Schmieren und Zündeln

– Jetzt mit Update von der Urteilsverkündung –

Der Mann, der den Brand des Neutorturms im April ausgelöst hat, saß  im Gerichtssaal. Ob es der Hauptangeklagte war, wurde nicht zweifelsfrei bewiesen. Dazu  verstrickten sich die  Zeugen zu sehr in Widersprüche. Andererseits klang vieles abgesprochen. Keine leichte Aufgabe für das Schöffengericht.

Seit dem 14. April 2024 rätseln viele Arnstädter, wie es passieren konnte, dass die Haube des Neutorturms in Brand geriet und den Flammen vollständig zum Opfer fiel. War es eine Silvesterrakete, die jemand von unten in die Haube schoss? Oder verschaffte sich jemand Zutritt zum Turm und entfachte oben das Feuer?  Darauf gibt es jetzt eine Antwort, die verblüfft: Der Efeu, eigentlich eine Zierde des alten Gemäuers, transportierte die Flammen von den Grundmauern in die Höhe. Er war trocken und wurde unten mit Farbe aus einer Spraydose besprüht und angezündet. Die Stichflamme schoss entlang des Efeus nach oben bis zur Turmhaube und sorgte dafür, dass sich dort Glut einnisten konnte, was Stunden später zum Brand führte. 

Doch wer kommt auf eine solche abseitige Idee? Darum ging es vor dem Amtsgericht in Ilmenau. Eigentlich hätte die Verhandlung nach Arnstadt, dem Tatort, gehört, aber hier gibt es gerade keine funktionstüchtige Zelle, in der man den aus der Untersuchungshaft zugeführten Hauptangeklagten hätte unterbringen können. Also saßen nun der 24jährige mutmaßliche Brandstifter und ein 38jähriger, dem unter anderem die Verwendung verfassungswidriger Symbole und Missbrauch von von Notrufen vorgeworfen  wurde, mit ihren Anwälten im größten Sitzungssaal des Amtsgerichts Ilmenau.  

Über den Verlauf des Abends am 13. April, der dem Brand des Neutorturms vorausging,  machten sie und die damals anwesenden Zeugen vor Gericht zum Teil sehr abweichende Angaben. Versucht man sie auf einen Nenner zu bringen, ergibt sich folgendes Bild: 

Ursprünglich hatten einige von ihnen, darunter die Angeklagten, einen konkreten Plan, was an diesem Abend zu tun sei. Sie wollten „Antifa-Graffiti“ im Bereich des Hauptbahnhofs unkenntlich machen, dazu waren zwei Farbspraydosen mitgebracht worden. Als dies offenbar passiert war, ging man in die Bahnhofshalle und überlegte, was man noch mit dem Abend anfangen könnte. Zunächst wurde Alkohol aus der nächstliegenden Tankstelle beschafft, nicht nur Bier, sondern auch Wodka und „Grüne Wiese“, ein Cocktail, der sich schon zu DDR-Zeiten einer gewissen Beliebtheit erfreute. Dann wurde begonnen, im Bahnhofsgebäude und dem Umfeld  mit der übriggebliebenen Farbe aus den Spraydosen Hakenkreuze und SS-Runen an die Wände zu sprühen. Beide Angeklagte gaben zu, daran beteiligt gewesen zu sein. Der 24Jährige sprach von einer „Dummheit“, der 38Jährige sagte hingegen, das entspräche seiner Gesinnung. „Haben sie sich schon einmal Gedanken gemacht, wie viele Leute damals gestorben sind?“, fragte ihn daraufhin der Vorsitzende Richter Jenke. „Die Frage ist, ob das überhaupt stimmt“, antwortete der Angeklagte. 

Der 38Jährige war es auch, der nach den Schmierereien den Feuermelder im Bahnhof betätigte. Daraufhin begab sich die Gruppe zum Straßburg-Kreisel, um zu sehen, ob die Feuerwehr nach dem Alarm Richtung Bahnhof ausrückte.  Sie rückte aus. 

Was dann passierte, fasste ein Zeuge mit den Worten zusammen: „In Arnstadt bisschen rumlaufen – und bisschen was machen“.  Vorläufiger Endpunkt dieser Samstagabendbeschäftigung war der Spielplatz an der Marlitt, das sagten alle übereinstimmend. Aber von da an wird es unübersichtlich. Mache sagen, schon dort wurde versucht, mit den übriggebliebenen Spraydosen und Feuerzeugen Efeu an der Stadtmauer zu entzünden, andere streiten das ab. Auch an einem Fußballtor ist offenbar gekokelt worden, um das Netz zu entfernen. Aber nicht alle wollen das gesehen haben. 

Auf dem Spielplatz an der Marlitt waren sie insgesamt vier zum Teil arbeitslose junge Leute zwischen 18 und 24 mit unterschiedlichem Alkoholpegel, dazu der 38jährige Senior mit der tiefrechten Gesinnung und einem selbst eingestandenen Alkoholproblem, das ihm an diesem Abend über 2 Promille und einen verstauchten Knöchel einbrachte. Irgendwann setzte sich die Gruppe Richtung Neutorturm in Bewegung. Und von dort erzählt jeder eine andere Geschichte. 

Der Hauptangeklagte  streitet ab, dort gezündelt zu haben, er will sogar aufgefordert haben, mit dem Zündeln aufzuhören, „weil sicher bald die Bullen kommen“. Der zweite Angeklagte sagt gar nichts zum Tathergang, die  anderen aus der Gruppe beschuldigen den Hauptangeklagten. Doch wenn es ins Detail geht, hat eigentlich keiner gesehen, wer es wirklich war, was bei einer Stichflamme in Turmhöhe schon verwunderlich scheint. Angeblich hat der Hauptangeklagte später auf einer Bank irgendwo an der Weiße die Tat zugegeben, aber das haben auch nicht alle gehört, obwohl alle dabei waren.

Ganz skurril wird es, als nachts um 3 Uhr einer aus der Gruppe an der Polizeistation in Arnstadt klingelt und eine Aussage macht: Er habe zwei Männer vom Neutorturm wegrennen sehen. Seine Beschreibung passt auf die beiden, die jetzt angeklagt sind. Dass er selber zu denen gehörte, die wegrannten, davon sagt er kein Wort. Der diese Aussage macht, wird übrigens jetzt vom Hauptangeklagten beschuldigt, selbst der Brandstifter gewesen zu sein. 

Ab diesem Zeitpunkt hat die Polizei eine heiße Spur, die nicht nur zu den beiden jetzt Angeklagten, sondern zur ganzen Gruppe führt. Es gibt Durchsuchungen und Vernehmungen, aber keine Haftbefehle. Alle sind auf freiem Fuß und können sich absprechen, was alle auch freiweg einräumen.  Als sich allerdings herauskristallisiert, dass der jetzige Hauptangeklagte von der Mehrzahl der anderen beschuldigt  wird, wird dieser handgreiflich. Er fordert, mit den Beschuldigungen aufzuhören und schlägt mindestens in einem Falle auch zu. Ob mit der flachen Hand oder der Faust, auch darüber gab es unterschiedliche Aussagen.

Die Tätlichkeit Ende Mai ist Anlass für die Ermittlungsbehörden, ihn festzusetzen: Seitdem saß er in Untersuchungshaft. Noch während der Verhandlung wurde jetzt allerdings der Haftbefehl  aufgehoben, nach Ansicht der Staatsanwaltschaft hat sich der Haftgrund Verdunkelungsgefahr (mögliche Zeugenbeeinflussung) mit der Aussage der Zeugen vor Gericht erledigt.

Der 24jährige Hauptangeklagte konnte das Ilmenauer Gerichtsgebäude als freier Mann verlassen, angeklagt bleibt er trotzdem. Die Verhandlung kann am 19. November in Arnstadt fortgesetzt werden, denn eine Zelle braucht man nun nicht mehr. Aber unabhängig davon, was noch für Zeugenaussagen kommen, ist das Schöffengericht, das ja eine Entscheidung fällen muss, nicht zu beneiden. Fest steht bisher nur: Mindestens einer aus der Gruppe ist wohl dafür verantwortlich, dass der Neutorturm Stunden später gebrannt hat. Und es hinterlässt einen fahlen Beigeschmack, dass offenbar niemandem aus der Gruppe die Nazi-Schmierereien wenigstens peinlich waren und  keiner zugegeben hat, dass sie alle an diesem Abend mindestens großen Mist gebaut haben.

Update 19. November 2024:

Die Zweifel an der Schuld des Hauptangeklagten konnten auch am zweiten Verhandlungstag nicht ausgeräumt werden. Deshalb plädierten sowohl Staatsanwalt als auch Verteidiger für einen Freispruch – zumindest, was die Brandstiftung betrifft. Das Gericht folgte diesen Anträgen, verurteilte ihn aber wegen der Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen, Nötigung und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe von fünf Monaten. Der zweite Angeklagte erhielt ein Jahr Gefängnis, er ist einschlägig vorbestraft und verübte die Taten noch in seiner Bewährungszeit.

Die Frage, wer für den Brand des Neutorturms verantwortlich ist, blieb also in diesem Prozess juristisch unbeantwortet. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war es mindestens einer aus der fünfköpfigen Gruppe, die sich am Vorabend am Turm aufgehalten hat, aber für eine Verurteilung reicht das eben nicht. Das mag unbefriedigend sein, aber vor Gericht gilt immer: Im Zweifel für den Angeklagten.

Deshalb dürfte es auch für die Stadt Arnstadt so gut wie unmöglich sein, jemanden für den entstandenen Schaden haftbar zu machen. Es gibt zwar – auch bei einem Freispruch – noch die Möglichkeit einer Zivilklage, aber gegen wen sollte sie sich richten?

So bleibt nur die Hoffnung, dass die Versicherung, die es nach Aussagen des Stadtspitze für den Turm gab, für den Schaden von geschätzt einer halben Million aufkommt, zusätzlich steht noch das Spendenkonto der Arnstädter für ihren lädierten Turm zur Verfügung.

Und es wäre schön, wenn sich nach diesem Ereignis eine Einsicht in Arnstadt durchsetzen würde: Jemanden, der Hakenkreuze auf Wände sprüht, darf man nicht tolerieren. Er kann ganz schnell zu einem gefährlichen Brandstifter werden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert