Der Dichter Ludwig Bechstein war, das hätte man nach der Lektüre seine Werke vermuten können, ein geistreicher Unterhalter. Der Arnstädterin Rosalie Richter aber verdanken wir die Information, dass Tanzen nicht zu seinen Stärken gehörte. „Er war ein sehr schlechter Tänzer, aber er unterhielt mich sehr geistreich, so daß ich doch sehr gern mit ihm tanzte, wenn er nicht zu oft kam“, schreibt Rosalie, nach ihrer Heirat hieß sie Hübner, in ihren Lebenserinnerungen. Die schrieb sie im Alter auf Bitten ihrer Kinder auf. Und der Arnstädter Archivarin Andrea Kirchschlager ist es zu verdanken, dass man sie jetzt in einem Buch nachlesen kann. „Die Lebenserinnerungen der Rosalie Hübner“ sind im Verlag ihres Mannes Michael Kirchschlager erschienen. Und die Lektüre dürfte nicht nur für Arnstädter interessant sein.
Denn die Zeit, über die Rosalie Hübner schreibt, ist fern und nah zugleich. Nah deshalb, weil viele Orte, über die man dort lesen kann, noch existieren. Der Spittel, das Schloss samt Schlossgarten, die Straßen, durch die sie gelaufen ist. Ich habe sogar eine sehr persönliche beziehung herstellen können: In dem Haus in der Zimmerstraße, in dem Rosalie ihre frühe Kindheit verbrachte, habe auch ich als Kind oft gespielt. Dort wohnten meine Großeltern und betrieben ihr Korbmacher-Geschäft.
Und trotzdem ist es weit entfernte Geschichte. Denn eine Hinrichtung auf dem Markt oder eine Begegnung mit einem russischen Zaren, wie sie im Buch beschrieben wird, kann man sich im heutigen Arnstadt nur noch sehr schwer vorstellen.
Es waren bewegte Zeiten, in denen Rosalie in Arnstadt heranwuchs. 1805 geboren, erlebte sie als Kind vor allem Armut und Elend. Die Besetzung durch die Truppen Napoleons und die Befreiungskriege bedeuteten auch für Arnstadt einen wirtschaftlichen Niedergang – verbunden mit Krankheiten und Epidemien, die die Bevölkerung dezimierten. Rosalies Berichte aus dieser Zeit sind auf den ersten Blick vor allem düster. Aber sie zeugen andererseits vom starken Überlebenswillen und der Kraft, sich auch unter solchen Bedingungen Menschlichkeit zu bewahren und sich im Alltag kleine Freuden zu gönnen.
Doch der Rezession folgte eine Zeit des Aufschwungs, gerade für Arnstadt. In das Schloss zog wieder fürstliches Leben ein, an dem Rosalie wegen der Stellung ihres Vaters – er war „Fürstlich Schwarzburgischer Regierungs- und Konsistorialrat“ und Archivar – sogar manchmal teilhaben konnte. Sie verkehrte im Hause der Eltern von Eugenie John (Marlitt), erhielt Mal- und Zeichenunterricht und nahm an mancher Arnstädter Vergnügung jener Zeit teil, bis sie schließlich mit der Liebe ihres Lebens nach Naumburg zog.
Das alles hat sie aufgeschrieben, das Manuskript ist erhalten geblieben. Andrea Kirchschlager hat es im Archiv aufgestöbert, mit großer Sorgfalt redigiert und in Buchform gebracht, jede Druckseite entspricht einer Originalseite aus den Erinnerungen.
Es ist nicht einfach, Zugang dazu zu finden, denn einen großen Teil der Aufzeichnungen nehmen die Beschreibungen von Bekannten und Verwandten ein. Doch wenn man sich auf das Buch einlässt, kann man eintauchen in das Arnstadt jener Zeit vor 200 Jahren. So persönlich und detailgetreu, wie es wohl selten möglich ist. Und man findet sich – dank der Anmerkungen von Andrea Kirchschlager – erstaunlich gut darin zurecht. Gerade an dunklen Winterabenden ist es als Lektüre sehr empfehlenswert. Und als passendes Geschenk für Arnstädter sowieso.
„Die Lebenserinnerungen der Rosalie Hübner, geb. Richter“, Verlag Kirchschlager, 14,80 Euro.
Erhältlich beim Verlag und im Arnstädter Buchhandel