Spittel (Altes Spital)

Was sollte man in Arnstadt gesehen haben? Für eine Broschüre zum Stadtrechtsjubiläum habe ich dazu einige Texte geschrieben. Auf jeden Fall gehört das Alte Spital dazu.

Unter den Füßen knarren die Jahrhunderte. Der Spittel – das sind winzige Kammern an schmalen, weitverzweigten Gängen. Alles ist hölzern, niedrig und schummrig in diesem Haus.

 

Fast alles. Denn wenn man es über die schmalen Treppen bis zum zweiten Stock geschafft hat, öffnet sich eine unscheinbare Tür zu einem lichtdurchfluteten Kirchsaal. Nur wenige Schritte von den kargen Kammern entfernt, hat dieser Saal alles, was eine Kirche braucht. Bunte Glasfenster, eine Kanzel mit vergoldeten Verzierungen, sogar eine Orgel. Die Kirche im Spittel ist ein verborgener Platz, der zunächst so gar nicht zum Rest des Hauses passen will. Doch wer sich auf dieses Gebäude einlässt, erkennt, wie sich alles fügt: Zu einem Ort der Einkehr, mitten in der Stadt an einer ihrer meistbefahrenen Straßen.

Das Stift des Heiligen Georg war im Mittelalter ein Spital mit angeschlossenem Altersheim für die zahlungskräftige Kundschaft. Wer es sich leisten konnte, vermachte als „Pfründner“ dem Stift einen Teil seines Vermögens und sicherte sich damit Kost, Logis und Pflege im Alter. Mit diesem Geschäftsmodell kam ein ansehnliches Vermögen zusammen, das auch zum Wohle der Stadt eingesetzt wurde. Als der junge Johann Sebastian Bach in Arnstadt seine erste Organistenstelle antrat, stammte ein wesentlicher Teil seines Gehalts aus Stiftungsmitteln. Bach, sponsored by Spittel. Ob sich das hoffnungsvolle Talent damals mit der Darbietung artiger Musikstücke bedankt hat, ist nicht belegt. Aber man könnte es sich vorstellen.

Über die Jahrhunderte änderte der Spittel oft sein Aussehen und seine Bestimmung. Aber er war immer für Menschen da, die woanders keinen Platz fanden. Zuletzt waren es jene, die es offiziell in der DDR gar nicht zu geben hatte: Umsiedler, Trinker, ehemalige Sträflinge. Einmal wurde ein hoher Stadtfunktionär fast von einer leeren Bierflasche getroffen, die durchs offene Fenster auf die Straße flog. Kaum vorstellbar: Auch in diesen Jahren hielt die Altlutherischen Gemeinde in der Georgenkapelle im zweiten Stock regelmäßig ihre Gottesdienste ab.

Als die DDR verschwand, wurden auch die Kammern im Spittel leer. Einzig die Kirchgemeinde hielt dem sichtlich verfallenden Haus die Treue. Wären nicht einige geschichtsbewusste Bürger gewesen, Arnstadt hätte eines seiner ältesten Bauten wohl für immer vergessen – und verloren.

Nur dank des Spittel-Vereins ist die Geschichte des Hauses noch nicht zu Ende. Mittlerweile ist das Dach wieder dicht, die Einsturzgefahr gebannt und es zieht wieder Leben ein über den knarrenden Dielen. Arnstadt bekommt langsam seinen Spittel wieder zurück. Im Erdgeschoss findet man ein DDR-Archiv und eine „Spittel-Bar“, mit Konzerten und Ausstellungen hat sich der Verein auf die Suche nach neuen Nutzungsmöglichkeiten begeben.

Noch ist diese Suche nicht abgeschlossen. Aber der Titel einer der ersten Ausstellungen lautete: Schönheit der Vergänglichkeit.

(zu meinen „Arnstädter Perlen“ gehören auch das Rathaus, die Bachkirche und das Schlossmuseum)

Ein Gedanke zu „Spittel (Altes Spital)“

  1. Das “ Spittel“ beherbergt auch unser kleines Lädchen “ Mademoiselle Interieur “ , leider wird dies in solchen Berichten nie beachtet. Dabei ist auch das eine Art “ Einzug von Leben “ in dieses Haus. Die Arnstädter und auch so mancher “ Nicht-Arnstädter “ wurden trotzdem auf uns und das „Alte Spital „(wieder) aufmerksam und honorieren es von Jahr zu Jahr mehr…Jeannette Mark

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