Was derzeit politisch läuft in Arnstadt, ist kaum noch zu durchschauen. Im Stadtrat gibt es keine klaren Mehrheiten, die Kräfteverhältnisse innerhalb der Fraktionen sind instabil. Und dann gibt es noch den Bürgermeister. Ein Erklärungsversuch.
Wie sind die Mehrheitsverhältnisse im Stadtrat?
Bei der Wahl zum Stadtrat 2014 haben nur 44 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Und diese 44 Prozent haben das so getan, dass es schlicht keine richtigen Mehrheiten im Stadtrat geben kann. Von den 30 Sitzen im Stadtrat erhielten:
Pro Arnstadt 8, Die Linke 7, SPD 5, CDU 5, BürgerProjekt 4, FDP 1.
Geht man von den traditionellen Lagern aus, die es früher gab, dann könnten CDU und Pro Arnstadt miteinander, hätten aber nur 13 Stimmen. Selbst mit der einen FDP-Stimme käme man nur auf 14 von 30. Das reicht einfach nicht.
Auf der anderen politischen Seite könnten sich Linke und SPD verbünden, sie tun es aber selten. Und sie hätten auch zusammen nur 12 von 30 Stimmen. Das reicht auch nicht.
Und das BürgerProjekt? Das könnte man vom Wahlprogramm dem linken Lager zurechnen. Aber vor allem wird es dem Bürgermeister zugerechnet. Und deshalb stimmt die „Linke“ selten mit dem BürgerProjekt. Aus Prinzip.
Wie politisch ist der Arnstädter Stadtrat?
Eigentlich kaum. Denn es geht hier eher selten um den Weltfrieden und dafür öfter um Kleingeld und Hundehaufen. Höchstens bei Themen wie dem Umgang mit Migranten kann man manchmal die in der Bundes- und Landespolitik vorzufindenden Muster erkennen. Sonst dominieren Sachdiskussionen , die aber oft unsachlich geführt werden. Die versteht man oft nur, wenn man weiß, wer wen warum nicht leiden kann.
Wer bestimmt in den Fraktionen, wo es lang geht?
Bei Pro Arnstadt ist Georg Bräutigam Fraktionschef. Laut Wahlergebnis von 2014 ist er der beliebteste Stadtrat überhaupt, er erhielt damals die meisten Stimmen (1721). Bräutigam steht in der Fraktion für einen gemäßigten Kurs, so wie zum Beispiel auch Mario Läbe (832 Stimmen). Fraktionsvize ist allerdings ein Ideologe: Stefan Buchtzik (1194 Stimmen). Mit seinem „Arnstädter Stadtecho„, einem kostenlosen Anzeigenblatt mit Sendungsbewusstsein, fährt Buchtzik einen rechtskonservativen Kurs und ordnet sich auch bei seinen Auftritten im Stadtrat oft rechts von der AfD ein, um es vorsichtig zu sagen. Während Bräutigam eigentlich mit allen reden kann, würde Buchtzik nie mit den Linken paktieren. Mit Bürgermeister Alexander Dill kann er auch nicht. Was auf Gegenseitigkeit beruht. „Pro Arnstadt“ laviert derzeit zwischen dem unideologischen Weg der freien Wähler (mit wechselnden Mehrheiten) und einem Platz ziemlich weit rechts neben der CDU. Das macht die Fraktion für andere nicht gerade berechenbar.
Bei den Linken ist die Sache von außen betrachtet am einfachsten: Hier kocht nur der Chef Frank Kuschel. Der hyperaktive Landtagsabgeordnete ist nicht nur auf allen Nachrichtenkanälen ständig präsent, sondern gibt auch die Richtung vor. Dabei landete er bei der Stadtratswahl 2014 mit 861 Stimmen nur auf Platz 3 seiner Fraktion hinter Jens Petermann (1430) und Rita Bader (863). Bei der Bürgermeisterwahl 2012 kam er sogar nur auf Platz 5 von 5 angetretenen Kandidaten. Trotzdem rackert er unermüdlich, stellt Anträge, macht ständig neue Handlungsfelder auf und verfolgt damit im Grunde genommen nur ein Ziel: Dill muss weg. Eigentlich schade, denn Kuschel ist ein kluger Kerl und hat auch gute Beziehungen zur jetzigen Landesregierung nach Erfurt. Aber Kuschel und Dill gelingt es nicht, zum Wohle der Stadt ihre gegenseitige Abneigung an die Leine zu legen. Eine echte Testosteron-Beziehung.
In der SPD steht Christian Hühn (1155 Stimmen) an der Fraktionsspitze. Er ist vor allem in der Kulturszene gut vernetzt (Spittel, Kunsthalle, Schlossmuseum). Allerdings gibt es da noch zwei Frauen mit durchaus eigenen Ideen: Martina Lang (763 Stimmen), Hühns Stellvertreterin und ehrenamtliche Beigeordnete mit guten Beziehungen in alle Fraktionen und die Landtagsabgeordnete Eleonore Mühlbauer (503 Stimmen) mit ähnlich gutem Draht zur rot-rot-grünen Landesregierung wie Kuschel. Nur nicht so hyperaktiv.
In der CDU ist es derzeit am spannendsten. Fraktionschef Sebastian Köhler (803 Stimmen) setzt sich besonders für die Lösung innerstädtischer Park- und Handelsprobleme sowie den väterlichen Theaterverein ein und ist über seine Social-Media Kontakte auch mit jüngeren Stadträten anderer Fraktionen im Kontakt. Sein Stellvertreter Jürgen Hoffmann (328 Stimmen) ist Polizist und steht für innere Sicherheit. Das reicht ihm. Allerdings drängen im CDU-Ortsverein gerade zwei Leute nach vorn, die nicht im Stadtrat sitzen. Knut Vettrich trat bei der Bürgermeisterwahl 2012 für die CDU an und scheiterte in der Stichwahl an Dill. Anschließend verschwand er in der politischen Versenkung, ließ sich aber im März 2015 zum Arnstädter CDU-Ortsvorsitzenden wählen. Das könnte ein Zeichen sein, dass er bei der nächsten Bürgermeisterwahl wieder antreten will. Und da ist noch der Fotograf Jan Kobel, ebenfalls seit März 2015 Beisitzer im CDU-Ortsvorstand. Ihn kennt man aus dem Stadthaus am Pfarrhof, als Streiter für die Revitalisierung des Milchhofs Arnstadt und auch als Lebenspartner von Judith Rüber, die wiederum für die Linke im Stadtrat sitzt. Interessante Allianzen.
Beim BürgerProjekt ist Markus Tempes (433 Stimmen) Fraktionschef. Warum die wesentlich bekanntere Frontfrau des Bach-Advents Ilka Siegmund (1068 Stimmen) nur in der zweiten Reihe steht, versteht kein Mensch.
Auch wenn das die Fraktion immer wieder dementiert, ist sie 2014 aus der Intension entstanden, Bürgermeister Dill im Stadtrat zu unterstützen. Das ist mit vier Stadträten nur bedingt möglich, mittlerweile versucht sich das BürgerProjekt in einer Vermittlerrolle zwischen Bürgermeister und den anderen Stadtratsfraktionen. Mit mäßigem Erfolg, was sowohl an den Stadtratsfraktionen als auch am Bürgermeister liegt. Weniger am BürgerProjekt.
Über den fraktionslosen FDP-Abgeordneten Christian Stonek (161 Stimmen) lässt sich wenig sagen, er ist bisher im Stadtrat kaum aufgefallen.
Welche Macht hat der Bürgermeister?
Landschaftsarchitekt Alexander Dill ist 2012 über eine gewonnene Stichwahl ins Bürgermeister-Amt gestolpert, ohne zu wissen, was ihn erwartet. Entsprechend lange brauchte er um sich zurechtzufinden. Besonders schwer fiel ihm das mit der Verwaltung, die zum Teil heute noch gegen ihn arbeitet. Das liegt auch daran, dass sich Dills Leitungsstil, Charakter und Auftreten stark von seinem Vorgänger Köllmer unterscheidet. Allerdings hat er mittlerweile einige Unterstützer gewinnen oder in der Verwaltung installieren können, die Außenwirkung der Stadtverwaltung lässt aber nach wie vor zu wünschen übrig.
Rückhalt hatte Dill nach der Wahl vor allem bei den Arnstädter „Kulturbürgern“, mit denen sein Vorgänger Köllmer nicht so gut konnte. Dafür fremdelt er mit der heimischen mit der Wirtschaft. Der Draht zur linken Landrätin Petra Enders ist gut, was aber fehlt, ist Lobbyarbeit in Erfurt. Bei der Regierung hat es Dill als Parteiloser schwer, aber man hat den Eindruck, er versucht es auch zu wenig.
Im Stadtrat, wo er als Bürgermeister eine Stimme hat (die 31.), gibt es keine Mehrheit für ihn. Außer dem BürgerProjekt hat Dill keine natürlichen Unterstützer, sondern müsste mit Geschick und Geduld Mehrheiten schmieden. Das ist ihm bisher kaum gelungen – er hat es auch nicht geduldig genug versucht. Natürlich ist es schwer, wenn man Frank Kuschel zum Feind hat, aber auch sonst arbeitet die Zeit gegen Dill: Langsam bereiten sich die Lager schon auf die nächste Bürgermeisterwahl vor. Und dann geht gar nichts mehr.
Was könnte in einer solch vertrackten Situation eine Lösung sein?
Wenn der Arnstädter Stadtrat und der Bürgermeister sich nicht weiter im kleinlichen Streit verkämpfen sollen, müsste es so etwas wie eine „Koalition der Vernünftigen“ geben. Wenn man sich die Wahlergebnisse anschaut, dann sind die Stadträtinnen und Stadträte mit den meisten Wählerstimmen überwiegend die mit den gemäßigten Ansichten und der größten Kompromissbereitschaft. Das sollte die Arnstädter Politik beeinflussen. Jedenfalls mehr als persönliche Feindschaften einzelner Herren, die zwar vielleicht auch nur das Beste für Arnstadt wollen, aber ihr Ego nicht im Griff haben.
Koalition der Vernünftigen! Ach wäre das vernünftig….
Da müssen aber einige über ihren Schatten springen.
Bleibt zu wünschen, dass dies gelingt!
Leider scheitert diese „Koalition der Vernünftigen“ bisher immer an den fehlenden Partnern. Denn unvernünftig waren immer die 30 anderen im Rat…