Es war ein außergewöhnliches Jahr. Ein eigenartiges Virus stellte die Menschen vor Herausforderungen, mit denen keiner gerechnet hatte. Aber im Schatten der Pandemie legte Arnstadt eine beachtliche Entwicklung hin. Es passierten sogar Dinge, mit denen keiner mehr gerechnet hatte.
Corona hat vieles verändert. Nicht nur bei denen, die daran erkrankt sind. Für Betriebe brachte die Krise Kurzarbeit, für Händler, Gastronomen, Dienstleister und alle, die sonst beruflich unsere Freizeit organisieren, tiefe Einbrüche. Wer um seine Existenz bangen muss, versteht oft die Welt nicht mehr. Denn die Frage: „Warum dürfen die offen bleiben und wir nicht?“ ist nicht immer schlüssig zu beantworten.
Aber auch jene, die die Pandemie nicht direkt im Geldbeutel spüren, sind betroffen. Das normale Leben mit Urlaub, Feiern oder Shoppen fiel über weite Strecken aus. Die Einschränkung sozialer Kontakte macht den Leuten zu schaffen, auch jenen, die volles Verständnis dafür haben. Das führt zu zunehmender Gereiztheit vor allem in der einzig gesundheitlich unbedenklichen Kommunikationsmöglichkeit neben dem Telefon: den sozialen Medien. Es wird weniger miteinander geredet und mehr recht gehabt, frühere Freundschaften zerbrechen an der Frage, wie mit der aktuellen Lage umzugehen sei. Dabei ist die Antwort einfach: Das weiß man erst, wenn alles vorbei ist. Es ist halt für alle die erste Pandemie.
Die allgemeine Stimmung ist gedrückt. Hört man den Leuten am Markttag in der Innenstadt zu, war es das seit langem schlechteste Jahr für Arnstadt. Doch das stimmt nur hinsichtlich der Corona-Krise. Sonst kam die Stadt 2020 so gut voran wie lange nicht.
Mit der Fertigstellung des „Haus zum Schwarzen Bären“ am Ried / Ecke Marktstraße die letzte Wunde am Riedplatz geheilt. Viele Jahre wurde um die Sanierung dieses Hauses gerungen, so wie vorher um den „Christophorus“ und das Nebenhaus. Nun gibt es am Ried keinen Schandfleck mehr.
Überhaupt ist die Arnstädter Bausubstanz in einem sehr guten Zustand – im Gegensatz zu der vieler vergleichbarer Städte. Wenn man durch die Innenstadt geht, sieht man kaum sanierungsbedürftige Häuser. Da warten noch das „Bachstein“-Haus in der Rosenstraße und die alte Druckerei am Bustreff auf findige Investoren, aber sonst fällt einem kaum noch etwas ein. Das „Gerippe“ in der Wachsenburgstraße ist auf gutem Wege – und selbst für das Merkur-Kino soll eine Lösung gefunden sein, wenn auch erst in zwei Jahren. Das Gelände um das alte Kloster ist nun auch fertig und die Arnstädter haben sich weitgehend mit der Architektur der dortigen Lückenbebauung versöhnt. Es ist aber auch eine zauberhafte Ecke.
Mit den Schulen sieht es ebenfalls gut aus. Zwei der schönsten, das ehemalige Neideck-Gymnasium und die alte Kollwitz-Schule in der Lindenallee, werden saniert und haben gute Aussicht auf neue Bewohner, sie bleiben als Schulen erhalten. Das war lange nicht klar, besonders die Kollwitz-Schule verfiel nach der Insolvenz der Fachhochschule Kunst immer mehr. In diesem Jahr wurde die Sanierung beschlossen.
An der Weiße wird kräftig saniert und an vielen Ecken entstehen neue Wohnungen: auf dem Sonnenhang, in der Karl-Liebknecht-Straße, vor dem Ried am alten Concordia-Standort und in der ehemaligen Bahlsen-Brauerei, am Bahnhof (ehemalige Gärtnerei Pötschke), in der alten Post in der Ritterstraße und in der Sodenstraße. Über die Architektur kann man streiten, aber es ist schön, dass Wohnungen nicht nur auf der grünen Wiese entstehen, sondern mitten in der Stadt. Die werden auch gebraucht, unter anderem wegen des chinesischen Batteriewerkes vor den Toren der Stadt, das im Eiltempo aus dem Boden gestampft wird.
Das größte städtische Bauvorhaben dieses Jahres war die neue Feuerwache am Friedhof, die nun so gut wie fertig ist. Als Laie steht man mit offenem Mund vor diesem Gebäude und fragt sich, warum das so groß sein musste. Die Antwort kam jetzt in der Vorweihnachtszeit, als die neue Wache wie ein umgekehrter Adventskalender funktionierte: Immer mal wieder ging ein Türchen auf – und ein nagelneues Feuerwehrauto fuhr hinein. Es ist schon imposant, wie die Arnstädter Feuerwehr nach dem großen Krach von 2010 innerhalb von 10 Jahren ihren Ruf in der Stadt Stück für Stück verbessern konnte. Niemand hat mehr Einfluss auf die Arnstädter Stadtpolitik als die Feuerwehr. Nicht einmal einen eigenen Straßennamen konnte man ihr abschlagen.
Gleich neben der Feuerwache entsteht am Obertunk ein neuer Kunstrasenplatz, ebenfalls erst in diesem Jahr begonnen. Und auch gegenüber wurde dieses Jahr fleißig weitersaniert. Der Friedhof ist ein Schmuckstück der Stadt, ein schönerer Park als Schlossgarten und Alter Friedhof. Zumindestens gegenwärtig.
Aber auch im Schlossgarten und auf dem Alten Friedhof tut sich etwas. Es wurden nicht nur Wege saniert, sondern der gesamte Theaterplatz wird umgestaltet und die Musikmuschel saniert. Diese Aktion kam für viele in diesem Jahr genau so überraschend wie die Verwirklichung eines alten Traums aller Hunde-Besitzer: Die Einrichtung einer Freilaufwiese am Wollmarktsteich. Noch ist sie nicht in Betrieb, aber der Zaun steht schon. Ich erinnere mich an eine städtische Ausschusssitzung vor über zehn Jahren, als auch schon über eine solche Hundewiese diskutiert wurde. Und die meisten sagten damals: Das wird nie was. 2020, im Corona-Jahr, ist es was geworden. Wer hätte das gedacht.
Ein anderer alter Traum aller Arnstädter steht kurz vor der Realisierung: Im Januar soll die ganze Stadt weicheres Wasser bekommen, die eigene stark kalkhaltige Quelle am Schönbrunn wird mit Ohra-Fernwasser gemischt und damit aufgeweicht. Ich weiß nicht, wie lange das schon diskutiert wurde, aber immer hieß es: Das geht nicht, die anderen Gemeinden im Wasser- und Abwasserzweckverband spielen da nicht mit, weil sich dadurch ja der Wasserpreis auch für sie erhöht, obwohl sie nichts davon haben. Unter dem ehemaligen Bürgermeister Alexander Dill gelang es schließlich doch, einen solchen Beschluss herbeizuführen. Und nun ist es bald soweit.
Es gab noch andere Baumaßnahmen. Die Oberkirche ist endlich fertig und sehr, sehr schön geworden. Auch wenn keine so recht weiß, was man mit ihr anfangen soll. Wenigstens ist sie damit nicht allein, der Liebfrauenkirche geht es schon länger so. Zum Glück gibt es das Konzertprogramm von Kantor Jörg Reddin, aber auf Dauer wird man sich für die beiden Kirchen-Perlen im Schatten der Bachkirche etwas mehr einfallen lassen müssen.
Nicht an allen Stellen ging es vorwärts. Die Mühlgaben-Brücke oberhalb des Fischtors harrt weiter der Sanierung und das Schlossmuseum blieb das bauliche Sorgenkind der Stadt. Weder bei der Fassadensanierung noch dem Fahrstuhl gab es dort entscheidende Fortschritte. Lediglich ein kleiner Vorsaal konnte restauriert werden, weitere Umgestaltungspläne blieben in der Schublade. Die zeitweilige Hoffnung, dass von avisierten Sanierungs-Millionen aus Berlin auch das Arnstädter Schloss profitieren konnte, zerschlugen sich. Woran es lag? Vielleicht sind die Arnstädter einfach schlosssanierungsmüde, schließlich wird an dem Haus schon seit Jahrzehnten herumgewerkelt. Vielleicht aber hat das Schloss auch nicht genügend Fürsprecher in Stadtrat und Verwaltung. Gehörte es der Feuerwehr, wäre es wohl schon längst fertig.
Womit wir im Rathaus angelangt wären: Das war 2020 überwiegend zu. Während andere Einrichtungen in der Lockdown-Pause im Sommer schnell wieder öffneten, beließ man es im Arnstädter Rathaus beim Ausschluss der Öffentlichkeit (außer nach Voranmeldung). Hinter den verschlossenen Türen allerdings gab es 2020 eine beeindruckende Entwicklung. So gut wie alle offenen Stellen konnten besetzt werden – und das waren nicht wenige.
Vorbei sind die Zeiten, als Bürgermeister Spilling mit einigen Mitarbeitern selbst einen Haushalt aufstellen musste. Jetzt hat er nicht nur wieder einen Kämmerer, sondern auch zwei hauptamtliche und zwei ehrenamtliche Beigeordnete, auf die er die Arbeit verteilen kann. Was er auch getan hat: Außer für wenige Stabsabteilungen ist er für fast nichts mehr direkt zuständig, wie das aktuelle Organigramm zeigt. Er kann sich also ums Wesentliche kümmern.
Dass trotzdem nicht alles rund läuft im Rathaus, zeigt das Beispiel Meldestelle, wo man noch immer zwei Monate auf einen Termin warten muss. Und leider wohnen einige Führungskräfte wie der Bürgermeister (noch) nicht in Arnstadt. Das muss nicht bedeuten, dass sie sich nicht für die Stadt einsetzen. Aber vieles, was in der Stadt passiert, erfährt man abends in der Kneipe, im Verein, beim Friseur oder von den Kindern aus der Schule. Wenn dann die Stammkneipe ganz woanders ist, fehlt was. Aber vielleicht ist das auch Krümelkackerei. Denn wir können ja gerade sowieso in keine Stammkneipe gehen. Und die Schulen sind auch wieder zu.
Der Arnstädter Stadtrat agierte in diesem Jahr relativ unauffällig. Das lag zum Teil an der Corona-Krise, die den Sitzungskalender mächtig ausdünnte. Aber auch schon vorher deutete sich an, dass in dieser Wahlperiode die großen Scharmützel zwischen Stadtrat und Bürgermeister wohl eher nicht stattfinden würden. Es gibt weniger Menschen im Stadtrat, die die Konfrontation suchen – und es gibt auf der anderen Seite einen Bürgermeister, der Konfrontationen durch Kommunikation entschärfen will und kann. Das heißt nicht, dass der Stadtrat weniger wichtig geworden wäre. Es wird nur mehr vorbesprochen und abgewogen. Das muss keine schlechte Entwicklung sein.
Arnstadt hat sich also auch in diesem mental so schwierigen Corona-Jahr recht positiv entwickelt. So viel wie 2020 hat sich selten in der Stadt getan. Bleibt eine wichtige Frage: Woher kam eigentlich das Geld, um das alles zu bezahlen?
Ich weiß es nicht. Das Auf und Ab in der Gewerbesteuer ist nicht nur konjunkturbedingt, sondern wirkt auch noch zeitversetzt, ist also fast unberechenbar. Das Arnschter Geld ist und bleibt ein Phänomen. Vor wenigen Jahren, als Alexander Dill noch Bürgermeister war, schilderte er Arnstadts Finanzlage immer in den düstersten Farben, auch die Zukunft betreffend. Und jetzt plötzlich geht so vieles, auch wenn der jetzige Bürgermeister für 2021 einen etwas sparsameren Haushalt entwerfen ließ. Das ist zwar nicht schön, aber andere Städte haben wegen Corona schon längst Nachtragshaushalte verabschiedet und Haushaltssperren erlassen. Arnstadt bleibt vorläufig davon verschont. Natürlich wurde der offensichtliche Konjunktureinbruch im Frühjahr durch Bundeshilfen abgefedert. Aber das es insgesamt so glimpflich abgehen würde, damit hat wohl kaum einer gerechnet.
Wie wird es weitergehen?
Diese Frage war wohl noch nie so schwer zu beantworten wie jetzt. Dieses komische Virus wird wohl noch eine ganze Zeit unser Leben durcheinanderbringen. Welche Folgen das für die Menschen und die Stadt haben wird, ist noch nicht abzusehen.
Die Innenstadt wird Hilfe brauchen. Bisher ist es gelungen, die in anderen Kleinstädten sichtlich voranschreitende Verödung in Arnstadt weitgehend aufzuhalten oder wenigstens einzudämmen. Aber diejenigen, die dafür gekämpft haben, sind nun mit am meisten von der Krise gebeutelt. Sie brauchen Unterstützung, Ideen und Geld. Ich weiß nicht, ob es ausreicht, mit dieser Aufgabe zwei halbe Citymanager zu beauftragen. Für mich ist die beste Übersetzung von Citymanager noch immer „Bürgermeister“.
Das imposante Baugeschehen wird sich wohl nicht in diesem Umfang fortsetzen. Aber es gibt schon Pläne für die Zukunft: Ein Bestattungswald soll angelegt werden, ein Wunsch, der schon lange von Arnstädtern geäußert wurde. Das Sport- und Erlebnisbad kommt in die Kur und soll attraktiver werden. Und Arnstadt hat sich für die Landesgartenschau 2028 beworben. Wenn das klappen sollte, könnte es die Umsetzung interessanter Projekte bedeuten.
Es gab übrigens in diesem Jahr noch eine Überraschung. Mehrere Fotografen haben in der Gegend um den Wollmarktsteich und an der Gera einen Eisvogel gesichtet und abgelichtet. Der blaubunte Neubürger gilt gemeinhin als Glücksbringer. Ich hoffe, dass er bei uns bleibt. Gerade in diesen Zeiten.
Ein sehr schöner und aufschlussreicher Beitrag zum Jahr 2020. Als gebürtiger Arnschter fühle ich mich meiner alten Heimat immer noch sehr verbunden, und lerne das eine oder andere bei meinen regelmäßigen Besuchen auch kennen. Es wird sicher genug geben, die mit nichts zufrieden sind, und selbst das Gute nicht mal sehen wollen, aber es gibt wahrlich andere Städte, die richtig schlecht dran sind. Da darf man Arnscht durchaus einmal ins Scheinwerferlicht stellen. Alles Gute für 2021!
Ein wunderbarer Artikel. Vielen Dank dafür.
Die neu sanierte ,,alte Post“ wurde vergessen oder hab ich es schlicht überlesen?
Ein frohes Fest und alles Gute für 2021.
Dankeschön! Ich wünsche Ihnen auch alles Gute für 2021 und vorher ein frohes Fest.
Und die alte Post hatte ich tatsächlich vergessen, ich werde sie jetzt noch ergänzen.