Helmut Roewer, früher Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, steht nach zehn Jahren wieder im Mittelpunkt des Medieninteresses. Er sagt, bei den Bombenbastlern von Jena sei unter seiner Führung fast alles richtig gelaufen. Das will ihm eigentlich keiner glauben, denn noch immer hält sich das Gerücht von seiner „chaotischen Amtsführung“ hartnäckig. Entsprechend klischeehaft wird seine Rolle auch jetzt wieder in vielen Medien dargestellt. Doch die Akten geben ihm offenbar recht. Die schlimmsten Fehler in Thüringen sind nicht im Verfassungsschutz passiert.
In einem Hotel in der Nähe des Weimarer Hauptbahnhofs gaben sich am Dienstag dieser Wochen die Kamerateams die Klinke in die Hand. RTL hatte extra ein Zimmer angemietet, um ungestört und unbelauscht exklusive Fragen stellen zu können. Unten in der Lobby warteten Teams von MDR und ZDF darauf, dass sie an der Reihe waren.
Die dringenden Interwiewwünsche galten keinem Film- oder Popstar, sondern einem Mann, für den sich in den letzten Jahren kaum ein Medium interessiert hatte: Helmut Roewer, von 1994 bis 2000 Chef des Thüringer Verfassungsschutzes. Das Letzte, was viele von ihm gehört hatten, war ein langwieriger Prozess vor dem Landgericht gewesen, der zweimal nicht zu Ende geführt wurde und schließlich mit einem Vergleich endete. Der Vorwurf, eigentlich ein ganzes Vorwurfsbündel, lautete Untreue im Amt.
Seit einer Woche aber hat sich das Blatt gewendet. Plötzlich gehört Roewer zu den medial gefragtesten Menschen der Republik. Von Spiegel über Zeit bis hin zu vielen Fernsehsendern, dabei noch unterteilt in Nachmittags- und Abendredaktionen, stehen alle Medien bei Helmut Roewer auf der Matte. Die meisten nur virtuell, sie fragen per Mail oder Telefon an, aber einige, die auch bei der Berichterstattung eine etwas gröbere Gangart bevorzugen, belagern auch sein Haus in Weimar. In einem Fall musste Roewer sogar die Polizei holen, um die Belagerung zu beenden. Man sah solches schon bei Oskar Lafontaine, als er sein Ministeramt hinwarf und sich zu seiner damals noch heilen Familie zurückziehen wollte. Für Thüringen ist es eher ungewohnt.
So, wie alles ungewohnt ist, was gegenwärtig auf Thüringen einstürmt. Das kleine Land mit dem grünen Herzen soll plötzlich der Schoß sein, aus dem eine beispiellos brutale und extremistische Gruppe von Kriminellen geschlüpft ist. Und die Frage, die immer wieder gestellt wird, ist die nach der Rolle, die Helmut Roewer dabei gespielt hat.
Was tat der Verfassungsschutz 1998, als die ersten Bomben in Jena gebaut wurden? Und wie konnten die drei Bombenbauer dann so einfach aus Jena verschwinden? Es ist viel darüber gemutmaßt worden in den letzten Tagen. Das war nicht besonders schwer, denn der Anlass für Roewers Rauswurf 2000 war, dass er Spitzel aus der rechten Szene beschäftigt hatte, die sehr weit nach oben vorgedrungen waren. Und es gab viele andere Geschichten, die rund um Roewers Abgang aus dem Geheimdienst nach außen drangen. Warum also sollten nicht auch rechte Kriminelle von diesem unberechenbaren Thüringer Verfassungsschutz unterstützt worden sein? Es würde gut zu all den anderen ominösen Details des Falles passen, die sich noch immer nicht zu einem Gesamtbild fügen wollen. Und es würde dem Ruf Thüringens als Hort des Bösen wohl noch das letzte i-Tüpfelchen hinzufügen.
Doch Helmut Roewer hatte bisher geschwiegen. Wohl aus gutem Grund, denn auch für einen in Unfrieden ausgeschiedenen Beamten gilt, dass er weiter Regeln unterliegt. Nun aber, nach einer flapsigen Bemerkung des Innenministers, dass Roewer wohl kaum zur Aufklärung beitragen könne, geht er doch vor die Kameras.
Was er zu sagen hat, ist nicht die Sensation, die viele erhofft hatten. Nein, der Verfassungschutz habe die Bombenbastler damals nicht unterschätzt, sondern frühzeitig auf ihre Gefährlichkeit aufmerksam gemacht. Und es habe nicht den leisesten Versuch gegeben, einen von ihnen als V-Mann zu gewinnen, geschweige denn zu bezahlen.
Geld habe nur die aufwendige Suche nach den Verschwundenen gekostet, viel Geld sogar. Es soll die umfangreichste Aktion einer Fahndung in seiner Amtszeit überhaupt gewesen sein, sagt Roewer. Nur, dass sie eben leider keinen Erfolg hatte. „Dafür übernehme ich die Verantwortung“, sagt Roewer. Es ist der einzige Satz, der später übrig bleibt in den Fernsehsendungen.
Warum die Suche erfolglos war, kann er nur vermuten. Denn da war noch eine andere Geschichte, die das Amt zu dieser Zeit umfangreich in Anspruch nahm: Die Suche nach einem oder mehreren Lecks in der Thüringer Polizei. Es könnte doch ein Leck gegeben haben Es sei auffällig gewesen, dass damals häufiger Aktionen ins Leere liefen, weil die Rechtsextremisten offenbar vorher gewarnt worden sind, sagt Roewer. Man vermutete damals sogar einen höherrangigen Beamten der Polizei als »Maulwurf«. Wie die Suche ausging, dazu könne er nichts sagen, so Roewer. Er musste ja 2000 unfreiwillig gehen.
Sein Credo: Es wurde damals alles richtig gemacht im Geheimdienst. Und das anhaltende Geschwätz von seiner »chaotischen Amtsführung« sei nur von seinen Widersachern in die Welt gesetzt worden.
Es ist nicht das, was die Reporter hören wollen. Die Fernsehbilder laufen später hauptsächlich als Untermalung, wenn über den „schwierigen und eigensinnigen Roewer“ berichtet wird. Oft wird ihm dabei auch noch eine rechte Gesinnung unterstellt. Um das zu behaupten, darf man ihn wirklich nicht kennen.
Vielleicht ist das alles normal. „Legendenbildung“ gehört zur Tagesarbeit von Geheimdiensten. Die `Legende Roewer“ hat er zum Te8il selbst mit gebastelt, indem er das Amt in einer unkonventionellen Art führte, Tarnfirmen gründete und junge Wissenschaftler einstellte, die so gar nicht in die Schlapphut-Mentalität der Altgedienten passen wollten. Man ließ ihn lange Zeit gewähren, doch am Ende scheiterte er an einem internen Machtkampf, bei dem zu viele Dinge nach außen drangen, die man gewöhnlich nie von einem Geheimdienst erfahren soll. zum beispiel, dass er rechte Spitzel mitführte, die mittlerweile bedenklich weit nach oben gekommen waren in ihren Organisationen.
Wahrscheinlich machen das alle Geheimdienste so. Aber wie sie arbeiten, erfährt kaum einer. Wer kontrolliert schon den Verfassungsschutz. Nur der Thüringer Geheimdienst wird seit damals als Chaotentruppe eingestuft. Und Roewer war ihr Häuptling.
Da tut es gut, wenn man wieder einmal sagen kann, dass doch nicht alles falsch war. Auch wenn es keiner hören will.
Zum Ende der Woche hin ändert sich das mediale Bild. Die Parlamentarische Kontrollkommission des Landtags schaut zum ersten Mal die Akten im Verfassungsschutz durch und kommt zu dem Schluss: Wahrscheinlich hat Roewer damals gar nichts falsch gemacht bei den Bombenbastlern von Jena, die später zu Mördern wurden. Der Verfassungsschutz hat ihre Gefährlichkeit schon früh erkannt, nur hat offenbar keiner so richtig auf ihn gehört. Es ist das, was Roewer auch in die Kameras gesagt hat.
Die Interwiewwünsche bei Helmut Roewer werden in diesen Tagen wieder weniger. Denn diese Erkenntnisse passen einfach nicht zu seiner Legende.
2 Gedanken zu „Wieder im Scheinwerferlicht“