Ich hatte heute einen netten Abend, denn ich habe endlich herausgefunden, wie der Arnstädter Stadtrat funktioniert: Er tut es gar nicht. Es sieht nur so aus.
Arnstädter Stadtrat ist, wenn Steffen Dittes die Hälfte der Zeit redet. Steffen Dittes ist Fraktionsvorsitzender bei den Linken und hat im Landtag gelernt, wie man selbst aus einem Hundehaufen noch ein ideologisches Grundsatzproblem machen kann. Er tut das ohne Rücksicht darauf, ob seine Fraktionskollegen in einem Ausschuss etwas anderes gesagt haben. Denn wenn es um den Weltfrieden geht, hört die Basisdemokratie auf. Und eigentlich geht es doch immer um den Weltfrieden.
Dittes redet immer so lange, bis kein anderer mehr Lust hat, zum Thema zu sprechen. Daraufhin beantragt Steffen Dittes Verdoppelung seiner eigenen Redezeit, um sich darüber aufzuregen, dass sich nicht alle über seine Position aufgeregt haben.
Das regt vor allem den Bürgermeister auf. Der heißt Hans-Christian Köllmer, schießt gern Böcke und gelegentlich auch über das Ziel hinaus – egal, wer gerade hinter der Scheibe steht. Meist steht Steffen Dittes hinter der Scheibe. Und immer, wenn Dittes gerade seine übliche Dreiviertelstunde monologisiert hat, betont Köllmer danach, dass die Zeiten der DDR vorbei sind – und zwar mit einer Inbrunst, als habe er es gerade erst erfahren. Und gelegentlich schwingt etwas wie Wehmut mit, denn die Böcke, die Köllmer in der DDR geschossen hat, waren auch nicht schlecht.
Dittes eignet sich zwar kaum als abschreckendes DDR-Beispiel, er war wohl in dieser Zeit noch mit Trommeln und Christbäumen beschäftigt, aber darauf kann Christian Köllmer keine Rücksicht nehmen, denn ihm geht es um noch höhere Güter als Weltfrieden: Einigkeit und Recht und Freiheit, aber zackzack!
An dieser Stelle kommt dann immer von Gerhard Pein (Linke) ein längerer Monolog, in dem deutlich erkennbar die Vokabel „ungeheuerlich“ enthalten ist. Worauf Steffen Dittes fragt, warum eigentlich Pro Arnstadt nichts sagt. Daraufhin weist das personifizierte Wendegewissen Erwin Erdmann darauf hin, dass ein Erfolg der friedlichen Revolution auch darin bestehe, nichts sagen zu dürfen. Er praktiziert das als Chef des Finanzausschusses seit Jahren – und zwar sehr wortreich.
Manchmal sagt auch die SPD was. Was das ist, hängt davon ab, welche SPD redet. Denn es gibt mehrere SPD’n im Stadtrat. In einer davon war sogar Erwin Erdmann mal drin.
Es passt zwar meist überhaupt nicht zum Stand der Debatte, aber irgendwann kommt die CDU und verliest eine Stellungnahme, bei der man hinterher nicht mehr weiß als vorher. Grundtenor: Vorsichtige Distanzierung von allem, ohne die Tuchfühlung zu verlieren. Wo kann man eigentlich hier Kurse für Schlangenmenschen belegen?
Nach einer Stunde ergreift dann ein Vertreter von Pro Arnstadt erstmalig das Wort und beantragt Ende der Debatte, weil ja alles gesagt sei. Das aber bringt das Fass zum Überlaufen. Alle anderen sagen schnell nochmal, was ohnehin bekannt ist. Und Erwin Erdmann betont, dass er dafür nicht auf die Straße gegangen ist.
Dann wird abgestimmt. Wegen der Mehrheitsverhältnisse siegt Einigkeit und Recht und Freiheit meistens über den Weltfrieden. Worum es ging, ist dabei nebensächlich.
Denn wenn die Stadtratssitzung vorbei ist, macht der Bürgermeister sowieso wieder, was er will.
Oder eben auch gar nichts.
Ich finde das Köllmer der beste Bürgermeister bisher war.
Was er wert war, haben die meisten leider erst erkannt, als sein Nachfolger Arnstadt in den Abgrund gewirtschaftet hat.