Als ich Bernhard Vogel war

Bernhard Vogel hat heute Geburtstag, es ist der 92.. Ein paar Jahre durfte ich ihn als Journalist begleiten. Richtig nahe gekommen bin ich ihm – wie die meisten Menschen – nie. Aber ich habe mit ihm Krawatten gekauft und ihm seine Internetpräsenz gestohlen.

Es gibt so viele Dinge, die man von Bernhard Vogel nicht weiß. Wer führte ihm den Haushalt? Hat er gern ferngesehen und wenn ja, was? Und warum hat er nie geheiratet? „Es hat sich nie ergeben“ hat er mal auf diese Frage geantwortet, als er in den Krakauer Tuchhallen ein Bernsteinarmband kaufte. Für wen? Das wollte er nicht sagen.

Es waren die Reisen, auf denen man wenigstens etwas von dem verborgenen Bernhard Vogel erleben konnte. Ich durfte öfter dabei sein, in Stadtroda, Zwickau, Krakau, Paris, Seoul, New York oder Washington. Da war zwischen den stets eng getakteten Gesprächsterminen, am Abend im Hotel oder kurz vor dem Rückflug manchmal noch ein wenig Zeit übrig zum Krawatten- oder Armbandkaufen, dem schnellen Trip aufs Empire State Building (er kennt sich in dem Gebäude erstaunlich gut aus) oder für einen Absacker in der Hotelbar.

Vogel mit Zbigniew Brzeziński in dessen Büro in Washington.

Dann, wenn die heimischen politischen Probleme sehr weit weg waren, kam manchmal der Schalk hervor, der in ihm wohnt. Ich hab mal erlebt, wie er mit seinen Personenschützern Verstecken spielte, er hatte großen Spaß daran, ihnen gelegentlich zu entkommen. Es gibt da diese Geschichte, wie er daheim in Speyer Sonntagmorgens mit seinem alten Mercedes allein zum Brötchenholen fuhr und die ratlosen Personenschützer ihn zur Fahndung ausschrieben. Er wurde schließlich an einer Tankstelle „gestellt“.

Wenn er auf Reisen war, konnte er, der sonst eher nur verschmitzt lächelte, auch richtig lachen. Hier ein Schnappschuss von der Anprobe zur Verleihung der Ehrendoktoktorwürde in Washington:

Der lachende Bernhard Vogel in Washington

Mit der neuen Technik und diesem Internet hatte er es nicht so. Sein erstes Handy bekam er von seinen Mitarbeitern zum 70. Geburtstag geschenkt, an einer Internetpräsenz hatte er kein Interesse. Ich fand das schade. Bevor es jemand anderes tat, sicherte ich mir vor 25 Jahren „Bernhard-Vogel.de“ und veröffentlichte dort meine Beiträge über den Thüringer Ministerpräsidenten. So sah die Seite aus:

Man konnte dort vieles lesen, was ich für die „Thüringer Allgemeine“ über ihn geschrieben habe. Seine Reisen, die Eisenbahn-Geschichte mit seinem Bruder, die Probleme mit „seiner“ CDU und seinen drei Kronprinzen Althaus, Köckert und Trautvetter, die Feier zum 70. und schließlich den Abgang zum Parteitag in Gera einschließlich der Übergabe der Staatskanzlei an Dieter Althaus, wo jener die prophetischen Worte sprach: „Wir werden die Probleme schaffen“. Dazu gab es dort auch Beiträge, die nie veröffentlicht wurden. Sie entstanden für eine Sonder-TA, die wir Bernhard Vogel zum 70. Geburtstag schenkten.

Diese Internetseite gibt es so nicht mehr. Bernhard Vogel hat während seiner Thüringer Amtszeit nie ein Wort über meinen Identitäts-Diebstahl verloren, aber irgendwann später, als er als möglicher Bundespräsident im Gespräch war, fragte die Adenauer-Stiftung an, unter welchen Bedingungen ich bereit wäre, die Internetpräsenz mit dem berühmten Namen abzugeben. Ich nannte meinen Preis: Ein Mittagessen mit Bernhard Vogel. Und so kam es dann auch, es muss wohl so um 2007 gewesen sein. Es war das letzte Mal, dass ich ihn persönlich getroffen habe.

Aber das Internet vergisst nichts. Und so kann man meine Vogel-Seite auch heute noch im Archiv lesen. Das Aufrufen dauert nur ein bisschen. Viel Spaß dabei. Hier nochmal der vollständige Link:
https://web.archive.org/web/20080609030353/http://www.bernhard-vogel.de/

Heute wird Bernhard Vogel 92. Auch wenn er es in diesem Internet wahrscheinlich nicht lesen wird: Herzlichen Glückwunsch. Er war in seiner Thüringer Zeit einer der integersten Persönlichkeiten, die ich kenngelernt habe. Sicher hat er nicht alles richtig gemacht, es war schließlich die wilde Zeit des Neuanfangs. Aber er hat den Verlockungen der Macht wie kein anderer widerstanden. Dass er vieles aus seinem tiefsten Inneren lieber nicht preisgab, ist vielleicht eine altmodische Eigenschaft, die ich als Journalist nicht besonders prickelnd fand. Aber ich habe es verstanden.

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