Ein Goethe-Zitat über Arnstadt macht gerade die Runde – nicht nur im Internet. Darin lobt der große Dichter die Wandermöglichkeiten: „Arnstadt hat auf allen Seiten reizende Spaziergänge.“ Aber ist das Zitat wirklich von Goethe?
Arnstadt hat genug Prominenz vorzuweisen. Kaiser und Könige waren da, der russische Zar, Steve McQueen, Johann Sebastian Bach, Marlene Dietrich, Martin Luther, der alte Bismarck und Ludwig Bechstein. Ein späterer Polizeiruf-Ermittler kam extra für seine Geburt in Arnstadt vorbei, der Steppenwolf-Sänger John Kay betrachtete die Schönheiten der Stadt aus dem Kinderwagen. Gerhard Schröder biss hier in die Bratwurst, ein früherer FDP-Bundesminister ging hier in die Schule. Das reicht eigentlich für eine Kleinstadt.
Doch jetzt wird behauptet, auch der alte Goethe habe sich längere Zeit hier herumgetrieben. Denn man braucht schon einige Tage, um solch ein Urteil abgeben zu können: „Arnstadt hat auf allen Seiten reizende Spaziergänge.“
Das ist – zumindest mir – ziemlich neu. Denn bisher ging ich als zeitweiliger Wahl-Ilmenauer davon aus, dass der Geheimrat im Zuge seiner Beschäftigungen in Weimar und Ilmenau meistens einen Bogen um Arnstadt machte. Sein Herz schlug zwar oft geschwind zu Pferde, aber in der Regel durch das Ilmtal. Da war ja auch Großkochberg nicht weit.
In der Arnstädter Chronik von Dieter Reinhold sind nur drei „Berührungen“ Goethes mit Arnstadt vermerkt: Im Mai 1776 ritt er von Ilmenau über Arnstadt zurück nach Weimar, im März 1779 kam er auf dem Hin- und Rückweg einer Reise nach Ilmenau in Arnstadt vorbei. Übernachtet hat er aber in Wülfershausen.
Reinhold berichtet von Erzählungen, Goethe habe später mal in der „Goldenen Henne“ übernachtet und dabei das Arnstädter Bier gelobt. Doch dafür gibt es keine Beweise. Außerdem mochte der Geheimrat Bier nicht sonderlich gern, obwohl es Ausnahmen gab.
Es gibt also durchaus Gründe, an der Urheberschaft Goethes an dem Spaziergangs-Zitat zu zweifeln. Zumal es in den vergangenen Jahren eine regelrechte Flut von Falschzitaten im Internet gab. Jeder, der seiner Meinung eine gewichtige Bedeutung verleihen will, untermauert sie mit einem angeblichen Spruch eines möglichst berühmten Menschen. Der österreichische Karl-Kraus-Experte Gerald Krieghofer kämpft seit 2014 gegen diese Unsitte mit einem eigenen Blog an und hat schon hunderte von solchen Falschzitaten enttarnt, auch solchen, die angeblich von Goethe stammen.
Da mittlerweile viele von Goethes Schriften digitalisiert sind, habe ich die entsprechenden Seiten nach dem Arnstädter Spaziergangs-Zitat durchsucht – ohne Erfolg. Von Goethe scheint es nicht zu stammen, auch wenn die letzte Sicherheit fehlt: Noch laufen Digitalisierungs-Projekte zu Goethe, es ist noch nicht alles durchsuchbar, was er je gesagt hat. Doch die Wahrscheinlichkeit für seine Urheberschaft an dem Arnstadt-Zitat ist ziemlich gering.
Aber von wem stammt es dann, wenn es nicht komplett erfunden ist – und wer hat es Goethe zugeschrieben?
Gibt man das Zitat als Block in eine Suchmaschine ein, werden verschiedene Seiten angezeigt, die alle den gleichen Anfang haben:
„Arnstadt hat auf allen Seiten reizende Spaziergänge“, dass wusste schon Johann Wolfgang von Goethe zu schätzen. Vielleicht meinte er die vielen Spazier- und Wanderwege auf der Alteburg. Das Höhenplateau im Süden der Stadt ist ein beliebtes Ausflugsziel.
Nicht alle dieser Seiten werden in Arnstadt erstellt, aber eine sehr bekannte Arnstädter Werbeseite ist darunter: www.bachstadt-arnstadt.de.
Und das Zitat kommt auch im neuen (gedruckten) Reiseplaner der Stadt auf Seite 39 vor:
Also ist es der Arnstädter Kulturbetrieb, der sich mit dem Goethe-Zitat schmückt. Oder der es kritiklos irgendwo übernommen hat.
Aber wer hat es denn nun gesagt, wenn es denn nicht von Goethe ist?
Die Antwort darauf hat – Überraschung – auch der Arnstädter Kulturbetrieb. Zu dem gehört die Arnstädter Tourist-Information, die ab und zu mal interessante Sachen aus der Geschichte Arnstadts bei Facebook postet. Am 16. März 2022 zum Beispiel folgendes:
Das angebliche Goethezitat stammt also in Wirklichkeit vom Märchenforscher Jacob Grimm. Und daran besteht kein Zweifel, denn die Leute von der Tourist-Information zitieren immer aus einer äußerst zuverlässigen Quelle, der Chronik von Arnstadt aus dem Jubiläumsjahr 2004. Dort steht auf Seite 104:
1862, August/September: Aufenthalt von Jacob Grimm im Gasthof Henne. 6. September: Grimm schreibt: Arnstadt hat auf allen seiten reizende spaziergänge, ich traf auch da den guten Fritz Reuter.
Damit hat sich also nicht nur das Spaziergangs-Zitat geklärt, sondern der Liste der Prominenten in Arnstadt können noch zwei Namen hinzugefügt werden : Jacob Grimm und Fritz Reuter.
Aber ich wette, das Goethe-Zitat wird sich halten. Nicht nur im Arnstädter Kulturbetrieb.
Danke an Kirstin Heinemann und Man Dy, die mich mit ihren Facebook-Posts auf die richtige Spur gebracht haben.
Danke für den interessanten Beitrag und den korrekten Hinweis auf das falsch zugeschriebene Zitat. Tatsächlich findet sich dieses bereits seit acht Jahren im Reiseplaner der Bachstadt Arnstadt und – Asche auf mein Haupt – ich war auch damals schon der Redakteur.
Mit dem Nachdruck in diesem Jahr bietet sich nun die Gelegenheit, den Fehler zu heilen. Glücklicherweise habe ich den Blogbeitrag rechtzeitig gelesen. Anderenfalls würde die Seite zur Alteburg wieder unverändert in Druck gehen.
Ich lese auch 2024 gern den Blog Arnscht. Und ich freue mich bei Themen, die ich beeinflussen kann, auf einen direkten Hinweis per Mail, Telefon oder auch einen Besuch in der Tourist-Information Arnstadt.