Arnstadt und Querköpfe scheinen eine gewisse Anziehungskraft aufeinander auszuüben. So war es folgerichtig, dass es auch einen von Deutschlands bekanntesten Querköpfen kurz mal nach Arnstadt verschlagen hat. Heute vor 200 Jahren wurde er geboren.
Otto von Bismarck stand noch am Anfang seiner politischen Karriere, als er im Jahre 1850 gemeinsam mit zwei Begleitern zu einem Jagdausflug zur Auerhahnbalz in den Thüringer Wald plante. Schon am Ziel der Reise merkt man, wie lange das her ist. Denn die Auerhähne heißen heute gendermäßig eher Auerhühner und sind außerdem im Thüringer Wald so gut wie ausgestorben. Die finanzintensive Ansiedlung ausländischer Exemplare war leider nur aus Sicht der in der Nahrungskette etwas höher angesiedelten Faunavertreter erfolgreich.
Nach der Übernachtung in Erfurt legten Bismarck und seine Begleiter schon in Arnstadt die erste Rast ein. Beim Pferdewechsel nahmen sie morgens um 8 in der „Henne“ ein „reichliches Frühmahl von delikaten Schmerlen“ (eine heute nur noch bei Aquarienfreunden bekannte Fischart) zu sich und tranken dazu einen „Bocksbeutel von 1811“. So kann man es in der Arnstädter Chronik nachlesen. Auf den weiteren Stationen wurde dann nur noch Bier getrunken, weil nach dem vorzüglichen Bocksbeutel kein anderer Wein so richtig schmecken wollte. Ob überhaupt noch auf Auerhähne geschossen wurde oder diese ungestört ihrer Balz nachgehen konnten, verrät die Chronik nicht.
Später dann, auf dem Höhepunkt seiner politischen Karriere, sind hauptsächlich Durchfahrten des Reichskanzlers durch Arnstadt vermerkt. Interessant ist, dass allein die Tatsache, dass sein Zug auf der Fahrt nach Bad Kissingen auf dem Arnstädter Hauptbahnhof einen kurzen Halt einlegen werde, hunderte Bürger zum Winken lockte. Bismarck soll sich, samt Fürstin und Reichshund, sogar kurzzeitig am Fenster gezeigt haben. So eine Begeisterung kann man sich bei heutigen Politikern kaum mehr vorstellen. Wahrscheinlich mangelt es ihnen an Reichshunden.
Arnstadt hatte also nicht allzu viel von Bismarck, ist aber bis heute damit beschäftigt, seinen Nachlass zu ordnen. Denn in einer Lagerhalle harrt ein Brunnen seiner Wiederaufstellung, der Bismarcks Namen trägt und von 1909 bis zum 2. Weltkrieg den Markt dominierte. Er ist in Arnstadt mindestens genau so umstritten wie der Reichskanzler, wahrscheinlich sogar noch mehr. Die Chance oder Gefahr einer Wiederaufstellung (je nach Sichtweise) ist aber heute so gering wie lange nicht. Denn Arnstadt ist derzeit eher mit Abbau als mit Aufbau beschäftigt.
Die Bismarckstraße heißt heute Lindenallee, den Bismarckturm kennen die meisten nur noch als Alteburgturm, die Ehrenbürgerschaft für den Reichskanzler ist mit seinem Tod erloschen. Außer dem eingesperrten Brunnen ist nicht viel geblieben in dieser Stadt, das an ihn erinnert.
Wenn Arnstadt heute noch etwas von Bismarck lernen kann, dann vielleicht diesen Spruch: „Politik ist die Kunst des Möglichen“. Aber bevor das in Arnstadt beherzigt wird, kommt wohl eher der Auerhahn wieder. Oder es muss sehr, sehr viel Bocksbeutel getrunken werden.