Die Akte Arnshall

Arnstadt steht auf sehr viel Salz. Wenn man es fördert, kann man in der Sole baden oder Steinsalz daraus machen. Beides wurde im 19. Jahrhundert von einer kleinen Gruppe von Enthusiasten versucht. Sie erfanden die Marke „Arnshall“ und entwickelten eine geniale Marketingstrategie. Für ein paar Jahre sah es so aus, als könnte Arnstadt tatsächlich ein Salz- und Kurort werden. Das Projekt scheiterte am Ende am Desinteresse vieler Arnstädter und seiner Stadtväter – und daran, dass die Produkte schlechter waren als das Marketing. Es ist eine Geschichte von Zuversicht und Pleiten, von Erfindungsreichtum und Geldnot, von Idealismus und Intrigen. Eine Geschichte aus Arnstadt eben.

Die Anfänge
Der Ingenieur-Leutnant und Geologe August Rost, geboren 1802, lebte für das Salz. Er kämpfte gegen das Salzmonopol, das damals noch den begehrten Rohstoff verteuerte und künstlich verknappte, erfand allerlei nützliche Vorrichtungen für die Salzgewinnung und  gründete nicht nur in Deutschland neue Salinen. Unter anderem war er Salinendirektor in Ciechocinek (Polen) und Cessingen (Luxemburg), in Erfurt-Ilversgehofen war er maßgeblich an der Erschließung der dortigen Salzlagerstätte beteiligt.

Weil er im Tal der Gera weitere reiche Salzvorkommen vermutete, reichte Rost am 20. April 1844 bei der „Hochweislichen Landesregierung des Fürstentums Schwarzburg-Sondershausen“ ein Gesuch um „Erteilung eines Schürfscheins zur Aufsuchung von Steinsalz und Soolquellen“ in der „Fürstlichen Oberherrschaft im Raum Arnstadt“ ein. Eine Saline gab es bis dahin im Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen noch nicht, die bestehende in Bad Frankenhausen gehörte zu Schwarzburg-Rudolstadt.

Der Prozess um die Erteilung eines Schürfscheins und die Klärung der damit verbundenen Abgabefragen zog sich bis 1845 hin, die Mühlen der fürstlichen Bürokratie in Sondershausen mahlten gründlich und langsam. Weniger Probleme bereitete die Gründung einer Aktiengesellschaft nach der Erteilung des Schürfscheins am 1. März 1845. Am 8. Mai 1845 genehmigte Fürst Günther Friedrich Carl von Schwarzburg-Sondershausen die Übertragung der Schürfrechte an die AG.

Rost hatte gute Argumente, um die Arnstädter für sein Projekt zu interessieren. Steinsalz wurde dringend gebraucht, unter anderem für Landwirtschaft und Viehzucht. In vielen  Kommunen führte der Salzabbau zu mehr Beschäftigung und Wohlstand. Und er lobte die „blühende Beschaffenheit besuchter Badeorte“. „Wie nun, wenn Arnstadt in naher Zukunft zugleich Steinsalzbergwerke, Sodafabriken und Soolbäder erhielte?“, fragte Rost rhetorisch.

Bei solchen rosigen Zukunftsaussichten war es nicht verwunderlich, dass sich die vorgesehene Ausgabe von 1000 Aktien zu je 10 Talern gut anließ. Bereits im September 1845 waren 651 Aktien gezeichnet, laut Statut wären nur 500 nötig gewesen, um mit der ersten Bohrung zu beginnen. Zum Erfolg trug sicher auch bei, dass sich Rost mit in Arnstadt bekannten Mitstreitern an der Spitze der Aktiengesellschaft umgeben hatte, unter anderem Christian Gottfried Schierholz, den Gründer der Plaueschen Porzellanmanufaktur.

Die Bohrung begann im Juli 1845 und war von Anfang an mit großen Problemen verbunden. Die Erwartung, bald auf Salz zu stoßen, wurde nicht erfüllt. Manchmal stand der Bohrmeißel ganz still, manchmal ging es über Monate nur zentimeterweise voran. Und das Geld wurde knapp. Rost musste neue Investoren suchen, unter anderem wurde er bei einem Baron von Rothschild fündig, der sich mit mehr als 300 Talern beteiligte. Und er musste immer wieder an den Durchhaltewillen der Aktionäre appellieren, bei denen sich die Zweifel an der Durchführbarkeit seiner Pläne und auch an seinen Fähigkeiten mehrten. Es dauerte fast vier Jahre, bis endlich die erlösende Botschaft kam: Am 11. Mai 1849 war man in 260 Metern Tiefe endlich auf Salz gestoßen.

Aber damit waren nicht alle Probleme gelöst. Die Sole musste an die Oberfläche gepumpt und eine Fabrik für Verarbeitung errichtet werden, aber für beides war eigentlich kein Geld da. Die Aktionäre mussten Kapital aus eigener Tasche nachschießen. Die Aktiengesellschaft, die sich nun „Salinenverein“ nannte, verabschiedete sich von der ursprünglichen Idee, in Rudisleben neben der Saline auch noch eine Sodafabrik zu errichten und beauftragte August Rost mit der Beschaffung einer geeigneten Pumpe für die Sole. Rost verhandelte sehr lange mit einem Glockengießer, der schließlich im August 1850 auch eine Pumpe aus Kupfer lieferte, die aber zahlreiche Mängel aufwies. Das führte zu Streitigkeiten im Salinenverein. 1851 war es dann endlich so weit: Die Soleförderung begann. Damit konnte endlich Salz gesiedet – und in der Sole gebadet werden.

Solbad ohne Sole?
Wann genau die Soleförderung begann, ist eine nicht unwesentliche Frage. Der Geologe Gernot Schmidt schreibt in einem Aufsatz über die Saline Arnshall, die erste Sole habe erst „Ende 1851“ zur Verfügung gestanden. Aber die Badeliste für die Saison 1851, die in etwa die Sommermonate umfasste, weist bereits 150 Personen aus. Haben diese Gäste überhaupt gebadet – und wenn ja, worin? Der prominenteste Kurgast der ersten Saison, der Dichter Willibald Alexis, hat über diesen Aufenthalt in Arnstadt einen Aufsatz verfasst und davon in zahlreichen Briefen berichtet. Von einem absolvierten Solbad ist dort nicht die Rede. Aber selbst, wenn die Soleförderung früher begonnen hätte und tatsächlich gebadet werden konnte: Wo kamen plötzlich die Kurgäste her, wo Arnstadt doch vorher als Sommerfrische keinerlei Bedeutung hatte?
Die Antwort ist verblüffend einfach. Gute Werbung ist alles.

Die Werbekampagne
Schon 1850 begann der Salinenverein mit der Erarbeitung einer Werbeschrift für „Arnstadt als Solbad“. Saline-Erfinder August Rost, Badearzt Carl Niebergall, die Apotheker Osswald und Lucas und der Porzellanfabrikant Schierholz müssen daran beteiligt gewesen sein.
Auf Rost geht wahrscheinlich die Erfindung des Namens „Arnshall“ für das Areal in Rudisleben zurück, der erstmals 1849 in einem Dokument auftaucht. Er steht für „Arnstadt“ und „Salz“ – und hat sich bis heute erhalten. Damit war eine starke Marke geschaffen, die nun mit Alleinstellungsmerkmalen versehen werden musste. Da man vor Beginn der Förderung noch nicht viel über die Sole wusste, wurden die liebliche Landschaft und die beschauliche Ruhe im Städtchen Arnstadt hervorgehoben. Aber auf der Grundlage langjähriger meteorologischer Beobachtungen des Apothekers Heinrich Lucas und von Untersuchungen des Arztes Carl Niebergall wurden auch Vergleiche zwischen Arnstadt und berühmteren Orten hergestellt (Heute nennt man das „Benchmarking“):

  • Die Arnstädter Luft sei so mild, dass „als ob die Lunge auf Sammet gehe“.
  • Wegen der günstigen Verhältnisse liegt die Zahl der „heiteren Tage“ in Arnstadt über der von Venedig.
  • Es gibt in Arnstadt kaum einheimische Krankheiten, „die Epidemien, die sich etwa daselbst einschleichen, werden bald bewältigt“. Ruhr, Wechselfieber und Cholera sind „unbekannte Gäste“.
  • Arnstadt hat eine wesentlich geringere Sterblichkeitsrate als New York, London, Neapel und Wien. In Arnstadt gibt es dank des Klimas viele rüstige alte Leute in den „neunziger Lebensjahren“.
  • Arnstädter sind von einer „weitverbreiteten Wohlhabenheit“, in Arnstadt gibt es keine Bettler.

Alle diese Botschaften zielten auf menschliche Grundbedürfnisse: In netter Atmosphäre gesund bleiben und länger leben, wer will das nicht. Und wer das will, braucht nur nach Arnstadt zu kommen. Die zitierten Werbebotschaften finden sich in zahlreichen Broschüren über das Solbad Arnstadt, zum Beispiel in Heinrich Schwerdts „Arnstadt. Sool- und Flußbad im Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen“.

Was nun noch fehlte, war ein „Influencer“, der das Arnstädter Solbad gut fand. Ein Mensch mit großem Bekanntenkreis, auf den man hört. Heutzutage funktioniert das über Youtube, damals musste man noch auf Zeitungsjournalisten oder Schriftsteller zurückgreifen. Einen wie den in Berlin lebenden Willibald Alexis, der als Schriftsteller deutschlandweit ziemlich berühmt war, für verschiedene große Zeitungen schrieb und über einen großen Bekanntenkreis verfügte.

Der Arnstädter Solbadverein schickte also eine Einladung an Alexis, sich das neue Solbad anzusehen. In einem Aufsatz über den ersten Aufenthalt in Arnstadt schreibt er von einer „offiziellen Einladungsschrift, die geschickter als viele andere geschrieben ist“. Die muss ihn so beeindruckt haben, dass er die Einladung annahm.
Alexis reiste im Juli 1851 mit seiner Frau Lätitia, der Kammerfrau Auguste und dem Hund Blacky von Berlin mit dem Zug an, allerdings nur bis (Neu-)Dietendorf. Von dort ging es mit der Postkutsche nach Arnstadt, einen direkten Bahnanschluss gab es damals noch nicht. Der Solbadverein war auf sein Kommen offenbar vorbereitet, schon kurz nach seiner Ankunft in Arnstadt machten ihm der Apotheker Osswald und der Landkammerrat Schierholz ihre Aufwartung. Nachdem Alexis zunächst in der „Henne“ gewohnt hatte, stellte ihm die Rätin Friedericke Schubert ein ganzes Haus im heutigen Alexisweg oder am Kupferrasen für nur 4 Taler pro Woche zur Verfügung. Auch Frau Schubert war – wen wunderts – Mitglied im Solbadverein.

Alexis wurde in die Harmonie-Gesellschaft eingeführt und von Landkammerrat Schierholz umfassend betreut, der Alexis auf Wanderungen begleitete, zum „Vogelschießen“ mitnahm und die Familie Alexis zum Diner auf sein „Bergschloss“ auf der Alteburg einlud. Der Arnstädter Gymnasialdirektor machte Alexis seine Aufwartung und er traf einen Berliner Justizrat, der sich wegen des Klimas in Arnstadt niedergelassen hatte: „In Arnstadts Luft kann man nicht sterben“. Da waren sie wieder, die Werbebotschaften.

Alexis dankte den Arnstädtern ihre Fürsorge mit zahlreichen brieflichen Einladungen an seine Berliner Freunde zu einem Aufenthalt in Arnstadt und der Werbeschrift „Arnstadt. Ein Bild aus Thüringen“, die alsbald im „Morgenblatt für gebildete Leser“ erschien und sehr wohlwollend ausfiel.

Dabei war die Arnstädter Wirklichkeit gerade 1851 gar nicht so angenehm. Die „heiteren Tage“, von denen es ja mehr als in Venedig geben sollte, fielen praktisch den ganzen Sommer aus. „Im Jahre 1851 waren jedoch die Witterungsverhältnisse von specifischer Bedeutung, fast unendlicher Regenfall, eigenthümlich starker Luftdruck, heftig nordherwärts wehende Winde mit dichten Regenmassen“ schrieb der Arzt Carl Niebergall. Die Wege waren so verschlammt, dass Alexis darum bat, ob man den „Morast“ nicht mit ein paar hundert Fuhren Kies auffüllen könne. Es gab Flöhe, die Alexis auf seine eigene Art im Zaum hielt: „Wenn man sich drei Tage hintereinander mit Terpentinspiritus einreibt, hat man eine ganze Woche Freiheit“. Auch mit der Lunge, die wegen der milden Arnstädter Luft „auf Sammet gehe“, war es so eine Sache. Wegen einer Abdeckerei in der Stadt zogen mitunter „pestilenzialische Gerüche“ durch die Straßen. Laut Alexis wurde die Abdeckerei mitten im Solbad im 2. Halbjahr 1851 geschlossen, aber als er in Arnstadt weilte, war sie noch da.

Mit der Versorgung war es ebenfalls nicht so rosig, wie es sich Familie Alexis gewünscht hätte. Obst und Gemüse waren teurer als in Berlin, seinen Wein ließ sich Alexis aus der Heimat kommen, weil er in Arnstadt offenbar keinen ordentlichen fand. Und was aus heutiger Sicht kurios erscheint: Das Arnstädter Brot taugte nichts und war schwierig zu bekommen, zumindest aus der Sicht von Alexis. „Trotz der goldenen Weizenfelder mit den dicken vollen Ähren, trotz des vortrefflichen und billigen Mehls, wird in Arnstadt das schlechteste Brot gebacken“, notierte er. Da die Bäcker nur „umschichtig“, das heißt an bestimmten Tagen, backen durften, wusste der Tourist nie, wo es gerade Brot gab. „Die Quelle von gestern ist heut, morgen und übermorgen verschlossen“, so Alexis.

Trotz aller Widrigkeiten aber scheint es der Familie Alexis in Arnstadt gefallen zu haben. Sie beschlossen, im nächsten Jahr wiederzukommen. Alexis wurde tatsächlich zum Arnstädter Sommer-Dauergast, baute sich schließlich am Standort des späteren „Lindenecks“ ein Haus und siedelte mit seiner Frau ganz nach Arnstadt über. Nur ihren getreuen Führer und häufigen Gastgeber Schierholz sollten sie leider nicht wiedersehen. Der Unternehmer und Förderer des „Projektes Arnshall“ starb im Herbst 1851 im Alter von nur 64 Jahren.

Das erste Salz
Die Einrichtung der Anlage zur Salzherstellung in „Arnshall“ war recht spartanisch, es gab nur ein Siedehaus und eine Siedepfanne. Der erste Probesud war am 22. Oktober 1851, das erste Salz wurde Ende des Jahres hergestellt. Besonders gut war es nicht, man konnte es nur als Viehsalz verkaufen. Als endlich Steinsalz hergestellt und in Arnstadt und Gehren vertrieben wurde, gab es reichlich Beschwerden: Es sei von minderer Qualität, das Frankenhäuser Salz sei wesentlich ergiebiger. Das Fürstliche Ministerium ordnete daraufhin eine Untersuchung durch den Sondershäuser Hofapotheker Hirschberg an. Das Ergebnis war verblüffend: das Arnstädter Salz enthielt mehr reines Natriumchlorid und weniger schwer lösliche Bestandteile als das Frankenhäuser, war also deutlich besser. Wegen der gröberen Salzkristalle ergab sich allerdings der subjektive Eindruck, man würde mehr davon verbrauchen.

Das Endprodukt war also durchaus konkurrenzfähig. Aber mit der Soleförderung hatte man große Probleme, so dass nicht genug Salz hergestellt werden konnte. Förderte man mehr, sank der Solegehalt ab, teilweise auf nur wenige Prozent. Trotz der klammen Finanzlage beschloss der Salinenrat deshalb eine zweite Bohrung, mit der 1853 an der „Heyderschen Mühle“ zwischen Arnstadt und Rudisleben begonnen wurde. Doch dieses Projekt geriet zum Desaster. Erst klemmte der Bohrmeißel über längere Zeit fest, dann brach auch noch das Bohrgestänge. Die zweite Bohrung musste aufgegeben werden, das Unternehmen stand am Rande des finanziellen Ruins.

Auf der Versammlung des Salinenvereins 1856 kam es daraufhin zum Eklat. Gründer August Rost, mittlerweile von der Führungsriege nach eigenen Worten „über Bord geworfen“, hielt eine flammende Rede, in der er mit drastischen Worten das Direktorium kritisierte und dessen Vorsitzenden als „Mädchenlehrer“ beschimpfte: „Die Basis der ganzen Saline ist tief erschüttert, (…) für lange unzuverlässig, faul, und, bei der jetzigen Sachlage, schlechter als das schlechteste Flickwerk“. Seinen Streit mit dem Direktorium über angeblich nicht eingehaltene Vertragsbedingungen und offene Honorarforderungen dokumentierte er im Juli 1856 noch in einer Broschüre, dann hörte man nichts mehr von ihm. August Rost war nach Zwickau verzogen. Nur ein Jahr später starb der Gründer der Arnstädter Saline, nach dem im Gewerbegebiet „Erfurter Kreuz“ eine Straße benannt ist.

Baden in Arnstadt
Im Gegensatz zur Salzherstellung erlebte der Bäderbetrieb in Arnstadt in den Jahren nach dem etwas holprigen Start 1851 einen echten Aufschwung. Die Gäste, die dank der Vermittlung von Alexis überwiegend aus Berlin kamen, konnten die Solbäder in zahlreichen Privathäusern genießen. Besonders die Gegend um Karolinenstraße, Vor dem Ried und Lohmühlenweg mauserte sich zu einem regelrechten Bäderviertel, wo zahlreiche Neubauten entstanden. So baute der Arzt Carl Niebergall am heutigen Kreisel zwischen Lohmühlenweg und Plauescher Straße ein Solbadehaus im Stil eines chinesischen Palastes/Tempels , das (mehrfach umgebaut) heute als „Ziehharmonika“ bekannt ist. Die Sole wurde mit Fässern aus Rudisleben herangeschafft, ihre Verwendung und Dosierung wurde von Inspektoren geprüft und von Ärzten überwacht. Nach einer Analyse des Apothekers Lucas war sie besonders brom- und jodhaltig und damit für Heilzwecke bei Erkrankungen der Schleimhäute oder Rheuma gut geeignet. Im Lohmühlenweg entstanden sogar drei Freibäder, im Mühlgraben an der späteren Ölmühle (Durchgang zur Stadtbrauerei) ein „großes Herrenbad“ mit drei Abteilungen, von denen eine wegen des dort besonders sprudelnden Wassers „Champagnerbad“ genannt wurde, direkt dahinter ein „Damenbad“ und hinter der Lohmühle (vor der Brücke in Richtung Kirschallee) ein weiteres „Herrenbad“.

Was jedoch fehlte, war ein richtiges Kur- und Badehaus. Der Solbadverein unternahm verschiedene Anläufe, ein solches Haus zu bauen, aber alle scheiterten. Um den Badegästen trotzdem Unterhaltung und Zerstreuung zu bieten, hatte der Solbadverein mit der Harmonie- und der Concordiagesellschaft Verträge geschlossen, dass Badegäste deren Gesellschaftshäuser (später Chema- und Jugendklubhaus) mit nutzen konnten. An der „Concordia“ wurde laut Heinrich Schwerdt eine „weithin leuchtende Aufschrift: Kursaal“ angebracht. Wer allerdings den Saal des späteren Jugendklubhauses kennt, wird verstehen, dass dies kein richtiger Kursaal gewesen sein kann.

Wenig Salz und kein Geld
Die Salzgewinnung in Arnshall blieb schwierig. Die zweite Bohrung nach Salz an der „Heyderschen Mühle“ war gescheitert, das erste Bohrloch lieferte viel zu wenig und zu dünne Sole. Von 1864 bis 1867 stand die Saline ganz still, weil keine verwertbare Sole gefördert werden konnte. Worin mögen in diesen drei Jahren die Arnstädter Kurgäste gebadet haben?

Jedenfalls musste eine dritte Bohrung her. Aber der Salinenverein hatte – wie eigentlich immer – kein Geld. Zwei Bitten an den Arnstädter Stadtrat um ein Darlehen über 3000 Taler waren erfolglos. 1868 stand der Punkt zwar auf der Tagesordnung im Rathaus, wurde aber nicht behandelt – weil sieben Stadtverordnete selbst Aktionäre im Salinenverein und damit befangen waren. Ohne sie war der Rat nicht beschlussfähig. Also musste der Verein selbst zwei Hypotheken für die neue Bohrung aufnehmen. Diesmal wurde wieder direkt in Arnshall gebohrt, mit Erfolg. Mitte 1867 lieferte das neue Bohrloch Sole in offenbar ausreichender Qualität. Die große Krise war überwunden.

Intrigen und schlechte Presse
Der Arzt Carl Niebergall hatte zwar mit seinen Schriften viel zum Aufschwung des Badebetriebs beigetragen, aber mit dem Vorstand des Solbadvereins lag er 1856 derart im Streit, dass sogar die deutschlandweit erscheinende „Balneologische Zeitung“, ein Fachblatt für das Badewesen, darüber berichtete. „Es hatte nämlich die Soolbadedirection sich erlaubt, eine dem Rath Dr. Niebergall nachtheilige Bekanntmachung in verschiedenen Zeitungen zu erlassen, und dabei zwei Arnstädter Aerzte empfohlen, die bisher noch gar nichts zum Emporblühen des Badeortes gethan hatten, und den Dr. Niebergall, der durch seine gediegenen Schriften und seine schönen Arbeiten über Arnstadt die Balneologie wahrhaft bereichert hat, gar nicht unter den Arnstadter Badeärzten genannt“, heißt es dort. „Da dies nun gerade auf eine nicht sehr ehrenhafte Weise geschieht, so musste man die Polizei gegen solche Collegen zu Hülfe rufen“. Dass man den Streit um die Erwähnung oder Nichterwähnung von Ärzten in einer Empfehlung des Solbadvereins derart öffentlich austrug, wirft kein gutes Licht auf die Arnstädter Verhältnisse. Dem Ruf Arnstadts als Badeort war das bestimmt nicht zuträglich.

Auch die Veröffentlichungen über den Badebetrieb bleiben nicht immer so freundlich wie am Anfang. In einem Überblickswerk über deutsche Badeorte schreibt Gustav Hauck 1865 über Arnstadt: „Die Badeliste, welche im ersten Jahre 150 Personen aufführte, ist nach 10 Jahren höchstens bis auf 300 angewachsen: ein Resultat, welches tief blicken lässt in die Differenz zwischen den günstigen Mitteln und der lässigen Verwendung. Kein öffentliches Badehaus, kein Kursaal, keine Kaffeestation“. Er kritisiert auch die Arnstädter Gastronomie: „Die Kochkunst ferner steht annoch auf niedriger Stufe; so dass, vollends bei den köstlichen Zutaten der saftigen Gemüse und des billigen Fleisches, die eigene Menage zu empfehlen wäre“. Haucks Fazit: „Weder Staat noch Stadt hat die Soolquelle für die Kurgäste zum Nutzen und der romantischen Gegend zur Folie verwertet“.

Was das Fürstentum betrifft, hat Hauck nur zum Teil recht. Immer wieder hat die Sondershäuser Aufsichtsbehörde Anträge der Saline Arnshall auf Erlass oder Ermäßigung der festgesetzten Abgaben genehmigt, um die desolate Finanzlage nicht weiter zuzuspitzen. Der Arnstädter Stadtrat hingegen tat wirklich kaum etwas für „sein“ Solbad. Nicht nur, dass beantragte Darlehen nicht genehmigt wurden. Ein Antrag des Solbadvereins, zur besseren Orientierung der Kurgäste in der Stadt wenigstens Schilder mit Straßennamen anzubringen, wurde mit der Begründung im Stadtrat abgeschmettert, dass „dieses Bedürfnis nicht für dringend erachtet wird“.

So war der Arnstädter Badebetrieb zwar durch eine gute Marketingkampagne ziemlich schnell in Schwung gekommen, konnte sich aber trotz privaten Engagements einiger Ärzte und Solbadbetreiber nicht dauerhaft etablieren. Gründe dafür waren sicher auch der Aufschwung anderer bekannterer Bäder, die zunehmende Industrialisierung Arnstadts und schließlich der Tod einiger der aktivsten Streiter für die Bade-Idee. Schierholz starb schon 1851, Rost 1857 und der Arzt Carl Niebergall 1890(1). Aber vor allem taten die Arnstädter zu wenig, um die Stadt für Gäste interessant zu machen. Schon nach seinem zweiten Arnstadt-Aufenthalt 1852 schrieb Willibald Alexis in einem Brief, mehrere Arnstadt-Gäste aus Berlin hätten „üble Berichte geliefert, es sei nichts zum Comfort für die Gäste geschehen und doch fordere man Wohnungs- und andere Preise wie in den ersten und vornehmsten Badeorten“.

Viel zu spät, erst 1893, wurde endlich das ehemalige Wohnhaus von Alexis in der Lindenallee erweitert und zum Kurhaus umgebaut (später „Lindeneck“). Im Arnstädter Stadtarchiv gibt es noch bis ins Jahr 1998 Rechnungen für Werbe-Anzeigen des Arnstädter „Bade-Ausschusses“ in der „Gartenlaube“ oder der Berliner „Illustrierten Zeitung“. Aber eigentlich war es Werbung für ein Produkt, das es schon gar nicht mehr richtig gab.

Bahnbrechende Erfindung aus Arnshall
Die Salzproduktion in Arnshall hingegen ging weiter. Mit dem neuen Bohrloch von 1867 stabilisierte sich die Produktion auf rund 1000 Tonnen Steinsalz pro Jahr. 1878 gab es einen Besitzerwechsel, die Saline wurde von der Maschinenfabrik M. & H. Fläschendräger übernommen. Nun wurde die Salzherstellung entscheidend modernisiert: 1887 erhielt die Firma Fläschendräger ein Patent auf eine „Unterkesselpfanne“. Sie war effektiver und langlebiger als bisherige Pfannen zum Salzsieden und wurde in der Folge nicht nur in Arnshall, sondern in vielen deutschen Salinen eingesetzt. Die „Unterkesselpfanne“ machte die kleine Saline Arnshall auf einen Schlag bei den Salzherstellern in ganz Deutschland bekannt.

Gleichzeitig versuchten die neuen Besitzer, sich ein weiteres Geschäftsfeld zu erschließen: Die Kali-Förderung. Warum sollte in Arnstadt nicht möglich sein, was in Merkers oder Bischofferode möglich war? Insgesamt wurden zwischen 1894 und 1897 vier Bohrungen durchgeführt, eine davon sogar in Dosdorf bei der damaligen Ziegelei. Ein zur Förderung geeignetes Kalifeld fand man aber nicht. So beschränkte sich die Firma Fläschendräger weiter auf die normale Steinsalzproduktion, erhielt aber ab 1905 Konkurrenz in der Nachbarschaft: Bei Stadtilm entstand die „Saline Oberilm“. Ironie des Schicksals: In Oberilm wurden mit sechs modernen Unterkesselpfannen, wie sie in Arnstadt erfunden worden waren, jährlich 10 000 Tonnen bestes und sehr preiswertes Steinsalz produziert. Dieser Konkurrenz war die kleine Saline Arnshall auf Dauer nicht gewachsen. Sie stellte ihren Betrieb 1912 ein.

Wiederbelebungsversuche
Aber es gab noch genügend Salz in der Tiefe, in den 1920-er Jahren sprudelte sogar eine salzige Quelle aus einem der Bohrlöcher in Arnshall. Der Heimatforscher Gerhard Pfeiffer (geb. 1913) schreibt in seinen Erinnerungen, dass er als Jugendlicher an der Quelle war: „Ich habe sie gekostet und sie schmeckte stark salzig“.

1922 unternahm der Leipziger Schriftsteller und Verlagsbuchhändler Robert Vogelsberg, ein Spross der bekannten Arnstädter Familie, einen Wiederbelebungsversuch und gründete die „AG Saline und Chemische Fabrik Arnshall“. Geplant war auch ein Gradierwerk und ein Solbadbetrieb. Ein chemisches Gutachten der Quelle im Auftrag Vogelsbergs, das im Stadtarchiv Arnstadt erhalten ist, bestätigt übrigens im Wesentlichen die Analyse des Apothekers Lucas von 1851: Die Sole ist für Heilzwecke geeignet.
Vogelsberg konnte sein Projekt aber nicht verwirklichen, er starb 1932.

Dafür zeigte nur wenig später die Stadt Arnstadt plötzlich Interesse. Unter Einschaltung des Arbeitsbeschaffungsamtes der NSDAP wollte der damalige Oberbürgermeister Huhn 1934 den Traum vom Solbad Arnstadt doch noch verwirklichen. Die entsprechenden Genehmigungen wurden beschafft und der Ingenieur Wilhelm Göke aus Oelsnitz mit einer Machbarkeitsstudie beauftragt. Göke befand, das Projekt habe Aussicht auf Erfolg. Zur Ausführung kam es dennoch nicht, weil die Stadt Arnstadt das nötige Geld nicht auftreiben konnte. „An eine Wiederaufnahme der Soleförderung ist voraussichtlich in nächster Zeit nicht zu denken, da die notwendigen Geldmittel nicht aufgebracht werden konnten“, heißt es in einem Schreiben der Stadt vom 4. April 1935 an den Mühlenbesitzer Henry Voigt, auf dessen Gelände sich das alte Bohrloch befand. „Wir wären Ihnen aber sehr dankbar, wenn Sie das Bohrloch so markieren würden, dass es unschwer aufzufinden ist“.

Der Brief an den Mühlenbesitzer Voigt von 1935 ist die vorläufig letzte Seite in der Akte Arnshall. Ein Salz- oder gar Badeort ist aus Arnstadt nicht geworden. Aber die Gegend in Rudisleben, wo einst die Saline stand, wird noch immer „Arnshall“ genannt.

Quellen:

  • Janny Dittrich: Willibald Alexis in Arnstadt
    Geschichts- und literaturwissenschaftliche Untersuchungen über ein Dichterleben in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
  • Gernot Schmidt: Die Saline Arnshall – Der Außenseiter unter den Thüringer Salinen; erschienen in „Der Anschnitt – Zeitschrift für Kunst und Kultur im Bergbau“ Nr. 1/2005
  • H. E. Müllerott: Das Arnstädter Kur- und Bäderviertel im 19. Jahrhundert als Denkmalensemble und das Vermächtnis von Willibald Alexis
  • H. Schwerdt: Arnstadt. Sool- und Flußbad im Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen“ (1856)
  • Willibald Alexis: Arnstadt. Ein Bild aus Thüringen, Morgenblatt für gebildete Leser, Jahrgang 1851
  • Dr. Carl Niebergall: Arnstadt, Soolbad am Thüringer Waldgebirge, seine heilkräftigen Wirkungen und seine günstigen Lokalverhältnisse
  • Balneologische Zeitung, Corespondenzblatt der Deutschen Gesellschaft für Hydrologie, 23. Juni 1856
  • Die Heilquellen und Kurorte Deutschlands – Pegologisches Lexikon von Gustav Hauck, Leipzig 1865
  • Stadtarchiv Arnstadt, Akte Salinenverein
  • Gerhard Pfeiffer: Erinnerungen eines alten Arnstädters, Kultur- und Heimatverein Arnstadt, 2000

Ein Gedanke zu „Die Akte Arnshall“

  1. Sehr informativer Artikel. Für mich als „Zugezogenen“ enthält er wieder einmal viel Neues und Interessantes. Nachdem ich zunächst in einem Kulturdenkmal mit Bädervergangenheit (Mispelgütchen) gewohnt habe, bin ich dieses Jahr in den Alexisweg umgezogen. Und bin immer wieder erstaunt über die reichhaltige Geschichte Arnstadts.

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