Verschwunden

Das Arnstädter Bahnhofsviertel galt früher als eines der lebendigsten außerhalb der Innenstadt. Doch in den vergangenen Jahren hat es immer mehr an Infrastruktur eingebüßt. Nun ist auch die letzte Bäckereifiliale in der Bärwinkelstraße verschwunden. Still und leise.

Als wir vor gut zehn Jahren ins Arnstädter Bahnhofsviertel zogen, geschah das nicht nur wegen der guten Bus- und Bahnanbindung. Es war ein bisschen wie im Schlaraffenland. Wir hatten gleich drei Möglichkeiten zum samstäglichen Brötchenholen und die Ecke: Die Frischback-Filiale im Hauptbahnhof, die Bäckerei Heyder an der Ecke Kasseler / Thomas-Mann-Straße und die Bernsdorf-Außenstelle in der Bärwinkelstraße. Außerdem gab es einen „Späti“ in der Mozartstraße, Böslebener Fleisch und Wurst in der Alten Feldstraße und sogar eine Augenärztin unterhalb der Arnsberg-Schule. Hier, so dachten wir, kann man alt werden.

In der ehemaligen Praxis von Frau Dr. Abendroth

Als Erste verschwand Ulrike Abendroth. Die beliebte Arnstädter Augenärztin ging Ende 2018 in den verdienten Ruhestand und es fand sich (bis heute) niemand, der ihre Nachfolge übernehmen wollte, obwohl der Bedarf in Arnstadt groß ist, sagt sogar die zuständige Kassenärztliche Vereinigung in Weimar. 

Die ehemalige Frischback-Filiale im Hauptbahnhof

Mitte 2019 erwischte es dann Frischback. Die ursprünglich sehr erfolgreiche Arnstädter Bäckereikette kam zunächst ins Schlingern und gab dann vollständig auf. Alle Filialen in Arnstadt wurden geschlossen, auch unsere im Arnstädter Hauptbahnhof.  Kurzzeitig versuchten sich danach dort einige junge Leute mit einer Art Pizza-Verkauf, aber irgendwie war das wohl nichts. Seitdem ist der Laden nur noch eine Werbefläche für sich selbst.  

Die Bäckerei Heyder, als es sie noch gab

2020 schloss die Bäckerei Heyder. Sie war einer der Arnstädter  Traditionsbetriebe mit einem großen Kundenkreis und einem gut laufenden angeschlossenen Café, an der Nachfrage lag es nicht. Aber der Bäckermeister Ralf Heyder fand einfach keinen Nachfolger.  In den vergangenen Monaten wohnten immer mal wieder chinesische Arbeiter von CATL in der ehemaligen Backstube, aber Brötchen und Brot kann man dort nicht mehr kaufen.

Hier gab es früher Fleisch und Wurst aus Bösleben

Als nächstes verschwand der Späti in der Mozartstraße, er zog näher an die Innenstadt. Und auch die Filiale der Böslebener Fleischerei in der Alten Feldstraße wurde geschlossen. Es gäbe ja noch andere Filialen in Arnstadt, kann man bis heute im ehemaligen Schaufenster lesen, mit „genügend Parkplätzen“.  

Die geschlossene Bernsdorf-Filiale

Nun ist auch meine letzte Möglichkeit zum fußläufigen Brötchenholen Vergangenheit, die Bernsdorf-Filiale in der Bärwinkelstraße hat vor einigen Tagen dicht gemacht. Da schon alle Einbauten aus dem Laden verschwunden sind, wohl für immer. Aus wirtschaftlichen Gründen, hieß es. Personal ist schwer zu finden.

Leute, die auf dem Dorf ohne jeden Laden wohnen, werden kaum verstehen, worüber hier geklagt wird. Wir haben schließlich noch immer den „Netto“ am Rehestädter Weg, in die Innenstadt kann man laufen und es verkehren sogar regelmäßig Busse, sogar bis in den Abend hinein. Aber es ist ein Stück Lebensqualität, das den Bewohnern unseres  Viertels da still und leise über die Jahre abhanden gekommen ist. 

Die üblichen Schuldigen sind nicht einmal schuld daran, weder die Stadt noch das Internet. Es gab keine jahrelange Baustelle im Viertel, wie sie die Gewerbetreibenden  in der Schlossstraße und bald am Markt erdulden müssen (nur in der Arnsbergstraße wurde mal etwas länger gebaut). Und Backwaren oder Fleisch kauft auch heute noch niemand bei Amazon. Man kann nicht mit dem Finger auf jemanden zeigen, der das alles verbockt hätte, denn den einen Schuldigen gibt es nicht.

Aber dass vor dem Bernsdorf-Laden in der Bärwinkelstraße kein angeleinter Hund mehr sitzt, der sich die Seele aus dem Leib bellt, während sein Herrchen drinnen in aller Seelenruhe seinen Kaffee trinkt, das werde ich schon sehr vermissen.

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