Leben mit der Rüttelplatte

Seit April wird bei uns in der Straße gebaut. Erst waren es die Wassermänner, jetzt buddeln die Stadtwerker irgendwas aus und ein. Was es ist, kann ich nicht sagen. Aber es ist vor allem laut und lange. Die Sache dehnt sich täglich aus und die Folgen sind noch nicht abzusehen.

Der Tag beginnt meistens mit einer Betonsäge. Das ist eine Kreuzung aus Feuerwehrsirene und Zahnarztbohrer und wirkt vor allem auf das Gehirn. Wie genau, ist noch nicht erforscht. Aber jeder kennt doch diese Kandidaten in Quizshows, denen plötzlich auf die einfachsten Fragen die Antwort nicht einfällt: Da wird nach dem Arnstädter Wappentier gefragt und statt „Adler“ sagen sie unvermittelt „Bachforelle“ oder „Ross Anthony“. Man kann ziemlich sicher sein: Diese Menschen sind vorher an einer Betonsäge vorbeigekommen. Wir allerdings kommen nicht einfach an der Betonsäge vorbei, bei uns steht die Betonsäge jeden Tag praktisch im Wohnzimmer.

Zum Frühstück gibt es Presslufthammer. Er zeichnet sich durch ein maschinengewehrartiges Geräusch aus, das virtuos an- und abschwellen kann. Und sogar aufhören. Aber nur, um kurz darauf wieder einzusetzen. Hat es einmal begonnen, sollte man vor allem Konversationen im Famlienkreis vermeiden. Denn es sind schon Fälle bekannt geworden, wo nach einem presslufthammeruntermalten Gespräch vormals stabile Ehen in die Brüche gegangen sind, weil beide den berechtigten Eindruck hatten, der Partner verstehe sie immerzu miss.

Gegen Nachmittag kommt es dann zur Rüttelplatte. Das ist keine Platte, sondern ein großer Kasten, der die Erde so stark verdichten kann, dass sogar die Regenwürmer platt sind.  Laut ist sie auch, die Rüttelplatte, aber das Teuflische ist ihre Frequenz, die beim Menschen weniger auf das Gehirn geht, sondern eher im Magen Resonanz findet. Ohne ins Detail gehen zu wollen, kann man von der Einnahme fester Nahrung nur abraten, solange in der Nähe eine Rüttelplatte rüttelt.

Und dann ist da noch ein Gerät, von dem nur sehr dumpfe Schläge zu hören sind. Ich glaube, die Baumenschen schlagen damit Löcher in unschuldige stabile Häuser, denn es klingt wie im Film „Herr der Ringe“, wenn die Orks versuchen, die Festung „Helms Klamm“ einzunehmen. Ist es ein Rammbock? Oder gar Rammstein? Jedenfalls etwas zum Aufregen.

Natürlich gibt es auch noch die üblichen Baugeräusche. Baggertuckern, Kies, der aus einem Kipper hinabscheppert oder metallisch nachklingende Abdeckplatten, wenn ein Baufahrzeug darüber poltert. Aber im Vergleich zu Rüttelplatte oder Betonsäge ist das eher Hintergrundrauschen.

Eigentlich war die Baustelle nur  für die Thomas-Mann-Straße angekündigt. Aber seit einigen Tagen breitet sie sich immer weiter aus. Über  die Fußwege ist sie schon Richtung Arnsberg, Karl-Liebknecht-Straße und Mozart-Straße gekrochen, so wie das „Nichts“ in der Unendlichen Geschichte. Warten Sie nur ab, bald kreischt die Betonsäge auch vor Ihrer Tür. Sie werden schon sehen.

 

Die Betonsäge, Kreuzung zwischen Sirene und Zahnarztbohrer.

Update 12. September: Sie sind tatsächlich doch noch fertiggeworden. Die Straße sieht zwar arg gepatchworkt aus, aber bis zum nächsten Aufreißen kann man wieder durchfahren.

Ein Gedanke zu „Leben mit der Rüttelplatte“

  1. Gerade überlege ich, wie ich es finde, dass ich deine Texte nur noch hier finde und nicht mehr in der Heimatzeitung. Und Mitleid habe ich natürlich auch.

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