Der Prozess gegen Jörg Kachelmann ist zu Ende, der Kampf um die Deutungshoheit geht weiter. Angebrachter wäre aber eher ein journalistisches Innehalten und Nachdenken darüber, was wir daraus lernen können. Denn Porzellan wurde schon genug zerschlagen.
Ich habe mir für heute Abend striktes Fernsehverbot erteilt. Das, was die Talkshows der Nation mindestens in dieser Woche dominieren wird (wenn Blatter nicht doch noch endlich aufgibt), muss ich mir nicht antun. Es sind Versammlungen von Anwälten zu erwarten, die ihre Partei mit spitzer Zuge zu verteidigen wissen. Und die Hälfte dieser Anwälte sind keine Strafverteidiger, sondern Berufskollegen oder Berufskolleginnen von mir, auch wenn das für einen Lokalredakteur ziemlich anmaßend klingen mag.
Es wurde von Anfang an Partei ergriffen in diesem Verfahren. Ich gehöre nicht zu denen, die das als Untergang des Abendlandes empfinden. Ich finde schon immer: Den meinungsfreien Journalismus aus dem Lehrbuch gibt es nicht. Allein die Auswahl, welchen Themen man sich zuwendet und welchen nicht, spiegelt eine Meinung wider. Ganz zu schweigen vom Umfang und dem Grundton der Geschichte. Journalismus ohne Meinung ist nicht einmal ein schöner Traum. Er ist einfach nur fade. Mehr, als Thomas Knüwer dazu heute aufgeschrieben hat, gibt es zu dem Thema nicht zu sagen.
Ich habe, was den Fall Kachelmann betrifft, keine Meinung. Es gibt da höchstens irgendwelche Gefühle, die Bilder oder Sätze erwecken. Aber es sind Sätze und Bilder, die ich von Journalisten aufgeschrieben oder zusammengeschnitten bekommen habe, die mehr oder weniger oft in einem Gerichtssaal saßen, wo Leute darüber berichtet haben, was sie zu wissen glaubten. Oder jemanden glauben machen wollten. Das, was von der Wahrheit bei mir ankam, war vorher mindestens zwei Mal subjektiv gebrochen worden. Wenn es nicht schon vorher, am Abend des Geschehens, zwei Wahrheiten gegeben hat. Menschen haben einen Hang dazu, von sich vorteilhafte Bilder im eigenen Kopf anzufertigen. Und Hirnforscher bestätigen: Sie können auch an solche selbst verbogenen Geschichten glauben.
Auch ich habe schon solche Geschichten aus zweiter oder dritter Hand verfasst. Frei nach dem Motto: In meinem Beruf kann ich es mir nicht erlauben, nur über Dinge zu schreiben, von denen ich Ahnung habe. Deshalb kann ich jene Kollegen, die es auch in diesem Fall von ungeahnter medialer Wucht tun, nicht verurteilen. Und schon gar nicht dafür, dass sie eine eigene Meinung vertreten.
Aber man sollte und darf sie nicht als die Wahrheit verkaufen. Auch Journalisten tun gut daran, sich nicht ständig selbst zu ernst zu nehmen. Denn sonst sind wir nicht besser als die meisten, über die wir angeblich so objektiv berichten.