Über Mitteldeutschland zogen Pfingsten ein oder mehrere Tornados hinweg – genau muss das wohl noch geklärt werden. In Großenhain in Sachsen hinterließ das Unwetter nicht nur gravierende materielle Schäden, es starb sogar ein Kind. Tornados sind kein neues Klimaphänomen, sie hießen nur früher anders.
Und auch in Thüringen wüteten schon regelmäßig Tornados – als harmlose „Windhose“ getarnt. Da es für diese Unbilden keine Schuldigen gibt, muss man sich an die üblichen Verdächtigen halten: Klimawandel, DDR und Jörg Kachelmann.
Am 15. Mai 2003 war die Sprechzeit im Sonneberger Rathaus am späten Nachmittag schon fast vorbei, als Mitarbeiter plötzlich im Haus einen komischen Luftzug bemerkten. Fenster und Türen schlugen zu, Akten wirbelten auf. Man habe sich wie in einer Unterdruck-Kabine gefühlt, hieß es. Nach zehn Minuten war der Spuk vorbei. Allerdings klaffte im Rathausdach ein etwa vier Meter großes Loch, die ehemals dort befindlichen Dachziegel lagen auf der Straße und hatten dort zwei Autos beschädigt.
Wetter-Experten stellten damals fest, es habe sich um eine „Trombe“ gehandelt. Das ist eine große Quellwolke, die mit der Zeit nach unten eine Art Rüssel bildet. Manchmal endet der wenige Meter unterhalb der Wolke, manchmal reicht er bis zur Erde. Und dann ist es ein Tornado.
Es gibt in Deutschland mehr Tornados, als viele Menschen wahr haben wollen, auch wenn sie hier zur Windhose oder zum Mini-Tornado verniedlicht werden, es sind doch richtige.
Diese Einsicht gibt es in Fachkreisen schon lange. Warum ein Wirbelsturm, der in Amerika ein Tornado ist, in Deutschland lediglich Windhose genannt wird, hat unterschiedliche Gründe. In der DDR war das Amerikanische generell zu verachten. Aber auch in der Bundesrepublik gab es zwar den Siegeszug von Petticoat und Rock’n Roll, aber der Tornado wurde rein sprachlich nicht ins Land gelassen. Er passte nicht zu einem Wirtschaftswachstum ohne Rücksicht auf die Umwelt.
Dabei gehen manche Forscher bereits davon aus, dass die Tornado-Häufigkeit in Mitteleuropa höher ist als in den USA. Nur sind die Ausmaße in den dortigen Tornado-Gegenden gewaltiger und die Schäden höher.
Der Tornado um Micheln in Sachsen-Anhalt am 23. Juni 2004 brachte allerdings durchaus amerikanische Verhältnisse nach Mitteldeutschland. Stufe F3 auf der fünfstufigen Fujita-Skala, notierten die Tornadoforscher. Der Sturm war damit wahrscheinlich sogar noch etwas heftiger als der von Pfingsten in Großenhain – auch wenn dessen endgültige Klassifizierung noch aussteht. Zwei Dörfer wurden so verwüstet, dass die Aufräumarbeiten mehrere Tage dauerten, und immer noch nicht alle Schäden beseitigt sind. Mit Windgeschwindigkeiten bis zu 300 Kilometern pro Stunde fegte der Rüssel Bäume und Dächer hinweg. Und er war an diesem Junitag nicht der einzige in Deutschland. In Dittmarschen in Schleswig-Holstein deckte ein Tornado die Schule ab, in Bayern hinterließ ein anderer eine eindeutige Spur in einem Kornfeld, weitere Verdachtsfälle aus Norddeutschland werden noch untersucht.
Ursache für Tornados ist das Aufeinandertreffen von kalten und aufgeheizten Luftmassen, deshalb treten die Wirbelstürme auch oft mit Gewittern auf.
Der komplizierte Prozess ist noch immer nicht völlig erforscht, führt aber am Ende immer zu dem charakteristischen Rüssel, der sich von oben der Erde nähert. Manche Tornados dauern nur eine Minute, der Dach-Abdecker von Sonneberg war wohl so ein Fall. Andere bewahren ihre Boden-Haftung über Tage und ziehen als Front hunderte Kilometer weit.
Ein folgenschweres Rendezvous von kalter und heißer Luft gab es auch am 19. Juli 1966 im Eichsfeld. Binnen 18 Sekunden wurde der Kirchturm in Küllstedt in die Luft gehoben und zerstört. Mehrere Verletzte waren im Ort zu beklagen, der Turm musste völlig neu aufgebaut werden. Ein weiterer Tornado wütete ebenfalls im Eichs- feld am Abend des 22. August 1993. In Glasehausen wurden innerhalb von drei Minuten fast alle Grabsteine auf dem Friedhof umgerissen und die Leichenhalle stark beschädigt, im benachbarten Neuendorf waren Schäden an 94 Häusern zu beklagen. Ein vom Kindergarten gerade gekauftes Holzhaus wirbelte hunderte Meter durch die Luft. Wie durch ein Wunder wurde damals im Eichsfeld niemand verletzt.
Es sind noch weitere Tornados aus Thüringen bekannt, auch wenn sie damals einfach Sturm oder Unwetter hießen oder in den Ortschroniken Windhose steht. So wie am 23. November 1984, als ein nach heutigen Maßstäben mittelschwerer Tornado über Zöllnitz bei Jena tobte.
Ob sich die Häufigkeit von Tornados mitten in Deutschland durch den Klimawandel erhöhen wird, ist noch nicht sicher. Langzeit-Beobachtungen gehen eher davon aus, dass ihre Zahl ziemlich gleich geblieben ist. Einziger Unterschied zu früher: Heute dringt die Kunde eines Wirbelsturms auch dann in die Welt, wenn die Schäden nur lokal sind. Früher sorgten die Windhosen nur im Ort für Gesprächsstoff. Denn schon im Nachbardorf hatte niemand etwas von dem eigenartigen Rüssel-Sturm mitbekommen.
Künftig allerdings dürfte das Wort Windhose kaum noch gebraucht werden. Auslöser ist, wie schon bei der Einführung weiblicher Vornamen als Bezeichnung für Hochdruckgebiete, wieder einmal der jetzt kaum noch als Wetterexperte die Schlagzeilen beherrschende Jörg Kachelmann. Dessen Unwetterzentrale verfügt über beste Möglichkeiten der lokalen Voraussage für Hagel, Sturm und Gewitter. Und wenn sich ein Sturm mit einem Rüssel bildet, steht in der Warnung der Unwetterzentrale immer das in Fachkreisen übliche Wort für Windhose: „Tornados sind nicht ausgeschlossen“.
Mehr dazu auf der Seite der Thüringer Tornado-Jäger
In dem Zusammenhang fällt mir der so genannte „Crivitzer Fischregen“ aus dem 18. Jhd ein. Eine faszinierende Vorstellung, dass eine Windhose einen ganzen See leer saugt und die Fische über nichtsahnenden Bauern auf dem Feld ablädt…