Der Besuch bei und die Berichterstattung über Geflügelausstellungen zählen zu den ungeliebten Pflichtterminen eines Lokaljournalisten. Heißt es jedenfalls in der Branche. Ich habe deshalb versucht, die Sache mal etwas anders anzugehen. Und ich hoffe, die Züchter können es mir verzeihen. Ein Ortstermin in Witzleben.
Die Schönheit gegenüber erscheint mir makellos. Und ich finde es etwas anmaßend, dass jemand auf einem Zettel ihre Reize ganz prosaisch bewertet hat. Zwar steht bei „Fehler/Mangel“ nichts, aber dafür bei „Wünsche“: „Brust voller“. Wer macht den sowas?
Sowas machen Preisrichter bei Geflügelschauen, klärt mich Karsten Specht vom Geflügelzuchtverein Witzleben auf. Wenn die „Fehler“ finden, ist das Geflügel preismäßig weg vom Fenster. „Wünsche“ heißt hingegen, es könnte ein Pokal drin sein, aber man sollte bei der weiteren Zucht darauf achten, dass sich das genannte Merkmal zum Positiven ändert.
900 Tiere kann man in der Witzlebener Turnhalle zur „Allgemeine Rassegeflügelausstellung“ besichtigen, die der örtliche Verein organisiert hat. Den Geräuschen nach sind die Hähne klar in der Überzahl. Es kräht in der Turnhalle, dass es eine Freude ist. Ein Brahma-Hahn zum Beispiel, dessen äußere Maße schon beeindrucken. 70 Zentimeter mag er groß sein und bei seiner Körperfülle möchte man ihm in freier Wildbahn eigentlich nicht unbedingt begegnen, obwohl er, so heißt es, eher von der behäbigen Sorte sein soll. Diese ursprünglich aus Asien stammenden Riesenhühner sind schon lange in Deutschland bekannt – und natürlich eine Attraktion auf solchen Geflügelschauen. Gleich daneben ist eine Laufente zu besichtigen, die so schlank aussieht, dass sie wohl keine Angst haben muss, als Weihnachtsbraten zu enden. Federfüßige Zwerghühner geben sich die Ehre, Wyandotten und Rhodeländer.
Die Mehrheit der Schönheiten in der Halle allerdings gurrt. Tauben in allen Farben und Größen geizen nicht mit ihren Reizen, um Preisrichter und Besucher zu betören. Es gibt Coburger Lerchen, Deutsche Schautauben mit oder ohne schwarze Binden, Texaner, Schlesische Kröpfer, Süddeutsche Mönchtauben oder Danziger Hochflieger. Schön sind sie allesamt. Aber es können natürlich nicht alle gewinnen.
Ein Gewinn sind solche Veranstaltungen in erster Linie für die Geflügelzucht. Natürlich sind die meisten Besucher selbst irgendwie vom Fach, es wird Wissen ausgetauscht und manchmal auch ein Kauf abgewickelt. Aber es ist auch eine Möglichkeit, mit potenziellen neuen Züchtern ins Gespräch zu kommen, denn viele Vereine klagen über Nachwuchsmangel. Karsten Specht will nicht klagen, im Witzlebener Verein gibt es einige junge Leute, sagt er. Der jüngste Züchter ist erst zwölf Jahre alt.
Beim Gang durch die Halle kommt mir dann doch noch eine Frage in den Sinn: Warum stehen an all den Käfigen nur Nummern? Haben die Schönen keine Namen verdient? Oder macht man das nur bei der Weihnachtsgans Auguste?
Es gibt durchaus Zuchttauben, die einen Namen tragen, werde ich aufgeklärt. Besonders, wenn die Tiere dem Zuchtideal entsprechen, also keine Wünsche“ offen lassen. Dann kann es schon mal zu einem innigeren Verhältnis und einem Kosenamen durch den Züchter kommen. Aber da es nicht so verbreitet ist und, werden die Tiere nach ihren Ringen identifiziert.
Tatsächlich, Ringe tragen sie alle. Also leider schon vergeben, die Schönheiten. Aber Gucken ist nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich erwünscht. Entscheiden könnte ich mich sowieso nicht, bei dem Über-Angebot an Reizen. Ob nun mit besonders voller Brust oder nicht. Das ist sowieso Geschmackssache, finde ich.