Das Gewerbegebiet „Erfurter Kreuz“ wird gern „Erfolgsgeschichte“ genannt. Seit 2005 wurde es – trotz einiger Rückschläge – immer größer, brachte Arbeit in die Region und Geld in die Kassen. Alle schienen zufrieden – bis CATL kam. Und eine Bürgerinitiative.
Am 18. Juni 2021 veröffentlichte die „BIT – Bürgerinitiative Wir für unsere Region“ auf Facebook ihre bisher schärfste Attacke gegen das geplante chinesische Batteriewerk am Erfurt Kreuz. Bei CATL würden pro Jahr „40.000 t hochtoxisches LNCM-Pulver, 545 t des krebserregenden Lösungsmittels NMP und 16.000 t brennbarer Elektrolyt“ eingesetzt. Außerdem sei geplant, „täglich zwischen 400- und 600-mal Fahrzeuge vom Güterbahnhof Arnstadt bis zum Firmengelände (ca. 2 km) verkehren zu lassen“. Und die Technologie des Werkes sei so veraltet, dass nicht auszuschließen sei, „dass diese Fabrik zurück gebaut werden muss“ – womöglich auf Kosten der Steuerzahler.
Unklar bleibt, woher die Bürgerinitiative diese düsteren Informationen über CATL hat. Aber eines scheint sicher zu sein: Da hat jemand richtig Wut auf das Werk.
Das ist neu am Erfurter Kreuz. Denn bisher wurden dort alle Investoren mit offenen Armen aufgenommen. Ganz am Anfang gab es mal zarte Proteste, weil man befürchtete, der Lärm der Flugzeugturbinen bei N3 im Testbetrieb könne halb Arnstadt aufwecken. Aber als dann selbst direkt am Turm kaum etwas zu hören war, schlief alles wieder ein.
Gerade N3 sorgte mit dafür, dass das Erfurter Kreuz schnell wachsen konnte. Klopften neue Interessenten an, wurde ihnen gern erzählt, wie schnell und unkompliziert hier alles ging. In der Planung arbeiteten alle Hand in Hand: die Landesentwicklungsgesellschaft (LEG), die Genehmigungsbehörden von Landkreis und Gemeinden. Bürgerproteste gab es weder, als ein Wasserspeicher am Eulenberg samt Leitung extra für die extrem durstigen Solarfirmen gebaut wurde, die Kläranlage in Ichtershausen gleich zweimal erweitert wurde und vermehrt Autos mit Gefahrgutkennzeichnung im Gewerbegebiet auftauchten – Zutaten für die Solarproduktion. Hauptsache, es ging aufwärts. Und schließlich war das Erfurter Kreuz ein Gewerbegebiet und kein Nationalpark.
Dann kam CATL. Und Anfang 2021 meldete sich erstmals eine neue Bürgerinitiative zu Wort. „Wir sind die BIT-Bürgerinitiative. Die sich in der Region Drei Gleichen, insbesondere rund um das Gewerbegebiet Erfurter Kreuz, für Bürgerwohl, Lebensqualität, Natur und Umwelt einsetzt“, heißt es auf ihrer Facebook-Seite. Erste größere Aktion war eine Online-Petition an den Thüringer Landtag, die sich gegen eine neue 110-kV-Starkstromleitung in das Erfurter Kreuz richtete – zur Versorgung von CATL.
Bebildert wurde die Anti-Trassen-Aktion mit einer martialischen Ansicht einer von riesigen Strommasten verdeckten Wachsenburg und einem angeblichen Goethe-Zitat. Das Zitat stammt sicher nicht von Goethe, der hatte es nicht so mit der Demokratie. Und die vor die Wachsenburg montierten Strommasten gehören wohl eher zu einer viel höheren 380-kV-Leitung. Aber Hauptsache, es erzeugt die richtige Stimmung.
Wenn sich 1500 Menschen der Online-Petition angeschlossen hätten, wäre sie im Petitionsausschuss des Landtags beraten worden, es kamen aber nur 222 zusammen. Angesichts der geringen Zahl der Abonnenten der Facebook-Seite (am 22. Juli 2021 sind es 75) scheint das nicht verwunderlich, trotzdem gelingt es der Bürgerinitiative, das Thema immer wieder in den Medien zu platzieren. Zeitungen und Fernsehen berichten regelmäßig, der Arnstädter Stadtrat hat sich heute schon zum zweiten Mal hintereinander mit dem Erfurter Kreuz und CATL beschäftigt.
Das liegt unter anderem an Carola Busse. Sie ist nicht nur eine bestens vernetzte erfolgreiche Unternehmerin, die in der Region schon zahlreiche Spuren hinterlassen hat, sondern auch in der CDU aktiv. Die Arnstädter CDU-Stadtratsfraktion beantragte denn auch die erste aktuelle Stunde zu CATL im Juni. Aber nicht nur zur CDU unterhält die Bürgerinitiative gute Kontakte. Da sie für die heutige Stadtratssitzung keine eigenen Fragen einreichen konnte, erledigte das die AfD-Fraktion für sie. Der BIT-Fragenkatalog wurde im Wortlaut von der AfD an den Bürgermeister zur Beantwortung durch CATL weitergegeben. Und der AfD-Fraktionschef bat denn auch um schriftliche Antworten, damit er sie an die Bürgerinitiative zur Begutachtung weiterreichen könne.
Es waren – vorsichtig ausgedrückt – eigenartige Fragen, die der Geschäftsführer von CATL im Stadtrat beantworten musste. Viele Fachfragen, die eigentlich nur eine Fachbehörde etwas angehen. Aber auch solche: Warum werde die Fassade des neuen Werkes nicht begrünt? Bei N3 oder BorgWarner hatte das nie jemand wissen wollen. Wieviel Chinesen denn kommen würden? Bei Gonvauto hatte die Zahl der Spanier nie eine Rolle gespielt. Und ob CATL denn Geld zurückgelegt habe, falls man die Fabrik wieder abreißen muss? Vielleicht hätte man das Bosch damals fragen sollen, als der Konzern ganz groß ins Arnstädter Solargeschäft eingestiegen ist.
Auf eine Frage an CATL wartete man heute allerdings vergebens: Schön, dass Sie da sind und so viele Arbeitsplätze mitbringen, was können wir denn für Sie tun?
Es wird nicht einfach werden mit CATL. Kulturelle Unterschiede, ein neues und hier noch unbekanntes Geschäftsfeld, Verkehrs- und Logistikprobleme, Genehmigungsverfahren – es ist die größte und außergewöhnlichste Investition in Thüringens größtem Gewerbegebiet. Und es ist legitim, wenn Bürger wissen wollen, was da auf sie zukommt.
Aber wir sollten aufpassen, dass der gute Ruf des Erfurter Kreuzes nicht verloren geht: Hier ist alles sehr unkompliziert, hier sind Investoren willkommen, wenn sie sich an die Regeln halten. Und das wird von Leuten kontrolliert, die davon Ahnung haben.
Dieser Ruf ist gutes Steuergeld wert. Man muss nicht jeden Investor akzeptieren, Umweltsünder oder windige Geldwäscher braucht keiner hier. Aber CATL ist keins von beiden, sondern ein Unternehmen, das etwas produziert, das viele Firmen und Käufer haben wollen und das sich sehr stark um moderne Umweltstandards bemüht. Etwas mehr Willkommen und etwas weniger Misstrauen wären da schon schön.
Denn sonst könnte man am Erfurter Kreuz nur noch Biobauernhöfe ansiedeln. Falls die Kühe durch die Abgasprüfung der einheimischen Bevölkerung kommen.
Anmerkung: Eigentlich heißt der Thüringer Ableger der chinesischen Firma CATL offiziell „CATT“ (Contemporary Amperex Technology Thuringia GmbH). Da sich aber CATL im Sprachgebrauch durchgesetzt hat und die Firma den Schriftzug auch an ihren Thüringer Gebäuden verwendet, bleibe ich weiter bei „CATL“.
Guten Tag.
Sicher kann man über viele Dinge geteilter Meinung sein. Wer sich eine Meinung über China`s weltweite Aktivitäten bilden möchte, der schaue sich doch bitte einmal die ARTE Doku an:
https://www.arte.tv/de/videos/078193-000-F/die-neue-welt-des-xi-jinping/
Zitat:
Drei Jahre nachdem „Die Welt des Xi Jinping“ (2018) mit großem Erfolg ausgestrahlt wurde, werfen die Regisseurin Sophie Lepault und ihr Co-Autor Romain Franklin erneut einen Blick auf China. Mehr als ein Jahr nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie in Wuhan tut der chinesische Staatschef alles, damit China als großer Gewinner aus der Corona-Krise hervorgeht …
Nach „Die Welt des Xi Jinping“, der 2018 mit großem Publikumserfolg ausgestrahlt wurde, hinterfragen die Regisseurin Sophie Lepault und ihr Co-Autor, Romain Franklin, erneut die Weltmachtspolitik des chinesischen Staatschefs. Mehr als ein Jahr nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie in Wuhan tut Xi Jinping alles, damit China als großer Gewinner aus der Corona-Krise hervorgeht, und inszeniert sich sogar in einer Ausstellung zum Ruhm seines angeblich bemerkenswerten Krisenmanagements.
Xi Jinping nutzt wie üblich Nebelkerzen und Köder, um von Chinas wirklichen Verantwortlichkeiten abzulenken, und verfolgt seine politische und diplomatische Agenda mit einem einzigen Ziel: die Integration von Minderheiten in den chinesischen Riesen, selbst wenn das bedeutet, auf Gewalt zurückzugreifen. Völkermord an den Uiguren, die fortschreitende Unterdrückung der Autonomie Hongkongs, eine zunehmend bedrohliche Präsenz im Chinesischen Meer, mit einem kaum verhohlenen Ziel: die Vereinnahmung Taiwans. Auch die Aufklärung der Ursprünge der Corona-Pandemie scheint mehr verschleiert und verschleppt als befördert zu werden.
Die Ambitionen des Reichs der Mitte werden durch die immer selbstbewussteren Auftritte des chinesischen Staatschefs bestätigt. Mehr denn je sendet Xi Jinping unmissverständliche Zeichen, dass China auf wirtschaftlichem, militärischem und diplomatischem Gebiet zur führenden Weltmacht avancieren will.“ Zitat ende.
Eine bitte noch:
Seid geraumer Zeit ist der Fahrradweg am Baugelände CATT (Catl) gesperrt. Es wäre schön wenn sich hier in absehbarer Zeit was tun würde!
Lieber stiller Beobachter,
Ich verstehe schon, dass solche Überlegungen über „China ansich“ im Hintergrund eine Rolle spielen. Aber es gab, als Masdar kam, keinerlei Debatten über Menschenrechte oder Terrorunterstützung in der dortigen Region. Und Masdar war deutlich staatsnäher als es CATL ist. Sicher ist es immer eine Abwägung, siehe auch Northstream und ähnliche Projekte. Aber ich halte nichts davon, solche Konflikte lokal auszutragen. Im Gegenteil sollte man versuchen, die andere Seite zu verstehen – wenn sie schon mal da ist (und nicht als Eindringlinge kam, wie es Europa mit dem hochentwickelten China praktiziert hat).
Ob es chinesische oder amerikanische oder deutsche Investoren sind, dürfte keine Rolle spielen, ebensowenig woher ein Teil der Belegschaft kommt. Auch deutsche Unternehmen investieren in China und bringen eigenes Personal mit. Mich irritiert viel mehr, dass hier in viel größeren Maßstab als es in der Photovoltaik Produktion oder einem anderen Unternehmen im Gewerbegebiet bisher eine Rolle spielt, die Chemieindustrie Einzug hält.
In Kürze werden hier über 2.000 t z. T. leicht brennbare bzw. auch toxische Chemikalien gelagert, transportiert und verarbeitet werden. Aber auch das ist nicht der Skandal weil technisch beherrschbar, sondern weil man den Eindruck hat, das dieses möglichst nicht öffentlich gemacht werden soll. Zuerst der Verzicht auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung, die, mit Corona begründete, mangelhafte formelle Auslegung der Planungen und das bisherige Vermeiden der öffentlichen Diskussion darum. Die öffentliche Wahrnehmung, dass es vorrangig um den zusätzlichen Verkehr oder chinesische Arbeitskräfte geht, lenkt dabei vom eigentlichen Problem ab, dass alle nur Arbeitsplätze und Gewerbesteuer sehen und Fragen und öffentliche Kritik als Nestbeschmutzung gewertet werden.
Lieber „Criticus“,
Chemie hat am Erfurter Kreuz schon immer eine große Rolle gespielt, ich erinnere nur an die große Zahl von Solarunternehmen, die für die Produktion ziemlich giftige Substanzen verwendet haben. Das wurde damals überhaupt nicht öffentlich thematisiert (was ich im Nachhinein schade finde). Ich meine auch, dass man neuen Ansiedlungen durchaus kritisch gegenüberstehen kann und sollte. Was mich bei der aktuellen Debatte stört, ist der Ton, in dem sie von den Kritikern geführt wird. Man bekommt einfach den Eindruck, dass da jemand grundsätzlich nicht willkommen ist (siehe Einstieg zu meinem Beitrag). Und ich hoffe nicht, dass sich eine solche Grundhaltung bezüglich von Neuansiedlungen durchsetzt.
(PS: Es wäre schön, wenn Sie Ihre Kommentare mit einem Klarnamen versehen würden, die meisten Kommentatoren machen das jedenfalls so.)