Ende November 2021 wird die letzte Tageszeitung in Erfurt-Bindersleben gedruckt – und zum Jahresende schließt das Druckzentrum ganz. Dann ist Thüringen das erste Bundesland ohne Zeitungsdruckerei. Und 270 Menschen verlieren ihre Arbeit.
Es ist immer wieder ein besonderer Moment, wenn abends die Druckmaschinen anlaufen, jene fünf blauen Türme, in denen seit 1994 in Erfurt-Bindersleben die „Thüringer Allgemeine“ zu einer richtigen Zeitung wird. Zerlegt in vier Farben und werden für jede Zeitungsseite vier Platten hergestellt, von denen dann in den Drucktürmen nacheinander die riesigen Papierrollen bedruckt werden. Da muss alles stimmen, die Platten müssen exakt ausgerichtet sein, die Druckfarbe darf nicht zu dünn- oder zu dickflüssig sein und mit dem jeweils verwendeten Papier harmonieren. Immer wieder nehmen die Drucker Zeitungen aus der laufenden Produktion, um all das zu überprüfen und gegebenenfalls etwas nachzujustieren. Drucken ist viel Handwerk, aber es ist auch eine Kunst.
Aber die Anlage in Bindersleben kann noch mehr. Nach dem Druck werden die Zeitungsseiten automatisch zugeschnitten, gefaltet und zur richtigen Zeitung zusammengestellt. Sogar Beilagen können vollautomatisch eingelegt werden, wenn es nicht zu viele sind. Dann müssen die Mitarbeiter vom Versand noch mit zupacken, die sonst dafür verantwortlich sind, dass die richtigen Zeitungspakete in dem richtigen Transporter für die weitere Verteilung landen.
Für alle, die an dieser Produktion mitwirken, ist es „ihre“ Zeitung. Die Inhalte stammen zwar von den Journalisten aus den Lokalredaktionen oder einem Gebäude nebenan, das viel kleiner ist als die Druckerei. Aber damit eine richtige Zeitung daraus wird, die von den Leuten gern gelesen wird, braucht es die Leute in der Plattenproduktion, an den Druckmaschinen und im Versand. Nicht selten habe ich erlebt, dass jemand aus der Produktion in der Redaktion angerufen hat, weil zum Beispiel der Name einer Straße in einem Beitrag nicht stimmte. Er wohnte in dieser Straße. Der Journalist, der den Beitrag geschrieben hatte, nicht.
Ich war um 2007 Chef vom Dienst bei der „Thüringer Allgemeine“. Im Wechsel mit Axel Eger, den viele als Sportredakteur kennen, betreute ich allabendlich den Werdegang der Zeitung von der Bildschirmansicht zum Papierprodukt. Der erste Andruck war damals um 22.30 Uhr. Die Zeitungen für den Kreis Nordhausen wurden zuerst gedruckt, Nordhausen war am weitesten weg von der Druckerei. Gemeinsam mit den Druckern wurden die ersten Zeitungen angeschaut, ob die Farben stimmten, der Druck leserlich war und ohne Auffälligkeiten. Manchmal wurde dann noch an einem Regler gedreht, die Drucker wussten genau, an welchem. Nach dem Andruck nahmen wir einige Exemplare mit in die Redaktion, um sie nochmal aufmerksam gegenzulesen. Manche Fehler, das musste ich immer wieder feststellen, sieht man erst auf dem Papier. Aber so konnte man sie zumindest für die kommenden Aufgaben noch korrigieren.
Die Zeiten haben sich geändert. Zwar sank die Druck-Auflage kontinuierlich, aber es kamen weitere Aufgaben hinzu. 2010 schloss das „Freie Wort“ seine Druckerei in Suhl, 2013 machte auch die Druckerei der „Ostthüringer Zeitung“ in Löbichau bei Gera zu. Fortan wurden beide Titel ebenfalls in Bindersleben gedruckt. Wegen der langen Umrüstzeiten musste der Andruck wesentlich nach vorn verlegt werden. Die Ergebnisse wichtiger Fußballspiele, die am Abend stattfanden, standen plötzlich am nächsten Tag nicht mehr in der gedruckten Zeitung, andere bedeutende Ereignisse auch nicht. Die mittlerweile in die Jahre gekommenen Druckmaschinen versagten öfter den Dienst, Ersatzteile wurden knapper. Aktuell wird nur noch auf drei oder vier der fünf blauen Türme gedruckt. Das reicht nur deshalb noch, weil die Druckauflage immer weiter zurückgeht. Erheblich fünfstellig soll der Verlust allein im letzten Jahr gewesen sein, für alle drei Zeitungen TA, TLZ und OTZ zusammen. Aber es müsste im Druckbereich erheblich investiert werden, damit es weitergehen kann.
Es geht aber nicht weiter.
Schon Ende November wird die letzte Tageszeitung in Bindersleben angedruckt. Im Dezember kommen zwar noch der „Allgemeine Anzeiger“ und ein paar andere Kleinaufträge aus dem Erfurter Druckhaus, aber zum Jahresende ist endgültig Schluss. Die Druckmaschinen werden verschrottet und 270 Mitarbeiter verlieren ihre Arbeit. Zeitungen zu drucken, das rechnet sich einfach nicht mehr.
Es gibt zwar Sozialpläne und Abfindungen, aber es heißt, darum musste hart gerungen werden. Am Ende wird nur gezahlt, was nicht zu verhindern war. Die Arbeitsplatzsuche für die Mitarbeiter wurde an die Arbeitsagentur ausgelagert. Fürsorge ist nicht die mehr starke Seite des Konzerns, der früher nach der Zeitung hieß, für die er gegründet wurde . Heute heißt er nach den Leuten, die damit Geld verdienen wollen, solange es geht. Die Arbeitslosenquote in Thüringen sei ja wesentlich kleiner als anderswo, stand in einem Aushang, gute Mitarbeiter würden überall gesucht. Aber zu welchen Bedingungen? Und wer braucht heutzutage schon noch hochqualifizierte Zeitungsdrucker?
Ab 1. Dezember werden die „Thüringer Allgemeine“, die „Ostthüringer Zeitung“ und die „Thüringische Landeszeitung“ nicht mehr in Erfurt gedruckt, sondern in Braunschweig, Chemnitz und Halle. Anrufe wegen eines falsch geschriebenen Straßennamens wird es aus diesen Druckereien in den Redaktionen wohl nicht mehr geben. Und niemand liest mehr nach dem Andruck die fertige Zeitung, um noch einen Fehler zu finden. Es wird schon schwer genug, alle Exemplare morgens in die Thüringer Briefkästen zu bringen, an einen strengen Winter will man gar nicht denken. Damit das irgendwie gelingt, muss die Redaktion früher liefern. Letzter Termin für die Arnstädter Ausgabe: 19.15 Uhr, für Erfurt 19.50 Uhr. Früher lag der Erfurter Redaktionsschluss deutlich nach Mitternacht.
Natürlich kann man auch künftig noch Berichte über Abendtermine am nächsten Morgen in der Zeitung lesen, elektronisch auf das Tablet übermittelt. Wenn es nach dem Konzern geht, sollten das eigentlich alle Abonnenten tun. Aber die tun es irgendwie nicht. Der durchschnittliche Abonnent ist deutlich über 60 und nicht sonderlich internet-affin, wenn er überhaupt Netz auf seinem Dorf hat. Der internetaffine News-Junkie um die 30 wiederum verabscheut das starre Abo-Modell der Zeitung, das ihm außerdem deutlich zu teuer ist. So wird also weiter gedruckt, irgendwo, solange es die alten Abonnenten bezahlen. Dass mittlerweile in allen drei Zeitungen praktisch das Gleiche steht, haben sie ja auch geschluckt oder gar nicht gemerkt. Weil: Wer kann sich schon noch mehrere Zeitungen leisten?
So endet am 30. November still und leise die Ära des Tageszeitungsdrucks in Erfurt. 270 Menschen verlieren ihre Arbeit, für die, die bleiben, wird es komplizierter. Die gedruckte Zeitung wird sicher nicht besser, aber unaktueller. Aber vielleicht halten sich die Abbestellungen ja in Grenzen. Und außerdem gibt es gegen Einnahmeverluste ein wirksames Mittel. Es heißt Preiserhöhung.
Klasse Einschätzung der aktuellen Situation, lieber Eberhardt! Und der Beweis schwarz auf weiß, dass vom „blog-arnscht“ nicht nur die Arnstädter profitieren.
Dir alles Gute!
Klaus
Es schmerzt sehr,vorallem bin ich als gelernter Offsetdrucker mit all den Sachen vertraut,hab 1975-77 in Erfurt gelernt.Man kann konstertieren daß somit Thüringen ohne eigens gedruckte Tageszeitung da steht,andere werden sich freuen,ich glaube in den „alten“ Bundesländern wie Bayern,NRW oder BW ein unmöglicher Vorgang.