Die virtuelle Kneipe

Einer der Tweets vom Verbandstag. Es wurden immer mehr...Als Journalist, egal welchen Alters,  sollte man sich weder vom Kauderwelsch der Experten noch von den zahlreichen „Das-böse-Internet“-Artikeln abhalten lassen, ins Netz zu gehen. Wer es nicht tut, verpasst mindestens eine zeitgemäße Recherche-Chance. Dafür habe ich in einer Diskussionsrunde auf dem Verbandstag des DJV Thüringen in Suhl geworben. Und für alle, die nicht dabei waren, hier noch einmal mein Thesen.


Dieser Beitrag ist ein Widerspruch an sich. Er steht in meinem Blog und wendet sich aber an Leute, die Blogs gar nicht kennen oder für Teufelszeug halten. An Journalistenkollegen, die vielleicht ab und zu noch mal googlen, aber sich ansonsten dem Netz tapfer verweigern, weil sie meinen, die reale Welt sei doch schon vielfältig genug. Das stimmt zwar, aber ich kann nur sagen: Leute, Ihr verpasst was.

Denn als Lokaljournalist muss man dahin gehen, wo die Leute Geschichten erzählen.

Das ist vorzugsweise die Kneipe, wo man viel Unsinn hört, viele Vorteile bestätigt kommt, aber auch manchmal eine gute Story  erfährt.

Genau so ist es mit dem Internet. Da hört und liest man auch viel krudes Zeugs. Aber die Aufgabe eines Journalisten ist es schließlich, aus all den wahren oder erfundenen Geschichten das herauszufiltern, das sich lohnt, weitererzählt zu werden. Daran hat sich durch das Netz überhaupt nichts geändert.

Geändert hat sich auch nichts daran, dass sich manche Leute als etwas anderes ausgeben als sie sind. Pseudonyme gab es zu allen Zeiten, auch in der Literatur. Ich fand B. Traven spannend. Hätte ich ihn ignorieren sollen, nur weil ich seinen „Klarnamen“ nicht kannte?  Und auch anonyme Zuschriften gab es schon immer. Auch in dieser Hinsicht bietet  das Netz also gar nichts Neues.

Was neu ist: Man trifft mittlerweile mehr Leute aus der Region im Netz als in der Kneipe. Und deshalb verpasst jeder Journalist eine Chance, wenn er es nicht nutzt. Ich gehe weiter in die Kneipe, wenn Zeit ist. Aber zwischendurch besuche ich auch andere Treffpunkte.

Derer gibt es viele im Netz. Und wie verschiedene Leute verschiedene Lieblingskneipen haben, ist es auch virtuell Geschmackssache, wo man sich rumtreibt.  Wer  mehr der Zuhör-Typ als der Dampfplauderer ist, sollte mal bei Twitter vorbeischauen. Dort kann man jedem zuhören, der auch bei Twitter ist. Für Recherchezwecke ideal. Ich habe mir zum Beispiel eine Suche zusammengebastelt, die alle Orte meiner Umgebung enthält. Da ist dann zwar auch dabei, dass in Siegelbach jemand einen Hund verkaufen möchte, aber auch die Feuerwehrversammlung in einem kleinen Ort, von der ich vorher nichts wusste. Schon manche meiner Geschichten haben mit einer Twitter-Recherche begonnen.

Facebook ist eine andere Quasselbude, wohl die größte derzeit. Und es gibt noch viele andere. Google+, Bing und wie sie alle heißen. Reinschnuppern lohnt sich für Journalisten immer, wie intensiv man die einzelnen Netzwerke nutzt, steht auf einem anderen Blatt. Es geht ja auch keiner jeden Abend in alle Kneipen der Stadt, schon aus alkoholischen Gründen. Aber wenn eine neue aufmacht, schaut man interessehalber schon mal vorbei. So halte ichs auch mit sozialen Netzwerken.

Die Ausrede, das seien doch möglicherweise alles Eintagsfliegen, ist keine. Natürlich entwickelt sich die Szene weiter. Und natürlich sind manche Hypes wie StudiVZ schon wieder fast verschwunden. Was sich auf Dauer durchsetzt, weiß derzeit keiner. Aber ein Journalist, der deshalb von vornherein alle neuen Informationsangebote ignoriert, hat seine wichtigste Tugend eingebüßt: die Neugier.

Und nun zum letzten Argument: Das Internet ist gefährlich, hört man doch jeden Tag. Das stimmt unbedingt. Aber keine Angst: So gefährlich wie Autofahren ist ein Facebook-Account nicht. Und ich verpflichte mich hiermit, in jedem Blog auf die Gefahren des Aufenthaltes im Netz hinzuweisen, sobald meine werten Kollegen Autojournalisten jeden Sportwagen-Test mit dem Hinweis auf die Verkehrstoten aus der jüngsten Unfallstatistik beginnen.

Die Welt zerfällt nicht in einen realen und einen virtuellen Teil. Es gibt nur eine Welt. Und Journalisten sollten sie mit Neugier erforschen. Und ins Netz genau so freudig einsteigen wie in ihr Auto.

Ein Gedanke zu „Die virtuelle Kneipe“

  1. Hallo Kollege, ich schreibe über den Verbandstag für den „Journalist“ und nutze ein Zitat aus Deinem Text dafür. Das ist ok, oder? Willst Du den Artikel vorher lesen? Ich soll ihn heute fertighaben. Grüße!
    Heidje

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