Agitiert nur!

Wer heute in den Archiven Antworten auf die Frage sucht, wie es in der DDR so war, stößt auf Maßnahmepläne. Die hatten zwar nichts mit der Wirklichkeit zu tun, aber alle hatten was zum Abheften. Zum Beispiel den Arnstädter Maßnahmeplan für die Friedensfahrt vor 45 Jahren.

Die Friedensfahrt war Kult in der DDR. Nicht nur wegen Täve Schur oder später Olaf Ludwig. Als bekannt wurde, dass die 25. „Internationale Friedensfahrt“ am 9. Mai 1972 durch Arnstadt führen würde, war die Freude groß. Die Fahrer würden gegen 13.30 Uhr aus Erfurt kommen, durch die Ichtershäuser und die Erfurter Straße zum Riedplatz fahren und über die Plauesche Straße Richtung Ilmenau wieder entfleuchen. Ein solches Ereignis war selten; wer konnte, würde hingehen. Und dass gejubelt würde an der Strecke, war klar.

Das hielt die Arnstädter Stadtverwaltung aber nicht davon ab, die etwa zehnminütige Durchfahrt der berühmten Radler wie den Besuch eines vom Volke ungeliebten Parteifunktionärs vorzubereiten: Mit einem neunseitigen Maßnahmeplan und einer 21-köpfigen Arbeitsgruppe unter Leitung von Bürgermeister Hermann Gibson. Das Dokument, das im Stadt- und Kreisarchiv erhalten ist, widmet sich dabei hauptsächlich politisch-ideologischen Fragen. Frei nach dem Motto: Wir müssen dem ungebildeten Arnstädter die weltpolitische Bedeutung der Friedensfahrt erklären.

Anliegen der Vorbereitung sei es, „den Gedanken des Kampfes um die Erhaltung und Festigung des Friedens durch die allseitige Stärkung unserer Republik und die weitere Vertiefung der Freundschaft zur Sowjetunion und aller sozialistischen Staaten in das Bewusstsein hineinzutragen“. Das alles natürlich unter besonderer Berücksichtigung des 8. Parteitags der SED, der 10. Weltfestspiele und des 4. Turn- und Sportfestes.

Aber wie macht man das? Die Antwort hatte der sowjetische Satiriker Michail Soschtschenko schon 1923 gegeben: Man agitiert ein bisschen. „In der massenpolitischen Arbeit kommt es darauf an, die 25. Friedensfahrt mit allen Schichten der Bevölkerung zu diskutieren und besonders die Bewohner, die an der Durchfahrtsstrecke wohnen, für eine hervorragende Ausgestaltung der Häuser zu gewinnen“, heißt es im Dokument des Arnstädter Rates. Dazu wurden Agitatorenkollektive zusammengestellt, die von Haus zu Haus ziehen sollten. Den Arnstädter Schulen wurde das Schreiben von Aufsätzen über die Rolle der Bedeutung verordnet, Schüler aus Frankenhain und Crawinkel sollten Wimpelketten basteln. Minutiös wurde für jeden Streckenabschnitt aufgeschlüsselt, welcher Betrieb für die Gestaltung zuständig war. Das galt nicht nur für die großen volkseigenen Betriebe, auch die Produktionsgenossenschaften des Blindenhandwerks und der Schädlingsbekämpfung mussten mit ran. Der Stadtrat für Volksbildung hatte sicherzustellen, dass alle „Schüler und Pioniere die Möglichkeit der Teilnahme an der Durchfahrtstecke erhalten und mit Winketüchern bzw. Fähnchen ausgestattet sind“. Der Handel musste zwei Schaufenster zum Thema Friedensfahrt im „Haus der Dame“ in der Rankestraße und im „Tempo“-Konsum ausgestalten und sämtliche verfügbaren Blasorchester wurden zu Platzkonzerten verdonnert. Außerdem waren HO und Konsum angehalten, am Bierweg, an der Wachsenburg-Kreuzung und auf dem Ried „Verkaufskioske mit einem Warensortiment von Getränken und belegten Brötchen“ aufzubauen. Ob auch Alkohol ausgeschenkt werden durfte, steht nicht im Maßnahmeplan.

So berichtete „Das Volk“ im Bezirksteil am nächsten Tag über die Etappe…
…. und so im Arnstädter Kreisteil

Es darf bezweifelt werden, dass alle diese hochfliegenden Pläne realisiert wurden. Denn der Maßnahmeplan wurde erst am 29. März 1972 vom Arnstädter Rat verabschiedet, etwa fünf Wochen vor dem großen Ereignis. Wahrscheinlich ist es in der Kürze der Zeit nicht gelungen, den Leuten den Zusammenhang zwischen dem 8. Parteitag der SED und dem Gelben Trikot des Friedensfahrt-Spitzenreiters vollständig zu erklären. Aber natürlich strömten am 9. Mai die Arnstädter trotzdem in Scharen an die Strecke und jubelten den Fahrern zu, auch wenn Arnstadt im Wettbewerb um den bestgeschmückten Ort im Kreis nicht einmal unter die ersten Drei kam. Es gewann Plaue vor Dosdorf und Ichtershausen.

Aber die kurze Durchfahrt hinterließ dennoch etwas Bleibendes. Auf der Rennstrecke waren alle Schlaglöcher geflickt worden. So, wie es im Maßnahmeplan gestanden hatte.

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