Manche Dinge erfährt man erst, wenn sie schon so gut wie vorbei sind. Ich zum Beispiel habe heute erfahren, dass just in diesen Tagen das „Europäischen Jahr für aktives Altern“ von uns zu gehen droht. Oder strebt es gerade seinem Höhepunkt zu?
Bald ist es wieder so weit. Menschen in den besten Jahren bemühen sich, aktiv zu altern. Sie ziehen sich altmodische rote Mäntel über, täuschen durch das Anlegen gummibezugter Wattebäusche in der Kinngegend vorsätzlich eine höhere Lebenserfahrung vor und übereignen an altersbedingt mittellose Personen Sachleistungen, die in einem schäbigen Sack mitgeführt werden. Manche Menschen nennen das Weihnachten, die Europäische Union freilich hat einen zeitgemäßeren Namen dafür erfunden: „Aktives Altern und mehr Solidarität zwischen den Generationen“. Dies ist der Name des nun zur Neige gehenden Themenjahres. Wussten Sie nicht? Ich auch nicht. Aber man hat es ja gerade noch rechtzeitig erfahren, kurz bevor der Weihnachtsmann nachhaltig für mehr Solidarität zwischen den Generationen sorgt. Zur Erbauung vor allem von ganzen Einzelhandelsgenerationen.
Der Gedanke, aktiv zum Altern beizutragen, liegt mir ansonsten ziemlich fern. Ich altere nach meinem Dafürhalten schon passiv hinreichend schnell, eigenes aktives Zutun würde den Prozess nur unnötig forcieren. Wobei: Es gab sie schon, die Zeiten, da ich mich um das aktive Altern bemühte. Als ich 13 war, lief im Kino „Die glorreichen Sieben“ an, ein Film mit Altersfreigabe ab 14. Rückblickend frage ich mich zwar, warum, aber ich wollte damals unbedingt hinein ins Kino. Und tatsächlich gelang es mir, zumindest in den Augen des Kartenabreißers aktiv zu altern. Um ein ganzes Jahr.
Die Nummer war in diesen Zeiten immer mal wieder nötig – und erfolgreich. Beim Erwerb alkoholischer Getränke oder von Tabakerzeugnissen ebenso wie zur Sicherung des Verbleibs in der Diskothek bis nach 22 Uhr. Das aktive Altern war eine wichtige Voraussetzung für die Befriedigung eigener Bedürfnisse, so die jugendliche Erkenntnis. Allerdings verschwand sie schlagartig mit dem 18. Geburtstag und kam nie wieder. Spätestens ab 40 drehte sich die Sache sogar um. Statt aktiv zu altern sind nun alle damit beschäftigt, aktiv zu jüngern. Manche geben sogar eine Unmenge Geld dafür aus. Frauen für Mittelchen, Männer für Frauen, die noch keine Mittelchen brauchen oder Motorräder. Hauptsache, es schmückt und lenkt vom eigenen Alter ab.
Insofern hat mich die Erkenntnis, jetzt in einem Themenjahr „Aktives Altern und mehr Solidarität zwischen den Generationen“ gelebt zu haben, schon etwas überrascht. Ich kann es nur so deuten: Ich soll als alter Sack Solidarität demonstrieren mit der Generation, die noch Zeit und Lust hat, aktiv zu altern. Zum Beispiel durch die großzügige Dimensionierung von Weihnachtsgeschenken.
Aber vielleicht ist es auch ganz anders und die Sache hat mehr mit dem Maya-Kalender zu tun. Irgendwas wird aktiv und dann sehen wir und die ganze bunte Kugel ganz schön alt aus. Und ziemlich inaktiv. Am Freitag werden wir es wissen. Und wenn nichts passiert, freuen wir uns auf das nächste Themenjahr.