen. „Unsere Ausrüstung wurde von den Arnstädter Teilnehmern zum Zug geschleppt und am Ziel angekommen bis zur Unterkunft, dann zum Auftritt der Band und später alles wieder zurück. Trotz Transport in Viehwaggons hat das ganze ziemlichen Spaß gemacht“, sagt Harald Stangel. Die Band spielte in Arnstadt, Stadtilm und Niederwillingen zum Tanz, auch eine Open-Air-Veranstaltung an der Lütsche-Talsperre war dabei.
Allerdings erregte der Name „Re-Tinys“ bei FDJ-Funktionären immer wieder Anstoß, weil er englisch klang. Deshalb benannte sich die Band schließlich vor der offiziellen Kapellenabnahme im Juli 1967 wieder um – in „Tropics“. Das klang zwar nicht weniger englisch, aber Harald Stangel hatte sich eine systemkonforme Erklärung ausgedacht: Angeblich bezog sich der Name auf eine Serievon DDR-Hochseeschiffen, die damals gerade gebaut wurden. Dass die Schiffsreihe „Tropik“ hieß, die „Tropics“ sich aber mit „c“ schrieben, fiel offenbar nicht weiter auf. Der Name ging anstandslos durch. Sogar die Lokalzeitung berichtete darüber: „Ein Schiff stand Pate“.
Die Band probte nun im Arnstädter Jugendklubhaus in der Besetzung Peter Gorf (Sologitarre, Gesang), Hartmut May (Schlagzeug), Klaus Müller (Baßgitarre, Gesang), Harald Stangel (Rhytmusgitarre, Flöte, Gesang) und Klaus Stangel (Klavier, Harmonium, Gesang) und hatte dort auch viele Auftritte. Weil sie noch sehr jung waren, meist zum Tanztee am Sonntagnachmittag. Auch im Umland waren die Tropics beliebt, sie spielten in Neudietendorf, Niederwillingen und natürlich Ichtershausen. In Neudietendorf hätten sich die Leute bei der Musik der Tropics sogar die Hemden vom Leib gerissen, erinnert sich Klaus Müller. Ganz so wie bei den Beatleskonzerten.
Im November 1968 musste Sologitarrist Peter Gorf zur Armee, für ihn kam Klaus Peter Kenner in die Band, genannt „Egon“. Das Repertoire veränderte sich leicht, weil „Egon“ eigene Akzente setzte und gern improvisierte, was beim Publikum gut ankam. 23 Auftritte hatten die Tropics allein im 1. Halbjahr 1969, bevor Harald Stangel wegen Differenzen mit den anderen Musikern die Band verließ. Die vier anderen blieben noch etwa ein halbes Jahr zusammen, bis sich Ende 1969 durch Armee, Ausbildung und Beruf auch ihre Wege trennten.
Im Herbst 2017 aber haben sie sich wiedergetroffen, natürlich in Ichtershausen, wo alles begann. Nicht für eine neue Band-Karriere, sondern um sich der alten Zeiten zu erinnern. Klaus Müller, der bis heute als Musiker aktiv ist, hat über dieses Wiedersehen einen Beitrag für die „Thüringer Allgemeine“ geschrieben. Damit stieß er unwissentlich diese kleine Serie über die Bands der Region an, die es eben nicht nur in Arnstadt gab. Sondern auch in Gräfenroda, Stadtilm oder Ichtershausen.
Tonbandmitschnitte der Tropics:
(Man beachte auch die Ansagen am Ende der Titel)
Back In The U.S.S.R (Beatles)
Run for Your Life (Beatles)
Lebt Albrecht Reiß noch?