„Ja, es ist ein schönes Haus“, sagt der 80jährige Dr. Uwe Walther, als er nach langer Zeit wieder in der Aula seiner ehemaligen Schule steht. Hier hat er 1953 die schriftliche Abiturprüfung abgelegt. Hier fanden während seiner Zeit als Lehrer viele Veranstaltungen statt, an die er sich erinnert. Meist sind es gute Erinnerungen. Und oben über der Aula auf dem kleinen runden Turm verbrachte er mit Schülern viele Stunden mit dem Hobby, das zugleich auch sein Beruf war: Astronomie.
Begonnen allerdings hat seine Zeit an dieser Schule 1949 im Ausweichgebäude in der Lindenallee, der späteren Kollwitz-Schule. Dorthin war das ehemalige Fürst-Günther-Gymnasium nach dem Krieg umgezogen. Zurück an den Schlossplatz ging es erst wieder im Sommer 1951, aber den Umzug hat Uwe Walther nicht miterlebt. „Da waren wir mit dem Schulchor unter Leitung von Herrn Lerz drei Wochen bei den Weltfestspielen in Berlin. Ein tolles Erlebnis. Wir mussten zwar die ganze Zeit im FDJ-Hemd rumlaufen, sind aber trotzdem damit in die S-Bahn gestiegen und nach Westberlin gefahren. Die haben dort ziemlich komisch geguckt.“
Uwe Walther hat nicht nur im Chor gesungen, sondern kann auch Klavier spielen. Das hat ihm geholfen, sein spärliches Lehrlingsgeld von 54 Mark in einer Band etwas aufzubessern, damals nach dem Abitur. Er hatte sich für ein Lehrerstudium In der Kombination Physik/Mathematik beworben. Stattdessen erhielt er ein Angebot zum Astronomiestudium in Jena, was ihn aber zu spät erreichte. „So wäre ich vielleicht schon früher dahin gekommen, wo ich später gelandet bin.“
Also lernte er Schlosser bei der Reichsbahn. Nicht leicht für einen Linkshänder, besonders beim Umgang mit dem Meißel. Doch er hat durchgehalten und legte den Facharbeiterbrief in verkürzter Lehrzeit als Bester ab. Und er nahm es mit Humor wie so viele Sachen im seinem Leben: „Eins habe ich damals mit Sicherheit gelernt: Was ich mit rechts machte, konnte ich auch mit links machen.“
Dann endlich 1955 klappte es mit dem Studium: Lehrer für Physik und Mathematik an der Humboldt-Universität in Berlin. Seine erste Lehrerstelle danach wurde ihm 1959 im Bezirk Frankfurt/Oder zugewiesen. Aber er wollte lieber zurück nach Thüringen, auch der Liebe wegen. Weil er nicht locker ließ, wies man ihm eine Stelle in Schlotheim zu, aber auch hier blieb er nicht und fragte in Arnstadt nach. Der hiesige Kreisschulrat hatte zwar nur eine Stelle an einer Zwergschule in Gossel frei – aber mit Aussicht auf den Wechsel an die Arnstädter EOS im Folgejahr.
In Gossel hat Uwe Walther mindestens so viel gelernt wie seine Schüler. Er unterrichtete mehrere Klassenstufen gemeinsam – und das nicht nur in den Fächern, die er studiert hatte. „Das war eine abenteuerliche Zeit“. Und er hatte ein Schlüsselerlebnis oben auf dem Berg bei Gossel: Es gelang ihm zum ersten Mal, die Venus am Tage mit bloßem Auge auszumachen. „Astronomie hat mich schon immer interessiert“.
Kaum hatte er als Physik- und Mathematiklehrer an der EOS in Arnstadt angefangen, da hieß es, ab 1963 solle auch an der Erweiterten Oberschule Astronomie unterrichtet werden. Er machte also ab 1961 nebenbei ein Fernstudium in Jena und schloss 1963 erfolgreich mit der Befähigung für den Astronomieunterricht in der Oberstufe ab. Da hatte er schon angefangen, in allen 12. Klassen neben Physik auch Astronomie zu unterrichten.
Von da an bestimmten die Sterne nicht nur seine Astronomiestunden. Großen Wert legte er auf eigene astronomische Beobachtungen durch die Schüler, vor allem an gemeinsamen Beobachtungsabenden. „Es ist doch die Beschäftigung mit der Astronomie, die in besonderem Maße geeignet ist, junge Menschen zu einem wissenschaftlichen Bild von der Welt zu verhelfen und die Stellung der Erde und des Menschen im unbegrenzten Universum zu erkennen!“, sagt er noch heute.
1962 organisierte Uwe Walther das erste Astronomielager auf dem Schlossberg oberhalb des Lütsche-Stausees mit seiner damaligen 10. Klasse. Es war das erste seiner Art im Kreis und wohl auch weit darüber hinaus und es blieb nicht das einzige – auch für andere Schulen im Kreis. 1964 gründete er eine Astronomie-Gruppe im Kulturbund. Und als in der DDR 6000 Fernrohre an die Schulen verteilt wurden, erhielt auch die Arnstädter EOS ihren Anteil. Weil der Kreis noch Geld übrig hatte, fuhr Uwe Walther nach Leipzig zur Messe und bestellte am Stand von Carl Zeiss Jena ein richtig gutes Amateurfernrohr mit Zusatzgeräten. Das wurde dann oben auf dem Turm der Schule aufgestellt. „Das war unsere kleine, wenn auch ungeschützte Sternwarte. Der Standort war damals recht gut, es hat ringsum so gut wie keine Straßenbeleuchtung“.
Uwe Walther verstand es, seine Begeisterung für die Sterne auf die Schüler zu übertragen. Es blieb nicht bei den Unterrichtsstunden, sondern immer mehr Interessierte gingen in seine „AG Astronomie“. Das blieb auch in der Umgebung nicht unbemerkt. Eines Abends kam der damalige Direktor Klose aufgeregt auf den Turm, weil unten die Polizei stand. Ein „besorgter Bürger“ hatte angerufen, weil offenbar jemand auf dem Turm amerikanischen Flugzeugen Lichtzeichen geben würde. „Da haben wir uns gewälzt vor Lachen“.
Hans-Joachim Klose Klose hatte er schon während seiner Schulzeit kennengelernt, als damals sehr jungen Direktor. „Seine Morgenappelle waren „berühmt“, sagt Uwe Walther. Er erinnert sich an Kloses Verteufelung der „Nietenhosen“ bei den Schülern und so manch ähnliche Begebenheit. „Aber das war nur die eine Seite von Klose, er hat als Direktor wohl eine Gratwanderung gemacht.“ Nach außen hin habe Klose seine Kollegen verteidigt, auch ihn. Als Walther einmal zu einer Aussprache beim damaligen Bürgermeister zitiert wurde, weil er zum 1. Mai nie eine Fahne aus dem Fenster gehängt hatte, sprang ihm Klose bei und hob sein Engagement bei der GST hervor. Das bestand zwar nur darin, bei der Fahrschulausbildung die zweite Motorrad-Beiwagenmaschine hinter dem eigentlichen Ausbilder mit einem Fahrschüler zu fahren, aber „das hat Klose genau so ausgeschmückt, wie die das hören wollten“. Das war die andere Seite von Hans-Joachim Klose.
Uwe Walther glaubt, dass Klose ihn ohne sein Wissen noch öfters in Schutz genommen hat. Denn Walther war nie in der SED und hatte von seinen sechs Geschwistern drei im Westen, keine gute Voraussetzung für eine Karriere in der DDR.
Doch er konnte an der EOS alles verwirklichen, was er sich vornahm, besonders seine Ideen für die Entwicklung des Astronomieunterrichts. Unterstützt wurde er dabei von vielen Schülern, von Ronald Iser zum Beispiel aus dem bekannten Arnstädter Fotogeschäft, der eine Plattenkamera für astronomische Aufnahmen mitbrachte. Damit konnte in der Arbeitsgemeinschaft sogar eine totale Mondfinsternis aufgenommen werden. Oder von Jürgen Schulz, der sich von der Liebe zur Astronomie so stark anstecken ließ, dass er in Kirchheim begann, eine eigene Sternwarte aufzubauen. „Ich war damals sehr misstrauisch, ob er das mit seinem Schulfreund Gunther Freydank durchhalten würde. Zum Glück habe ich nicht Recht behalten“, sagt Uwe Walther. Als Mitbegründer der heutigen Volkssternwarte Kirchheim organisierte er 1977 das erste astronomische Spezialistenlager der DDR für Jugendliche mit und leitet heute immer noch an der Sternwarte Arbeitsgemeinschaften für Schulen oder hält Vorträge.
Uwe Walther blieb an der Arnstädter EOS bis 1979, dann ging er nach Jena an die Universität, übernahm die Ausbildung von Physik- und Astronomielehrern in der Didaktik des Astronomieunterrichts und promovierte. Ohne den Rückhalt seiner Frau Edeltraud und der beiden Söhne Leif und Björn wäre das wohl nicht gelungen.
Nach der Wende wurde die Direktausbildung von Physik- und Astronomielehrern eingestellt, aber Uwe Walther war hartnäckig genug, sich erneut einen Platz zu suchen, der mit Schule und Astronomie zu tun hatte. „Immerhin haben wir es geschafft, dass Astronomie wieder mit in den Lehrplan reinkam. Eigentlich war die schon gestrichen. Und ich bin froh, dass es sie bis heute hier in der Schule gibt – im Gegensatz zu anderen Bundesländern. Hoffentlich bleibt es auch so.“
Als das „Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien“ (ThILLM) gegründet wurde, war Uwe Walther von Anfang an dabei. Er blieb dort als Referent für Physik und Astronomie bis zum 65. Lebensjahr im Jahr 2000.
Uwe Walther wird am Samstag, dem 24. Oktober, seine alte Schule wieder besuchen. Und wenn man ihn fragt, erzählt er gern noch weitere Geschichten.
Zum Beispiel die von der Stange mit dem Blechknopf direkt über seiner kleinen Sternwarte auf dem Schulturm. Eines Tages in den 1970er Jahren knickte ein Sturm die Stange um, Uwe Walther bemerkte das bei einem Kontrollgang auf dem Turm. Die Stange lag locker auf dem Turmgeländer und drohte hinabzustürzen. Walther holte Direktor Klose, damit der unten aufpasste, das niemand zu Schaden kam. Dann zog er Stange und Blechknopf vorsichtig weg und legte sie in seinen Vorbereitungsraum. Dort lag dann die Kugel, bis Walther 1979 die Schule verließ und sie verwahrte. Vielleicht würde sich ja mal jemand dafür interessieren.
Erst viel später hat er nachgeschaut und einen kleinen Schatz gefunden. In der Kugel befand sich eine Kartusche mit Dokumenten aus der Zeit der Schuleinweihung von 1915. Nun, zum 100. Geburtstag der Schule hat er diesen Schatz für die Ausstellung zurückgegeben.
„Es ist schon ein tolles Bauwerk und es war eine schöne Zeit hier“, sagt Uwe Walther. Er muss es wissen. Denn er hat 23 Jahre an dieser Schule und davon 21 Jahre in diesem Haus verbracht.