Die Arnstädter haben gewählt. Wenn der Wahlausschuss am Mittwoch nicht noch Haare in der Wahlsuppe findet, sitzen künftig 32 weibliche und männliche Stadträte von acht Listenvereinigungen im Stadtrat. Die meisten haben mit Verlusten zu kämpfen, es gibt nur wenig Gewinner.
Der Gewinner der Stadtratswahl heißt Markus Klimpel. Er bekam bei der Stadtratswahl 2782 Stimmen, so viele wie kein anderer Kandidat. Wer Markus Klimpel ist, wissen allerdings die wenigsten in Arnstadt. Einmal ward er am AfD-Stand dienstags am Hopfenbrunnen gesehen, in den Wahlunterlagen steht, dass er Hotelfachmann ist und 1986 geboren wurde. Aber warum bekam er so viele Stimmen? Weil er für die AfD antrat. Auch die beiden ihm auf der Liste folgenden AfD-Kandidaten bekamen je über 1000 Stimmen.
Die AfD hat eigentlich in Arnstadt keine richtige Basis mehr, seit sich Hans-Joachim König aus Altersgründen zurückgezogen hat und Stefan Buchtzik auch nicht mehr mitmacht. Aber beide haben mit ihrem „Stadtecho“ lange Zeit dafür gesorgt, dass die Anhängerschaft de AfD ständig wachsen konnte, mehr noch als in anderen Kommunen. Aber das kann nicht der alleinige Grund für die Stärke dieser Partei sein, sonst wäre Arnstadt ein Einzelfall.
„Wir tun nicht so, als ob wir etwas verändern wollen“, stand nach der Wahl auf der Facebook-Seite der AfD Ilmkreis-Gotha. Der Satz spiegelt die Sehnsucht vieler älterer Mitmenschen nach einer Welt, in der alles so bleibt, wie es nie war. Wo man sich nicht um den Klimawandel kümmern musste, es keine fremd anmutenden Menschen auf den Straßen gab, aber man überall hin reisen konnte. Wo das Brötchen fünf Pfennige kostete und die Partei sagte, wo es lang geht. Darüber konnte man schimpfen, aber man musste sich keine Kopf machen. Dass diese Sehnsucht eine Illusion ist und hinter dem nett klingenden AfD-Versprechen Männer wie Björn Höcke stehen, die tatsächlich am liebsten wieder die Ein-Parteien-Diktatur einführen möchten, wird von vielen Wählern ausgeblendet. Man will doch nur den anderen, den „etablierten“ eins auswischen. Man wählt, wo AfD draufsteht.
Das tun aber mittlerweile nicht nur gefrustete Ältere, sondern zunehmend auch junge Leute auf Sinnsuche. Bei der AfD kann man so herrlich gegen alles sein, besonders gegen das Establishment. Und je mehr die anderen schimpfen und mit dem Finger zeigen, desto mehr kuscheln sich die AfD-Anhänger zusammen und schauen finster drein. Finster drein schauen kann echt Spaß machen, das weiß jeder, der schon mal Jugendlicher war. Und deshalb sitzt nun Markus Klimpel als Stimmenkönig im Stadtrat und muss sich überlegen, ob er dort nur finster drein schauen oder auch mitspielen will. Nach dem AfD-Stimmanteil hätte er noch fünf weitere Kumpels mit in den Stadtrat bringen können, aber er hat nur drei.
Georg Bräutigam, der allseits bekannte Fraktionschef von „Pro Arnstadt“, hat mit 1813 Stimmen den zweiten Platz belegt und konnte somit sein Ergebnis von 2014 (1721) noch steigern. Seine Wählervereinigung büßte allerdings etwa drei Prozentpunkte ein. Dabei hat Pro Arnstadt eigentlich vieles richtig gemacht im Wahlkampf. Es gelang, den AfD-affinen Fraktionsvize Stefan Buchtzik (ebenfalls Mitglied im 1000-er Klub) in den eigenen Reihen zu halten und das Manko fehlender weiblicher und jugendlicher Kandidaten ein wenig auszugleichen. Michel Wächter zum Beispiel ist ein sehr engagierter junger Mann, der möglicherweise für einen Generationswechsel in der überalterten Truppe stehen könnte. Mit Wahlsprüchen wie „Wenns Dir zu bunt wird, wähle Schwarz-Gelb“ und dem Tragen von Gelbwesten an den Wahlständen generierte Pro Arnstadt Aufmerksamkeit und versuchte, AfD-Wähler zu sich herüberzuziehen. Zwar konnte Pro Arnstadt nicht zulegen, schaffte es aber, mit acht Sitzen stärkste Fraktion im Stadtrat zu werden. Und es ist sogar eine Frau dabei!
Gegenüber von Pro Arnstadt saß bisher im Stadtrat die Fraktion der „Linken“. Vielleicht wird das auch künftig so sein, aber die Zeiten, da die Linken mit Pro Arnstadt um die Rolle als Platzhirsch im Stadtrat stritten, sind Vergangenheit. Die Linke stürzte von 24 auf 12 Prozent ab, nur noch vier Stadträte gehören der Fraktion an.
Das mag einem Bundestrend folgen, die Linken hatten es auch anderswo schwer an diesem Wahlsonntag. Aber in Arnstadt kommen noch selbst gemachte Probleme hinzu. Fraktionschef Frank Kuschel agierte im Stadtrat oft sehr eigenwillig und auf Krawall gebürstet, Teamarbeit ist seine Sache nicht. Gleiches kann man wohl über die Stadtvorsitzende Judith Rüber sagen. Das ging vielen in der Partei zunehmend auf den Geist, auch Leuten wie dem Bürgermeisterkandidaten Jens Petermann, der immerhin bei der Stadtratswahl 2014 als einziger Stadtrat der Linken über 1000 Stimmen holte. Um öffentlichen Streit vor der Wahl zu vermeiden, kam es einem schaumgebremsten Wahlkampf, in dem Kuschel und Rüber praktisch keine Rolle spielten, Petermann trat erst gar nicht wieder an. Plakatiert und beworben wurde nur ein überwiegend weibliches und junges, aber auch überwiegend unbekanntes Führungsquartett. Das Ergebnis: Eine halbierte Fraktion mit zwei Kandidaten aus der beworbenen Spitzengruppe (Mareike Graf und Thomas Schneider) und zwei bekannten Gesichtern, die schon häufiger übers Aufhören nachgedacht haben (Rita Bader und Gerhard Pein). Fraktionschef Kuschel ist ganz raus. und Judith Rüber auch. Das Wundenlecken und wird wohl eine Weile andauern.
Dass das Bürgerprojekt seine Verluste in Grenzen halten konnte, liegt an einem ziemlich effektiven Wahlkampf und an dem Mann, für den das Bürgerprojekt einst gegründet wurde: Ex-Bürgermeister Alexander Dill. 1518 Stimmen bekam er als Dritter auf der Liste und sorgte so wohl mit dafür, dass wieder vier Sitze errungen werden konnten. Wenn jetzt zwischen ihm und Markus Tempes kein Kampf um den Fraktionsvorsitz ausbricht, könnte daraus eine Fraktion werden.
Böse gebeutelt hat es die örtliche SPD. Zwar konnte Fraktionschef Christian Hühn sein Ergebnis von 2014 (1155 Stimmen) diesmal sogar auf 1280 steigern und blieb damit sicher im 1000-er-Klub, aber die Partei stürzte um sechs Prozentpunkte auf nur noch 9,5 Prozent ab. Ich rechne damit, dass sich viele Wähler dem Bundestrend folgend von der Partei abgewandt haben, denn der Wahlkampf war zwar nicht außergewöhnlich, aber engagiert. Und sowohl Hühn als auch Martina Lang spielen in der Stadtpolitik eine sehr aktive Rolle. Die wird vielleicht auch Eleonore Mühlbauer wieder suchen, denn ihr Platz 10 auf der SPD-Liste für die Landtagswahl im Herbst ist angesichts der aktuellen SPD-Entwicklung alles andere als sicher.
Die CDU gehört zu den wenigen, die nichts verloren haben. Mit 16,4 Prozent fuhr die Partei ziemlich das gleiche Ergebnis wie 2014 ein und belegt sechs Sitze im neuen Stadtrat. Offensichtlich hat man mehr richtig gemacht als im Bundestrend. Zugleich gibt es in der Fraktion eine interessante Personalentwicklung: Bodo Weißenborn, bekannt als Bürgermeister von Marlishausen und Arnstädter Unternehmer, bekam auf Anhieb mehr Stimmen als der jetzige Fraktionschef Sebastian Köhler und stieg als Zehntplatzierter auf der Liste aus dem Stand in den 1000-er Liga auf. Mit ihm wird man rechnen müssen. Nicht nur in der CDU.
Nicht in der 1000-er Liga spielen Christian Stonek, Josefine Galle und Jan Kobel. Alle drei zogen mit je etwa 400 Stimmen in den Stadtrat ein, Christian Stonek wieder als Einzelkämpfer für die FDP, Frau Galle und Herr Kobel erstmals für die „Grünen“. Den steilen Aufwärts-Bundestrend der Umweltpartei konnten die hiesigen Grünen nicht in vollem Umfang nutzen und haben wohl auch etwas wenig Wahlkampf gemacht, aber zwei Stadträte sind ein Anfang. Und Jan Kobel wird sich schon Gehör zu verschaffen wissen.
Es ist also bunter geworden im neuen Stadtrat. Ob es interessanter wird, lässt sich noch nicht absehen. Einige sehr eigenwillige Stadträte sind nicht mehr dabei, aber es gibt Ersatz. Natürlich besteht die Gefahr, dass durch eine Ausgrenzungs-Debatte die vier Stadträte der AfD unnötig gestärkt und aufgewertet werden. Aber tatsächlich steht die Frage, wie sich Pro Arnstadt, AfD und CDU zueinander verhalten. Dann ist da noch das Problem zwischen Bürgerprojekt und Grünen. Beide haben inhaltliche Schnittmengen, aber auch zwei Menschen in ihren Reihen, die sich überhaupt nicht leiden können.
Für den Bürgermeister ist die Situation eigentlich recht komfortabel. Keine Fraktion kann sich richtig als Sieger der Stadtratswahl sehen, nicht mal die AfD mit ihren nur vier Stadträten. Und es deutet sich keine Mehrheit gegen den Bürgermeister an. Er kann und sollte also mit allen reden und sich gegebenenfalls auch wechselnde Mehrheiten suchen.
Es könnte also sachlicher und berechenbarer zugehen im neuen Stadtrat, muss es aber nicht. Wie sich die Atmosphäre entwickelt, hängt unter anderem von den Personalentscheidungen ab, die gleich zu Beginn zu fällen sind. Es wird schon mächtig miteinander geredet.
Hallo Eberhard,
Habe lange keinen so knackigen Kommentar mehr von Dir gelesen.
Höre gern in Zukunft wieder mehr von Dir.
Vielleicht sehe ich Dich am 2. JUNI um 13Uhr
Im Knöpferhaus zur Vernissage?
Beste Grüße
Eva Römer
Vielen Dank für das Kompliment eines „ziemlich effektiven Wahlkampfes“. Wir sehen das genauso.
Im BürgerProjekt gibt es keinen Kampf um den Fraktionsvorsitz. Diese Frage haben wir bereits im Vorfeld der Wahl offen diskutiert und vorbehaltlich des Wählervotums Entscheidungen getroffen. Den Fraktionsvorsitz werde ich beibehalten.
Im übrigen freuen wir uns über 900 zusätzliche Stimmen im Vergleich zur Wahl von 2014!