Vor 50 Jahren hatte Arnstadt nur eine Partnerstadt. Nicht zu groß, nicht zu klein, nicht zu weit weg, aber ganz woanders. Das französische Haubourdin war für den normalen DDR-Bürger unerreichbar. Trotzdem entwickelte sich eine rege Beziehung, an die viele Arnstädter noch gern zurückdenken, obwohl die Partnerschaft nie offiziell wurde.
Am Anfang stand der Versuch der noch jungen DDR, die fehlende Anerkennung durch westliche Staaten durch kommunale Partnerschaften zu unterlaufen. Dafür boten sich vor allem französische Partner an, der Einfluss der kommunistischen Partei war besonders in nordfranzösischen Gemeinden hoch. Anfang der 1960er-Jahre wurden deshalb verschiedene Kontakte zwischen Gemeinden des damaligen Bezirks Erfurt und Orten im französischen Departement Nord angebahnt. Für Arnstadt fiel die Wahl auf Haubourdin, einer Kleinstadt mit etwa 15.000 Einwohnern in der Nähe von Lille. Dort gab es zwar keinen kommunistischen Bürgermeister, aber einige französische Bürger, die dem Angebot der DDR-Funktionäre für eine Partnerschaft mit einer ostdeutschen Kleinstadt durchaus offen gegenüberstanden. Und so reiste eine kleine Delegation aus Haubourdin im April 1963 nach Arnstadt und vereinbarte mit dem Rat der Stadt eine erste gemeinsame Aktivität: ein vierwöchiges Ferienlager für 20 französische Kinder in Arnstadt oder in der Umgebung.
1963: das erste Ferienlager
Die Aufgabe war für die Arnstädter herausfordernd, schließlich betrat man völliges Neuland – von der Beschaffung der Reisepapiere über Unterkunft, Verpflegung und Programm bis zur Rundum-Betreuung der französischen Gäste. Und sie war in nicht einmal drei Monaten zu bewältigen.
Doch es gelang, weil jemand gefunden wurde, der für die Durchführung solcher Projekte wie geschaffen war: Frithjof Thiele.
Er war nicht nur Französischlehrer an der hiesigen EOS, sondern ein Multitalent und Lebenskünstler. Als Junglehrer hatte Thiele schon 1953 die erste Jazzband in Arnstadt gegründet, aus der später die „Teddys“ hervorgingen. Er organisierte Faschings- und Abschlussbälle, baute mit Schülern im Keller der Schule eine riesige Modellbahnanlage auf, besaß eine der besten Schallplattensammlungen der Stadt und war auch mal behilflich, wenn jemand einen Text einer englischen Beatgruppe übersetzt haben wollte. Letzteres – und das mit den Schallplatten – musste aber nicht unbedingt jeder wissen.
Frithjof Thiele nahm die Aufgabe, das französische Kinderferienlager zu organisieren, gern an. Organisieren zählte zu seinen vielen Talenten – und er hatte auch eine Idee, wie die Rundum-Betreuung gewährleistet werden kann: mit seinen Schülern. In der 11. Klasse der EOS fanden sich genügend Interessenten, die gern Kontakte mit seltenen Gästen aus dem westlichen Ausland knüpfen würden, und die Sprache war auch kein Problem, es handelte sich schließlich um eine Französischklasse.
Die französischen Kinder und Jugendlichen kamen am 27. Juli 1963 mit dem „Interzonenzug“ von Paris nach Berlin am Grenzübergang Wartha bei Eisenach an und wurden von dort mit Bussen an ihre Ferienorte gebracht; Arnstadt hatte dafür die „Singer Hütte“ ausgesucht. Statt der avisierten 20 waren es nur 17, im Alter von 9 bis 17 Jahren. Die beiden Betreuerinnen von französischer Seite waren nur wenig älter als die Jugendlichen und erwiesen sich als wenig hilfreich bei der Herstellung einer gewissen Ordnung im Lager, dennoch gelang es – trotz der großen Altersunterschiede in der Gruppe – durch das organisatorische Geschick und das menschliche Einfühlungsvermögen von Lagerleiter Thiele und seinen Helfern eine angenehme Atmosphäre in der Gruppe herzustellen. Zwar gab es anfangs einige Missverständnisse über unterschiedliche Essensgewohnheiten und Zeiten, aber auch das gab sich.
Das vorbereitete Programm war abwechslungsreich. Es gab Ausflüge per Bus oder Bahn auf die Erfurter iga, in die Saalfelder Feengrotten, zur Burg Greifenstein bei Bad Blankenburg und die Rudolstädter Heidecksburg, nach Paulinzella, Königsee, den Fröbelturm bei Meuselbach, Oberhof und zum Trusetaler Wasserfall. Gebadet wurde ebenfalls häufig, wenn es das Wetter zuließ: nicht nur im Arnstädter Freibad, sondern auch im Strandbad Königsee und in den Schwimmbädern Unterweißbach und Sitzendorf. Die Kinder und Jugendlichen besuchten Betriebe der Region und natürlich die Gedenkstätte in Buchenwald, das war die einzige Vorgabe „von oben“ für das Programm.
Das Fazit des Lagerleiters in seinem achtseitigen Abschlussbericht: Das Lager war ein voller Erfolg. Die Kinder und Jugendlichen aus Frankreich zeigten sich nicht nur vom Programm und der Atmosphäre begeistert, sondern kehrten auch mit einem positiven Eindruck vom Leben in der DDR nach Hause zurück. Die Kosten für den Aufenthalt der französischen Ferienkinder beliefen sich 1963 auf etwa 11.500 (DDR-)Mark, die von der Stadt und Kreis getragen werden mussten.
Für das kommende Jahr (1964) wurde mit der französischen Seite vereinbart, die Zahl der Ferienkinder auf 25 bis 30 zu erhöhen. Da das die Kapazität der „Singer Hütte“ überstieg, musste eine andere Unterkunft gefunden werden. Die zunächst dafür ins Auge gefasste Goldschmiedeschule im Hopfengrund stand leider nicht zur Verfügung, sodass die Jugendherberge „Werner Gottfeld“ am Bierweg (heute Sitz des DRK-Kreisverbands) ausgewählt wurde. Es kamen sogar 40 Kinder und Jugendliche aus Haubourdin und Umgebung, betreut wurden sie wieder von Frithjof Thiele und fünf seiner Schülerinnen und Schüler, diesmal aus der Abiturklasse. Als Problem erwies sich (wie im Vorjahr) die hohe Altersspanne der Gäste. Die jüngsten waren 10, die ältesten 18 Jahre alt. Die französischen Betreuer waren diesmal etwas besser vorbereitet worden, optimal war deren Rolle nach dem Abschlussbericht Thieles dennoch nicht1. Aber alle Probleme wurden irgendwie gemeistert. Das Programm ähnelte dem des Vorjahres, zusätzlich wurden Kontakte zu anderen (DDR-)Ferienlagern in und um Arnstadt sowie mit den Familien der betreuenden Schüler eingeplant. Die Vermutung, dass man die Franzosen während ihres Aufenthaltes in Arnstadt abschotten würde, bestätigen die Programme nicht. So ergaben sich zum Beispiel bei den Aufenthalten in den Schwimmbädern der Region zahlreiche Kontakte, die auch nach der Abreise weiterbestanden. Schließlich war die Neugier auf beiden Seiten groß.
Auch in den kommenden Jahren wurden regelmäßig Ferienaufenthalte für französische Kinder in Arnstadt organisiert, daneben gab es aber auch noch andere Besuche. So sah der Arbeitsplan für 1970 folgende Kontakte vor:
- 12 französische Handwerker und Geschäftsleute besuchen im Februar Arnstadt
- An den Feiern zum Tag der Befreiung im Mai in Arnstadt nimmt eine repräsentative Delegation aus Haubourdin teil
- Im Oktober kommen französische Jugendliche nach Arnstadt, um eine Partnerschaft zwischen den Jugendklubhäusern vorzubereiten
- Vier Lehrer aus Haubordin nehmen an einem Thüringer Lehrersymposium teil
- Französische Jugendliche verbringen Ostern, die Sommerferien oder Weihnachten bei Arnstädter Gastfamilien
- In den Schulen werden Mal- und Fotowettbewerbe veranstaltet, um die jeweilige Partnergemeinde näher kennenzulernen
Der erste Gegenbesuch
Die ersten Partnerschafts-Aktivitäten waren ausschließlich Reisen von Haubourdin nach Arnstadt. Interessant ist, dass der erste Gegenbesuch nicht an der restriktiven Politik der DDR scheiterte, sondern an den französischen Behörden. 1969 wurde eine vierköpfige Arnstädter Delegation nach Haubourdin eingeladen und dafür ein Reiseantrag beim französischen Außenministerium gestellt, der aber nicht genehmigt wurde. Gründe dafür wurden nicht genannt1. Erst 1970 konnte ein Arnstädter mit einer Delegation von Kommunalpolitikern des Bezirkes Erfurt nach Arnstadt reisen, es war der schon erwähnte Französischlehrer Frithjof Thiele. Er wurde dazu in der Zeitung „Das Volk“ interviewt und sagte über seinen Empfang in Haubourdin:
„In Haubourdin hatten sich alle Einwohner, die in der Vergangenheit Arnstadts Gäste gewesen sind, zu einem herzlichen Wiedersehen versammelt. Im Haus der Jugend und Kultur wurden wir vom Freundschaftskomitee empfangen und unsere Ferienkinder hatten sich ein ganz besonderes Programm ausgedacht“.
Thieles Besuch sollte für lange Zeit der einzige eines Arnstädters in Haubourdin bleiben.
Die französischen Besuche, besonders die Kinderferienlager, wurden aber regelmäßig fortgesetzt. Die Ferienlager fanden nun in der POS VI statt, die in einem Flügel der EOS am Schlossplatz untergebracht war, immer geleitet von Frithjof Thiele und unterstützt von seinen Schülerinnen und Schülern. Daneben gab es auch weiterhin Besuche anderer Delegationen aus Haubourdin in Arnstadt.



Auf Arnstädter Seite wurde die Partnerschaftsarbeit über den Rat der Stadt koordiniert und finanziert, es sollte nach außen der Eindruck erweckt werden, dass es sich um eine offizielle Partnerschaft handelte. Dazu wurden an allen Zufahrtsstraßen Schilder aufgestellt, die Arnstadt als „Partnerstadt von Haubourdin“ auswiesen – was allerdings nicht der Wahrheit entsprach, denn es gab auf französischer Seite nach wie vor nur ein ehrenamtliches Freundschaftskomitee, das über die Jahre durch personelle Wechsel nicht immer stabil arbeiten konnte. Erst im Jahr 1972 gelang es diesem Komitee, den antikommunistisch eingestellten Bürgermeister von Haubourdin zu einem Besuch in Arnstadt zu überreden. Der Besuch fand im April 1973 statt, dabei wurde ein Freundschaftsvertrag (kein Partnerschaftsvertrag) abgeschlossen, der sich allerdings nicht in den Archivakten befindet. Es gab in den Jahren danach unter anderem einen regen Austausch zwischen den Philatelisten beider Städte, aus Frankreich kamen Sportlerdelegationen nach Arnstadt, auch die Besuche von Kommunalpolitikern wurden fortgesetzt. In Haubourdin entwickelte das Freundschaftskomitee ein „audiovisuelles Spektakel“, einen 70-minütigen Diavortrag mit Musikuntermalung, bei dem 650 (!) Stadtansichten von Arnstadt und Thüringen gezeigt wurden. Der Diavortrag wurde vor verschiedenen Gremien, in Schulen und bei Veranstaltungen gezeigt. „Bald gibt es hier niemanden mehr, der Arnstadt nicht kennt“, schrieb 1984 ein Mitglied des Freundschaftskomitees in Haubourdin an den Arnstädter Finanzstadtrat Markus Klein.
Nur: kaum ein Arnstädter kannte Haubourdin. Denn so gut wie niemand durfte die DDR verlassen. Während das anfangs noch am französischen Außenministerium gelegen hatte, war es ab den 70er Jahren ausschließlich die DDR, die ihre Bürger daran hinderte. Zwar durfte Markus Klein als für die Partnerschaft Verantwortlicher 1984 Haubourdin besuchen und auch Frithjof Thiele reiste 1985 nach Erreichung des Rentenalters als Tourist nach Frankreich, aber der Haubourdiner Bürgermeister Lequimme hatte nach seinen Besuchen in Arnstadt klargemacht, dass ein Ausbau der Beziehungen zu einer echten Städtepartnerschaft von der Anzahl der Gegenbesuche von Arnstädtern in Haubourdin abhängig sei. Insbesondere bestand er auf einer Visite des Arnstädter Bürgermeisters in seinem Amtssitz.
Dieses Thema belastete zunehmend die Arbeit des Freundschaftskomitees in Haubourdin. Die Mitglieder ärgerten sich weniger über ihren antikommunistischen Bürgermeister als über die Sturheit der DDR-Behörden, die ihre Bürger nicht ausreisen ließen. Auch auf einer Jubiläumsveranstaltung zum 25. Geburtstag des Komitees am 10. Mai 1987 in einem Nobelhotel bei Haubourdin, zu der alle Akteure eingeladen worden waren, entlud sich der Zorn darüber, dass mit der Ausreisepolitik der DDR alle Bemühungen um eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Haubourdin und Arnstadt torpediert würden.
Der Eklat von Lyon
Und so geriet das einseitige Besuchsverhältnis zwischen Haubourdin und Arnstadt in den Blickpunkt der großen Politik. Auf einem viel beachteten internationalen Kongress 1987 in Lyon, der eigentlich als Schaufenster-Veranstaltung die Unterstützung vieler französischer Kommunen für die Politik der DDR beweisen sollte, kam es zu einem denkwürdigen Auftritt des Haubourdiner Komiteevorsitzenden Gerard Leroy. In Anwesenheit des hohen DDR-Funktionärs Gerald Götting, Chef der Ost-CDU und der „Liga für Völkerfreundschaft“, hielt Leroy vor 400 Zuhörern eine flammende Rede, in der er die Haltung der DDR-Behörden anprangerte und sich direkt an Götting wandte:
„Wenn das Ziel unserer Freundschaftsgesellschaft auch nicht nur der Austausch allein ist, so stellt er doch ein wesentliches Fundament dar. Und von Ihrer Seite ist es immer nur ein ‚Nein’ gewesen! Denken Sie auch an die Haubourdiner, die nach Arnstadt gekommen sind – ich sage, dass es mehr als 1000 waren – und die seitdem ohne Hoffnung auf ihre Freunde warten? (… ) Einige haben mich sogar schon gefragt, ob es in der DDR überhaupt Bürgermeister gibt. Die französischen Freunde werden auf diese Weise zu Waisen der DDR gemacht! … Was das massive Argument ihrerseits mit dem Devisenpreis für das Flugticket betrifft, so habe ich mich verpflichtet, Herrn Bernd Markert (den damaligen Arnstädter Bürgermeister, d. A.) mit meinem Privatwagen in Arnstadt abzuholen. … Wir haben im großen Buch der Freundschaft seit 25 Jahren die DDR stets auf der ersten Seite platziert. Wenn das nicht mehr auf Gegenseitigkeit beruht, dann müsst Ihr das sofort sagen!“
Laut Leroy haben sich nach seiner Rede vor den 400 Delegierten „Beifallsstürme erhoben“. Gerald Götting fühlte sich zu einer Erwiderung verpflichtet und sagte vor dem Plenum: „Ja, wir haben hier einen Fehler gemacht, ich werde das in Ordnung bringen“. Leroys Fazit nach dem Kongress: „Bernd Markert hat zwar das Flugticket noch nicht in der Hand, aber er ist auch nicht mehr weit davon entfernt.“ Wenige Monate später durfte Bernd Markert Haubourdin besuchen. Damit war zumindest eine Bedingung erfüllt, um nun endlich eine echte Städtepartnerschaft abzuschließen, nachdem schon so viele Menschen in Haubourdin und Arnstadt langjährige Freundschaften geschlossen hatten. Auch der Bürgermeister von Haubourdin schien diese Meinung zu vertreten.
1987 war auch ein besonderes Jahr für einen anderen Mitstreiter der Partnerschaft: Frithjof Thiele. Er wurde für seine Verdienste mit der Medaille der Liga für Völkerfreundschaft in Gold ausgezeichnet und erhielt eine besondere Würdigung im Ehrenbuch der Stadt Arnstadt (nicht zu verwechseln mit dem goldenen Buch der Stadt).

Im Jahr 1988 fand das letzte Ferienlager für Kinder aus Haubourdin in Arnstadt statt, auch wenn das in diesem Jahr noch keiner ahnte. 1989 begann als völlig normales Jahr, Arnstadt plante den Empfang einer Delegation aus Haubourdin für den Herbst und der Haubourdiner Bürgermeister lud seinen Arnstädter Kollegen Markert zu einem großen Spektakel „Ton und Licht“ am 7. und 8. Oktober 1989 nach Frankreich ein. Genau am 40. Jahrestag der DDR, der in Arnstadt mit einer gewalttätig niedergeschlagenen Demonstration endete.
1989 hatte der Arnstädter Bürgermeister seinen französischen Partnern aber auch noch etwas zu beichten: die von oben verordnete Partnerschaft mit Kassel. „Hier hat also etwas Gestalt angenommen, wofür Ihr seit 25 Jahren eingetreten seid, ja im wahrsten Sinne des Wortes gekämpft habt. Leider sind diese Anstrengungen bislang vergebens gewesen. Wir haben das immer sehr bedauert – wie ihr auch“, schrieb er im September 1989 an Gerard Leroy, den Vorsitzenden der Haubourdiner Freundschaftsgesellschaft (der Brief ist in der Akte nur als Entwurf enthalten).
Dann kam die Wendezeit. Eigentlich war nun endlich der Weg frei für eine echte Städtepartnerschaft Arnstadt-Haubourdin, denn die Reisefreiheit war nun kein Problem mehr – und Kontakte zwischen den Bürgern der beiden Städte gab es mehr als genug. In seinen Neujahrswünschen für 1990 an den Bürgermeister-Kollegen in Haubourdin bekräftigte Markert im Dezember 1989 noch einmal seine Haltung dazu: „Nach dem historischen Wendepunkt in der Geschichte unseres Staates möchte ich Sie in meinem Namen und dem des Rates bitten, darüber nachzudenken, ob unsere bisherigen freundschaftlichen Beziehungen nicht doch auch in eine offizielle Städtepartnerschaft übergehen könne, so wie eine solche zwischen Haubourdin und Jülich oder zwischen Arnstadt und Kassel in der BRD existent ist. Ich meine, dass die Zeit hierzu herangereift ist. … Ich möchte wirklich nicht, dass die neuen Partnerschaftsbeziehungen zwischen Kassel und Arnstadt, so sehr wir sie schätzen und hinter ihnen stehen, den an Jahren älteren Beziehungen zwischen Haubourdin und Arnstadt den Rang ablaufen.“
Unklares Ende
Da sich das in dem Brief angesprochene Jülich mittlerweile auch um eine Partnerschaft mit Arnstadt bemüht hatte, bestand also die Aussicht auf eine Dreiecks-Beziehung Arnstadt – Haubourdin – Jülich, drei Gemeinden ähnlicher Größe und in vertretbaren Entfernungen. Es wäre ein guter Start in die Nachwendezeit gewesen.
Aber dazu kam es nicht. Die Partnerbeziehungen zwischen Arnstadt und Haubourdin verschwanden nach der Wende sang- und klanglos in der Versenkung. In den Akten des Stadt- und Kreisarchivs findet sich kein Grund dafür. Jürgen Reuß, damals als Arnstädter Beigeordneter für Partnerschaften zuständig, glaubt sich an einen Brief aus Haubourdin zu erinnern, in dem nach der Wende völlig überraschend der Abbruch der Beziehungen seitens Haubourdin festgestellt worden sei. In den Akten findet sich ein solches Schreiben nicht, Reuß vermutet, es könne in den Wendewirren verloren gegangen sein.
Der letzte in der Akte enthaltene Briefkontakt zwischen den Partnern, die nie eine offizielle Städtepartnerschaft besiegeln konnten, klingt anders. Am 26. September 1990, also nach den ersten freien Kommunalwahlen, gratulierte Gerard Leroy für das Haubourdiner Freundschaftskomitee in warmen Worten Helmut Hüttner zu seiner Wahl als Arnstädter Bürgermeister, stellte sich und sein Komitee vor und skizzierte seine Vorstellungen von der gemeinsamen Zukunft:
„Sie werden verstehen, dass unser Freundeskreis in Haubourdin mit Freude die Rückkehr zur Demokratie und Freiheit bei Ihnen begrüßt hat. Soll das aber etwa auch heißen, dass von dieser vergangenen Zeitperiode nichts übriggeblieben wäre? Nein, gewiss nicht. Enge Bande haben sich geknüpft zwischen Haubourdinern und Arnstädtern. Wir zählen in Ihrer Stadt auf viele aufrichtige Freunde, für die die Freundschaft zwischen beiden Städten eine wichtige Sache ist. … Alle Mitglieder des Freundschaftskomitees schließen sich mir an im Wunsch auf neue und früchtebringende Entwicklungen in den Beziehungen zwischen den Menschen unserer beiden Städte“.
Der Wunsch von Gerard Leroy ging nicht in Erfüllung. Es gab in der Nachwendezeit keine offiziellen Kontakte mehr zwischen Arnstadt und Haubourdin. Über die Gründe kann man nur spekulieren, solange keine weiteren Akten auftauchen. Was aber von der Partnerschaft, die nie offiziell geworden ist, blieb, sind persönliche Erinnerungen. Fast jeder Arnstädter, dem ich von meinen Recherchen zum Thema erzählt habe, erzählte eine eigene Geschichte dazu. Manche Freundschaften halten bis heute. Mehr kann eine Partnerschaft nicht bewirken, auch wenn sie offiziell nie eine war.
Quelle: Verschiedene Akten zu Partnerschaftsbeziehungen im Stadt- und Kreisarchiv Arnstadt
Dieser Betrag ist zusammen mit anderen interessanten Geschichten auch im Lesebuch „Aus der Geschichte von Arnstadt und Umgebung“, Heft 34, erschienen.