Alwin Fiedel ist gestorben, der bekannte Arnstädter wurde 89 Jahre alt. Natürlich ist sein Name zuerst mit der Musik verbunden, schließlich war er Kirchenmusikdirektor und komponierte auch fleißig. Aber es gab auch den anderen Alwin: den trinkfreudigen Wanderer, den Gedichte- und Geschichtenschreiber, den amtlichen Pilzberater und den selbsternannten „Knispel“. Alles das passte bei ihm wunderbar zusammen.
Alwin Friedel ist viel herumgekommen. geboren bei Leutenberg, aufgewachsen in Plaue, Oberschule in Eisenach, erste Stelle in Zeulenroda. Doch eigentlich ist er immer in Thüringen geblieben, bis auf die Studienjahre in Halle. Und von dort brachte er nicht nur sein Handwerkszeug als Kirchenmusiker, sondern auch noch die Liebe fürs Leben mit: Seine Renate, die viele auch außerhalb der Kirchgemeinde kennen, als Stadtführerin.
Seine zweite berufliche Station war schon Arnstadt, hier blieb er mit der Familie, wurde Kirchenmusikdirektor, erwarb sich große Verdienste um den Bachchor, komponierte und netzwerkte. Ein Lebenswerk, das mit dem Bundesverdienstkreuz und anderen Auszeichnungen geehrt wurde. Es war das Hauptkapitel seines Lebens, über das andere aber viel besser und sachkundiger Auskunft geben können als ich.
1998, nach der Pensionierung, begann das zweite Leben des Alwin Friedel. Es war kein vom ersten völlig getrenntes Kapitel, schließlich war er schon immer naturverbunden gewesen, hatte manchmal Gedichte geschrieben und war mit dem buchstäblichen Schalk im Nacken gesegnet. Doch jetzt, im Ruhestand, begann er alle seine Hobbys so richtig auszuleben. Eines davon war der Erhalt und die Entwicklung der Arnstädter Altstadt, für die sich die Friedels im „Altstadtkreis“ auch schon in der Zeit eingesetzt hatten, als Alwin noch nicht pensioniert war. Einen Erfolg dieser Bemühungen kann man heute noch auf dem Riedplatz „erhören“: das Glockenspiel im Jacobsturm, für das Alwin die Musik auswählte und auch einige Stücke neu komponierte.
Aber nun, als Pensionär, konnte er auch wochentags die Freuden der Natur und des Reisens voll genießen. Wobei das Reisen in die Natur überwiegend mit der Bahn stattfand und streng nach dem Kriterium der an den Umsteigepunkten vorhandenen Kneipen und Restaurants ausgerichtet wurde. Auf diesen Ausflügen gemeinsam mit seinem Freund Richard fühlten sich die beiden wie zwei „alte Knispel“ und gründeten (virtuell) den Knispel-Verein, der wegen der Mitgliederzahl kein EINgetragener, sondern ein ZWEIgetragener Verein war. Karl Valentin lässt grüßen.
Woher ich das alles weiß? Unsere Wege haben sich leider nicht allzu oft gekreuzt, aber er ist mir trotzdem sehr nah. Denn Alwin Friedel hat viele Bücher geschrieben, die zum Teil aus Gedichten, aber auch immer wieder Prosastücken bestehen. Und alle sind vergnüglich zu lesen, nicht nur die schon vom Thema komischen wie jene vom Wettpinkeln am Riedbrunnen oder die Büttenrede für den Bachchor. Alwin Friedel war ganz sicher nicht nur ein Ton- sondern auch ein Wortkünstler.
In seinem Buch über die Welt der Pilze erfand er zum Beispiel die „Ling-Dynastie“. Es geht um jene Pilze, die auf „-ling“ enden. Uns Laien fällt da auf Anhieb vielleicht nur der Pfifferling ein. Der amtliche Pilzberater Alwin Friedel bringt es auf 80 „Linge“, darunter solche Exoten wie den Erbsenstreuling oder den Mehlschwärzling. Und er stellt in Ringelnatz-Manier bohrende Fragen: Sammelt der Krempling Krempel? Was schnitzt der Schnitzling eigentlich? Und fegt der Borstling mit seinen Borsten vielleicht die Nadeln vom Waldboden, damit die Schnecken kriechen lernen?
Sein tiefer Glaube spielt in allen diesen Büchern immer wieder eine Rolle, seine Liebe zu Renate und sein verschmitzter Blick auf die Welt, den er sich bis zum Schluss erhalten hat. In seinen Büchern bleibt er der große Junge, als der er sich wohl immer gefühlt hat.
In seinem Band „Vielfalt zwischen Licht und Schatten“ findet sich folgendes Gedicht:
Der Zauber längst verglühter Tage,
der Duft verwunschner Maiennächte:
Erinnerung. – Vergangenheit.
Dass ich noch immer Hoffnung wage,
als ob die Zukunft wiederbrächte,
was sich entfernt hat Jahre weit,
stärkt mir den Mut, bei aller Plage
und Übermacht der Altersmächte
zu nutzen meine Spanne Zeit.
Er hat sie genutzt, seine Zeitspanne. Danke, Alwin Friedel, dass wir Dich dabei ein Stück begleiten durften.
Alwin Friedels Bibliografie:
Die Menschen und das liebe Viech, edition Fischer GmBH, Frankfurt am Main, 2012
Das Fest des Kaiserlings – Eine Menschen-Märchen-Pilzballade, Barthel-Druck Arnstadt, 2013
Arnstadt-Bachstadt, Barthel-Druck Arnstadt, 2014
Heimatmosaik, Shaker Media, Aachen, 2016
Vielfalt zwischen Licht und Schatten, Shaker Media, Aachen, 2016
Ein Glück, dass wir nicht Frösche sind, Shaker Media, Aachen, 2017
Leben mit Gott, Shaker Media, Aachen, 2018
Kling, Glöckling, klingelingeling: Eine tierisch lyrische Pilzkunde und poetische Pilzfantasien, Shaker Media, 2018
Wachgeküsste Träume, Shaker Media, 2019
Vielen Dank für diesen wunderbaren Nachruf auf meinen Vater!
Was für ein liebevoll geschriebener Nachruf, der einem den Verlust dieses wunderbaren Menschen noch deutlicher macht.
Danke für diese einfühlsamen Worte. Besser kann man Alwin Friedel nicht beschreiben.
Wie hifreich kann dieser Blog uns Trauernden werden in der doch vermeintlich vergeblich bleibenden Hoffnung auf ewig nicht mehr verhallenden Nachhall?
Alwin war der absolut kundige Meister im Umgang mit jeder Resonanz!
Selbst gestandene Mediziner werden auch in Zukunft nicht
aufhören damit, den Kopf zu schütteln, warum ausgerechnet
zwischen Leber und Milz immer noch ein Pils passen sollte.
Ihm ging es doch eigentlich vornehmlich um Pilze. Oder?