Das Beispiel ist thüringenweit bisher einmalig: Eine Förderschule löst sich praktisch selber auf, um ihren Schülern mehr Chancen zur Integration zu geben. Geschehen ist das schon im Sommer 2010 in Arnstadt, fast geräuschlos, wenn man die öffentlichen Reaktionen betrachtet. Doch das Projekt ist umstritten. Immer lauter wird gefordert, Förderschulen im Land zu erhalten, um die „normalen“ Schulen nicht zu überfordern. Für die Arnstädter Förderschule hingegen ist das Schicksal mittlerweile besiegelt. Sie wird auch formal zum Schuljahresende aufgelöst und mit der Ilmenauer Einrichtung fusioniert.
Es gibt Veränderungen, die werden in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, obwohl sie gravierend sind. Der „Vorrang des gemeinsamen Unterrichts vor dem Unterricht in einer Förderschule“ ist so ein Wandel. Wer nicht gerade ein Kind im Schulalter hat, dürfte kaum mitbekommen haben, dass es in Thüringen zur Einschulung kein Aussortierung mehr gibt: Dieses Kind gehört an eine staatliche Förderschule, weil es für die „normale“ Schulbildung nicht reicht. Alle sollen eine reale Chance auf Integration bekommen, die Kinder müssen ihren Freundeskreis nicht aufgeben, an der Bushaltestelle nicht in den „anderen Bus“ einsteigen. Und: Sie können von den normal entwickelten Kindern lernen.
Das wird seit 2009 überall in Thüringen so praktiziert. An die Förderschulen kommt nur noch, wer während der Schulzeit große Defizite offenbart – und das möglichst auch nur vorübergehend. So soll erreicht werden, dass es langsam immer weniger Schüler werden, die man derart separiert unterrichtet.
Das Staatliche Förderzentrum Arnstadt hat sich entschlossen, diesen Weg noch konsequenter zu gehen. Mit Beginn des Schuljahres 2010 / 2011 haben fast alle der 150 Schüler das Zentrum verlassen – und besuchen nun die Grund- und Regelschulen der Region. Nur drei Jugendliche blieben, sie stehen vor dem Schulabschluss.
„Jeder Schüler sollte zunächst die Chance bekommen, rauszugehen“, sagt SchulleiterinBrunhilde Stutzig, „und wir haben diesen Prozess mit den Lehrern und Eltern langfristig vorbereitet“. Auch die etwa 30 Lehrer des Zentrums sind nun im „Außendienst“ tätig und unterstützen die Pädagogen der aufnehmenden Schulen bei der Integration. „Im Idealfall kooperieren alle Lehrer miteinander. Das ist für alle Beteiligten ein Lernprozess“, sagt die Schulleiterin und schätzt ein, die Integration sei „im Großen und Ganzen gut angelaufen“.
Tatsächlich gibt es besonders dort, wo nur wenige Förderschüler übernommen wurden, hoffnungsvolle erste Ergebnisse. Doch das ist nicht überall so. Manche Schulen sahen sich plötzlich mit zweistelligen Zugängen aus der Förderschule konfrontiert – und mit Problemen, die man vorher nicht ahnte. „Da werden einem plötzlich schmutzige Ausdrücke von einem ehemaligen Förderschüler im Unterricht an den Kopf geworfen“, erzählt eine Lehrerin, „und als ich darauf sanft reagierte, machten es in der nächsten Stunde alle nach“. Eltern berichten, ihre Kinder würden plötzlich ruppigere Umgangsformen zeigen und fänden das auch noch „cool“. Bei Elternabenden offenbaren die Lehrer, sie seien am Ende ihrer Kräfte – und wüssten nicht, wie sie vernünftig unterrichten sollten.
Offiziell darüber reden will keiner. Die Angst, der Ruf der Schule könnte noch mehr leiden, ist groß. Nur Jens Jödicke, Leiter des Jugendamtes des Ilmkreises, sagt: „Wir sind für Integration, aber nicht so umfassend, wie es jetzt in Arnstadt gemacht wird“. Es werde immer Schüler geben, die „in kleinen Gruppen beschult“ werden müssten. Dafür brauche es das Förderzentrum auch räumlich, denn an Grund- und Regelschulen seien solche Voraussetzungen gar nicht vorhanden.
Das sieht Brunhilde Stutzig ähnlich. “ Wo es gar nicht funktioniert hat, haben wir im Einverständnis mit den Eltern und Lehrern eine Rückkehr ins Förderzentrum vereinbart, unter bestimmten Bedingungen und auf Zeit.“ Das ist auch schon passiert, zum Beispiel mit notorischen Schulschwänzern oder Jugendlichen, die auf eine Einweisung in die Psychiatrie warten. Aber am Grundsatz soll sich nichts ändern: „Wir müssen aus der Sicht des Kindeswohls entscheiden“.
Doch was ist, wenn das Wohl verschiedener Kinder gegeneinander steht? Brunhilde Stutzig hofft, dass sich in zwei bis drei Jahren die Wogen geglättet haben. Wenn alle Kinder von der ersten Klasse an zusammen lernen, „wird das normal“.
Das ist der Weg, den die meisten Förderschulen im Land gingen, auch die in Ilmenau: Keine neuen Einschulungen, aber die älteren Förderschüler bleiben meist bis zum Abschluss. Ein „sanfter Übergang“, den sich der Jugendamtsleiter des Kreises auch für Arnstadt gewünscht hätte. Das Arnstädter Modell der „Schule ohne Schüler“ sei hingegen ein „schwieriger Prozess, der nicht unproblematisch verläuft“.
Mittlerweile aber ist die Arnstädter Schule selbst ein Auslaufmodell. Mit der Schulnetzplanung beschloss der Kreistag ihre Auflösung. Sie fusioniert ab Herbst mit der Förderschule in Ilmenau. In Arnstadt aber werden weiter Förderschüler betreut, „wohnortnah“, wie es heißt. Denn es sind schon einige aus den Grund- und Regelschulen wieder zurückgekommen.