Bernd Licht ist jetzt 64 und wohnt in Kanada, er betreibt in Alberta ein Jagdunternehmen. Wenn er es schafft, kommt er einmal im Jahr nach Arnstadt, wo er einst geboren wurde und wo seine anhaltende Liebe zur Taubenzucht seine Wurzeln hat. Und von wo aus er 1977 nach dem Westen ausreiste. An die Umstände kann er sich noch genau erinnern. Es ist eine fast unglaubliche Geschichte.
Das Fernweh hatte ihn schon früh gepackt. Es gab in der Familie viele, die im Westen lebten. Westverwandtschaft war ein Problem in der DDR, wenn man bestimmte Ziele hatte. Bernd Lichtzum Beispiel wollte gern Sprengmeister werden und einem Jagdverein beitreten. Aber da sagte man ihm ins Gesicht: Dir geben wir doch keine Waffe oder gar Sprengstoff in die Hand. Dir mit Deinen Westkontakten. »Das waren die gleichen Leute, die abends im Sportlerheim mit mir gesoffen und mich geduzt haben. So schizophren war das damals«, sagt Bernd Licht. Irgendwie hatte er das Gefühl: Hier kann nichts vernünftiges mehr aus ihm werden.
1975 kam ein Verwandter seiner Frau zu Besuch, der nach Kanada ausgereist war. Was der erzählte, begeisterte den jungen Bernd. Die Warnung, das Leben in Kanada sei sehr viel härter als in der DDR, überhörte er. »Damals habe ich beschlossen, wir gehen da hin. Mit Frau und Kind«. Bernd Licht stellte einen Ausreiseantrag. Nicht in die Bundesrepublik, sondern nach Kanada. Dass die Anträge nach dem Westen kaum eine Chance hatten, wusste er. Vielleicht könnte es ja mit Kanada besser klappen, so sein Kalkül.
Die Zeit, nachdem er den Antrag gestellt hatte, war schlimm. Schikanen auf allen Ebenen, praktisch Berufsverbot, aber die Lichts hielten durch. Nach 14 Monaten wurden sie plötzlich zur »Abteilung Inneres« nach Erfurt einbestellt, »zwecks Klärung eines Sachverhalts«. Dort saß eine Majorin und fragte: »Herr Licht, wollen Sie ihren Ausreiseantrag nach Kanada aufrecht erhalten?« Licht sagte zögernd Ja. Und plötzlich polterte die Majorin los: »Ich bin beauftragt worden, Ihnen mitzuteilen, dass Ihr Antrag genehmigt ist.« Als die Lichts wieder im Auto saßen, heulten sie erst einmal los.
Was offenbar nicht einmal die DDR-Behörden wussten: Es war gar keine Ausreise von der DDR nach Kanada möglich. »Kanada hätte mich als DDR-Bürger gar nicht aufgenommen, ohne dass ich vorher ein Jahr in der BRD gelebt hätte«, sagt Licht. Aber die Ausreise war nur nach Kanada genehmigt. Also gab man offiziell an, mit dem Zug nach Frankfurt/Main zum Flughafen zu fahren und sofort nach Kanada zu fliegen. Nicht nur in seiner Umgebung, er wohnte damals in der Wohnscheibe, war die Überraschung groß. Eine Ausreise mit Frau und Sohn? Und sogar nach Kanada? So etwas hatten die meisten noch nie gehört. Die Koffer mussten schnell gepackt und vom Zoll versiegelt werden. Und weil das Gepäck so schwer war, bot sein Onkel an, die Familie nach Eisenach zu fahren. Das erspart einmal Umsteigen.
Als es dann soweit war, an einem Morgen im Januar 1977, kamen sie mit dem Auto aber nur bis in die Hörselberge. Dort war plötzlich Glatteis. Das Auto prallte auf den Hänger eines Lkws und drehte sich mehrfach. Als sich Bernd Licht umschaute, war die Rückbank leer. Seine Frau und sein Sohn waren aus dem Auto geschleudert worden und lagen Meter entfernt auf der Straße. Frau Licht hatte einen gebrochenen Unterkiefer, der Sohn blutete und weinte. Bei ihm waren es zum Glück nur Platzwunden.
Die Polizei kam und wollte Ausweise sehe3n, aber sie hatte ja keine mehr. Nur Reisepässe mit dem Vermerk: »Einmalige Ausreise nach Kanada«. Aus der DDR waren sie theoretisch schon weg. Aber praktisch eben noch nicht. Es war ein Unfall im politischen Niemandsland.
Die Familie wurde zur Behandlung im Eisenacher Krankenhaus abgeschirmt in einem Seitenflügel untergebracht. Nach einer Woche kam dann ein Stasi-Offizier und sagte zu Licht: »Morgen verlassen Sie mit Ihrem Sohn die DDR, Ihre Frau bleibt hier«. »Dann gehe ich nicht«, antwortete Licht. Aber schließlich ließ er sich von einem Arzt überreden. Der hatte ihm erklärt, warum es nicht anders ging. Die DDR wollte sich nicht die Blöße geben, eine Frau mit einem gebrochenen Unterkiefer ausreisen zu lassen.
Also fuhr Bernd Licht mit seinem Sohn und allen Koffern nach dem Westen zu seinen Verwandten. Es folgten drei bange Wochen, in denen er nichts von seiner Frau hörte. Hinterher erfuhr er: Sie durfte nicht telefonieren, des Kiefers wegen. Dann sagte ihm endlich eine Schwester, dass es seiner Frau gut ginge. Nach vier Wochen kam sie nach.
Bis sie dann nach Kanada ausreisten, passierte noch sehr viel. Bernd Licht erfüllte sich seinen Traum und machte fast alle Abschlüsse für Sprengmeister. Doch richtige Arbeit gab es für solche Spezialisten nur im Ausland. Und ehe er es sich versah, hatte er einen Job im Jemen. Der nächste schloss sich an, diesmal in Algerien. Dort erreichte ihn dann ein Anruf seiner Frau, sie müssten jetzt ganz schnell nach Kanada ausreisen, sonst verfiele die Einwanderungsgenehmigung. „Da habe ich mich ein bisschen so gefühlt wie bei der Ausreise aus der DDR“, sagt Licht.
Nun also endlich Kanada. Aber das Land war anders, als sie es sich ausgemalt hatten. Bernd fand keine Arbeit, obwohl sie 13 000 Kilometer von Toronto bis nach Edmonton fuhren. Ein fürchterliches Kaff, fand Licht damals. Seine Frau fand Arbeit, er nicht.
Und so aktivierte er seine alten Kontakte als Sprengmeister und ging wieder auf Montage, erst Saudi-Arabien, später Guinea. Er kam herum in der Welt. Doch irgendwann war es genug. Er wurde sesshaft in Edmonton, die Lichts bekamen noch eine Tochter. Und seitdem führt er jagdfreudige Touristen auf die Spur von wilden Tieren. Wenn er kann, kommt Bernd Licht jedes Jahr einmal nach Arnstadt, »nach Hause«, wie er noch heute sagt. Mehr Urlaub braucht er nicht. Von der Welt hat er genug gesehen.
Siehe auch:
der Taubenfreund aus Kanada
Über den Atlantik
ich bin ein sehr guter Freund vom Jürgen Weicholdt aus Groß Hettstedt ,ich selber züchte orientalische Roller. Ich bin auch Jäger und würde gerne mit meiner Frau einenUrlaub bei Euch buchen .MfG Horst Hesse aus Tonndorf nähe Stausee Hohenfelden