Hieronymus Noth war Zimmermann und muss einen etwas rauen Umgangston gehabt haben, denn man verpasste ihm den Spitznamen „Polter-Jeronymus“. Eigentlich kein Wunder, denn die Zeiten waren rau vor über 350 Jahren. In Europa tobte der 30-Jährige Krieg, gerade, als dieser endlich zu Ende ging, erhielt Hieronymus Noth die Arnstädter Bürgerrechte. Es war 1648, später als Jahr des „Westfälischen Friedens“ bekannt geworden. Dazu musste der poltrige Kerl den Besitz eines Ledereimers nachweisen, mit dem er sich im Brandfall an Löscharbeiten zu beteiligen hatte. Denn eine Feuerwehr gab es damals auch in Arnstadt noch nicht. Aber Brunnen in der Stadt schon. Sie waren die „Löschwasser-Entnahmestellen“ des Mittelalters.
Dass man heute noch so viel über Menschen wie Polter-Jeronymus und seine Zeitgenossen erfahren kann, ist Andrea Kirchschlager zu verdanken. Die Leiterin des Stadt- und Kreisarchivs hat in fünfjähriger Recherche nicht nur die beiden ersten noch erhaltenen Bürgerbücher der Stadt aufgearbeitet, sondern die Daten und Personen auch noch mit den Kirchenbüchern in Verbindung gebracht. So werden nicht nur die nackten Daten der Einbürgerungen in dem Buch wiedergegeben, sondern ganze Lebensgeschichten erzählt.
Von Hieronynynus Noth erfährt man zum Beispiel, dass er insgesamt drei Mal verheiratet war. Jeweils im gleichen Jahr, als die Frauen starben, nahm er sich ein neues Eheweib, bevor er schließlich im Alter von 76 Jahren und drei Monaten selbst das Zeitliche segnete. In den alten Bürgerbüchern ist das nicht zu erfahren. Dort gibt es nur die Information, wann jemand das Bürgerrecht erwarb. Den „Rest“ fand Andrea Kirchschlager in mühevoller Kleinarbeit durch das Studium der Kirchenbücher heraus. „Ich habe versucht, die Biografien möglichst vollständig herauszubekommen. Nicht nur für bekannte Persönlichkeiten, sondern auch für kleine Leute“.
Gerade das macht dieses Buch so interessant. Man erfährt von unglücklichen Stürzen im Suff von der Rathaustreppe, Findelkindern am Riesenlöffel und interessanten Verwandtschaftsverhältnissen. Das Buch, das den Zeitraum von 1566 bis 1699 beleuchtet, räumt auch mit dem Vorurteil auf, die Menschen seien früher nicht alt geworden. Über 80-Jährige sind unter den Bürgern keine Seltenheit. Allerdings wird der Altersdurchschnitt durch die hohe Säuglings- und Müttersterberate nach der Geburt stark nach unten gedrückt. „Das sind Schicksale, die mich als Frau besonders bewegt haben“, sagt Andrea Kirchschlager.
Dass so alte Bürgerbücher noch erhalten sind, ist nicht ungewöhnlich. Viele Städte verfügen über solche Schätze. Die Archivarin geht sogar davon aus, dass in Arnstadt bereits früher mit der Erfassung der Einbürgerungen begonnen wurde, nur gingen diese Bücher leider verloren. „Es hat einfach in der Stadt zu oft gebrannt“, sagt sie.
Nicht jeder, der in der Stadt wohnte, erhielt einen Eintrag im Bürgerbuch. Bürgerrechte konnten durch Geburt, Heirat, Erbschaft, Erwerb von Haus- und Grundbesitz oder Aufnahme erworben werden. Bedingungen waren Entrichtung des Bürgergeldes, der Nachweis eines bestimmten Vermögens und die Bereitstellung von Feuereimern für den Brandfall. Manchmal wurden aber auch beide Augen zugedrückt. Wenn die gräfliche Familie einen Bediensteten einstellte, lief die Einbürgerung auch ohne Geld. Beziehungen waren eben schon damals wichtig. Auf jeden Fall war der Eintrag ins Bürgerbuch von elementarer Bedeutung, wenn man etwas werden wollte in der Stadt.
Das vorliegende Buch dürfte vor allem für Historiker und Genealologen, also Ahnenforscher, interessant sein. Aber es lohnt sich auch für den, der einfach nur an Arnstädter Geschichte interessiert ist, denn es erzählt viel über die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen der damaligen Zeit, wenn man sich die Mühe macht, in die Biografien einzudringen.
Fünf Jahre hat Andrea Kirschlager am ersten Bürgerbuch gearbeitet, jetzt sitzt sie an der Fortsetzung. Eine „gewisse masochistische Art“ müsse man schon haben, um sich durch die Akten zu wühlen. „Ich liebe diese Arbeit so sehr, dass es mich immer wieder antreibt“.
Andrea Kirchschlager: Bürgerbuch der Stadt Arnstadt, Stiftung Stoye,
654 Seiten, 29 Euro. Die Auflage ist mit 300 Exemplaren limitiert und kann über den Buchhandel bezogen werden.
ISBN 978-3-937230-17-7